# taz.de -- Elke Suhr, Künstlerin: "Ich war dem Sog selbst erlegen" | |
> Ihr "Einstellungsraum für Kunst im Straßenverkehr" diskutiert das Wesen | |
> und die Folgen der Automobilität. Dass Elke Suhr das an einer der am | |
> stärksten befahrenen Straßen Hamburgs tut, ist eigentlich eher Zufall - | |
> aber es hilft. | |
Bild: "Es müsste wohl am ehesten ,Feldforschung' heißen": Elke Suhr betrachte… | |
taz: Frau Suhr, ist Ihre Auto-Galerie in einem ehemaligen Blumenladen ein | |
Politikum? Ein verspäteter Flower-Power-Ansatz beispielsweise? | |
Elke Suhr: Nein, sicher nicht. Dass ich diesen Ort gewählt habe, noch dazu | |
an dieser stark befahrenen Straße, war eher Zufall. Ich wohne hier um die | |
Ecke und suchte einen Ort, an dem ich eigene Arbeiten zu dem Thema | |
ausstellen konnte. Da sah ich, dass das Ladenlokal frei wurde. Es war nicht | |
teuer und gefiel mir mit seinen schön geschwungenen Blumen-Podesten. Und | |
mit der Vermieterin - einer schon über 80-jährigen Blumenhändlerin - | |
verstand ich mich sofort. Sie schätzte mich als Mieterin, und so bin ich | |
geblieben. Abgesehen davon: Eine Auto-Galerie ist es ja gar nicht. Es ist | |
ein "Einstellungsraum für Kunst im Straßenverkehr". | |
Zielen Sie damit ab auf ein Statement für oder gegen das Auto? | |
Anfangs war ich in der Tat kämpferisch gegen das Auto eingestellt, weil ich | |
sah, welch ein Wahnsinn das ist - und welch eine Gewohnheit. So ein Auto | |
ist ja auch unglaublich praktisch. Aber wie es zurzeit funktioniert, macht | |
es Straßen und Städte kaputt. Inzwischen bin ich aber von dieser | |
konfrontativen Position abgekommen und versuche, mit Hilfe der | |
Ausstellungen Erkenntnisse anzubieten. Das halte ich für produktiver. | |
Ihr diesjähriges Motto lautet: "Autos fahren keine Treppen." Weiß das nicht | |
ohnehin jeder? | |
Natürlich. Damit sind ja aber keine konkreten Treppen gemeint, sondern die | |
Überwindung der materiellen Ebene. Der Aufstieg zum Metaphysischen. | |
Im Auto. | |
Eben nicht, das ist ja genau der Punkt. Das als Freiheits- und | |
Glücksbringer gepriesene Auto wird immer nur horizontal fahren, aber | |
niemals nach oben. Will sagen: Mit der Maschine kannst du ein Stück weit | |
kommen. Aber irgendwann musst du aussteigen und sehen, wie du hinaus kommst | |
über die materielle Welt, über das reine Nach-vorn-Streben und | |
Immer-schneller-Werden. Wie du Erkenntnis gewinnst. Die Treppe ist als | |
Symbol also gewissermaßen die Gegenposition zur Horizontalen. Analog zur | |
"Jakobsleiter", die die Menschen des Alten Testaments als Zugang zum Himmel | |
beziehungsweise zur geistige Sphäre betrachteten. | |
Und da wollen Sie hin? | |
Tatsächlich orientiere ich mich inzwischen eher an der Vertikalen. Auch | |
deshalb, weil ich bemerkt habe, dass ich nur dann im Lot bin, wenn ich alle | |
- in der fernöstlichen Theorie vertikal auf der Körperachse aufgereihten - | |
Chakren beziehungsweise Energiezentren gleichermaßen spüre. Dann werde ich | |
weniger von Impulsen hin und her gezerrt. | |
Aha. Und was hat das nun genau mit Ihrem "Einstellungs-Raum" zu tun? | |
Er erlaubt genau diesen Perspektivwechsel. Hier rasen ständig Autos vor dem | |
Schaufenster vorbei - in der Horizontalen natürlich. Die Betrachter aber | |
stehen in der Vertikalen. Und genau das ist die Botschaft dieses Raumes: Er | |
lädt dazu ein, sich nicht festgeschnallt in einer Maschine zu bewegen, | |
sondern aus diesem Strom auszusteigen und zur Ruhe zu kommen. Nur dann kann | |
ich ja überlegen, wo ich stehe, anstatt mich im Schwarm hin und her reißen | |
zu lassen. | |
Eine Kritik an Mitläufertum und Hierarchien? | |
Es ist nicht mein Ansatz, mich gegen herrschende Autoritäten zu wenden. Ich | |
akzeptiere, wenn das Künstler tun, die wir hier ausstellen. Mir persönlich | |
ist es allerdings lieber, Phänomene wie das Getriebensein in Ruhe zu | |
betrachten und nach der dahinter liegenden Einstellung zu schauen. Deshalb | |
habe ich das hier "Einstellungs-" und nicht "Ausstellungsraum" genannt. | |
Aber Sie zeigen Ausstellungen. | |
Ja. Aber das Ziel ist, nach innen zu kommen, sich selbst wahrzunehmen und | |
dann frei zu entscheiden: Steige ich ein oder gehe ich lieber zu Fuß. | |
Brauche ich Ruhe, - oder erliege ich dem Sog der Automobilität? | |
Sind Sie selbst ihm je erlegen? | |
Ja. Ich hatte 20 Jahre lang ein Auto. Vor 20 Jahren, 1991, habe ich es | |
abgeschafft. | |
Warum? | |
Ich hatte damals eine Lebenskrise, in deren Verlauf meine Schwester einen | |
schweren Autounfall hatte. Ein anderes Mal entkam ich selbst knapp einer | |
Kollision. Zur selben Zeit warb Greenpeace dafür, dass man sein Auto mal | |
vier Wochen stehen lassen sollte. Das habe ich getan und gemerkt, es geht | |
ohne Auto. Ich habe es dann sehr bald verkauft. | |
Fühlten Sie sich freier? | |
Anfangs nicht. Mir wurde bewusst, dass man als Autofahrer in bestimmten | |
Routen denkt, die für den Fußgänger nicht funktionieren. Zunächst empfand | |
ich meine Langsamkeit wie Blei an den Füßen. Als ich mich umgestellt hatte, | |
bin ich sehr viel wacher geworden: Ich habe Gerüche und Geräusche von Natur | |
und Menschen bemerkt. Die ganze Welt war plötzlich Theater. Auch wenn ich | |
im Bus sitze, ist das wie ein Theaterstück: Wer sitzt neben wem? Was | |
erzählen sie sich? | |
Welches Stück spielen Sie in Ihrer Galerie? | |
Es müsste wohl am ehesten "Feldforschung" heißen. Wir haben Jahresmottos, | |
die abwechselnd technikbezogen und metaphysisch sind. Voriges Jahr lautete | |
es "Hybrid", diesmal "Autos fahren keine Treppen". 2012 soll es dann | |
"Schalten und Walten" sein. | |
Was haben Technik und Metaphysik gemeinsam? | |
Das habe ich vor vielen Jahren im Zuge meiner Unterrichtsvorbereitung als | |
Kunsterzieherin herausgefunden. Damals wollte ich Schülern erklären, was | |
man unter "Bild" verstehen kann. Es gibt ja den Ausdruck "vera icon", das | |
"wahre Bild", womit zum Beispiel das Schweißtuch der Veronika mit dem | |
Antlitz Christi gemeint ist - ein Ur-Bild gewissermaßen. Der englische | |
Dichter Thomas Norton hat das in der Renaissance weitergedacht und ein | |
alchemistisches "Läuterungsmuster in Form eines Ofens" ersonnen. | |
Was ist das? | |
Ein gezeichnetes Modell, das die Welt in verschiedene Sphären aufteilt und | |
den Weg vom Chaos zur Erkenntnis und letztlich zu Gott aufzeigt. Später | |
habe ich bemerkt, dass der erste Motor, der "atmosphärische | |
Flugkolbenmotor", aus dem später der Otto-Motor wurde, nach genau diesem | |
Muster funktioniert: Auch er arbeitet von unten nach oben. Nur, dass der | |
Motor seine Energie nicht nach oben abgibt, sondern in die Horizontale. Und | |
genau diese Frage treibt mich immer noch um: ob die stets auf der | |
Horizontalen bleibenden, in ihren Abläufen starre Maschine nicht ein Irrtum | |
ist. | |
Haben Sie das mit Technikern diskutiert? | |
Ich habe es versucht. Ich war bei Daimler-Benz in Untertürkheim und habe in | |
Hamburg den Kontakt zu BMW gesucht und auch versucht, sie als Sponsoren zu | |
gewinnen. Aber da war immer eine große Fremdheit. | |
Inwiefern? | |
Die Leiter dieser Automobilfirmen sind sehr auf ihre Erfindungen fixiert. | |
Das ist verständlich, weil sie sich auf dem Markt behaupten müssen. | |
Trotzdem hat mich überrascht, dass sie selbst ein harmloses Gespräch über | |
Grundsatzfragen so ablenkend fanden, dass sie damit nichts zu tun haben | |
wollten. Auch kann kaum noch einer der Techniker etwas zum atmosphärischen | |
Flugkolbenmotor sagen. Sie kennen ihre aktuellen Motoren, deren PS, den | |
Lack, die Karosserie - aber nicht, was drinnen passiert. Wenn ich von | |
Metaphysik anfing, haben sie mich angeguckt, als käme ich vom Mond. | |
Aber mit Philosophen können Sie darüber reden. | |
Kaum. | |
Warum nicht? | |
Metaphysik ist zur Zeit unmodern und gilt als verdächtig. Nietzsche hat ja | |
behauptet, Gott ist tot. Daran halten sich fast alle. | |
4 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
Petra Schellen | |
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Philosophie | |
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