| # taz.de -- Haushaltsdebatte im Bundestag: Merkel entdeckt Europa | |
| > Die Kanzlerin nutzt die Debatte im Bundestag, um die | |
| > Koalitions-Abgeordneten hinter sich zu versammeln. Sie hören endlich | |
| > etwas, woran sie sich klammern können. | |
| Bild: Hat die Euro-Visionen neu entdeckt: Kanzlerin Angela Merkel. | |
| BERLIN taz | Am Ende klatschen die Abgeordneten von Union und FDP | |
| rhythmisch und minutenlang. Erleichterung steht vielen ins Gesicht | |
| geschrieben, Fraktionschef Volker Kauder hebt in der ersten Reihe die | |
| Hände. Angela Merkel, die sich wieder auf die Kabinettsbank gesetzt hat, | |
| lächelt, nickt. Die FDP-Minister Philipp Rösler und Guido Westerwelle neben | |
| ihr gratulieren. | |
| Die Kanzlerin hat gerade ihre Rede in der Generaldebatte zum Haushalt | |
| gehalten, so lautet jedenfalls die offizielle Bezeichnung. Doch in | |
| Wirklichkeit hat Merkel ein Plädoyer für Europa gehalten - und dieses | |
| richtet sich fast ausschließlich an die eigenen Reihen. | |
| Endlich findet Merkel die positive Erzählung zu Europa, die viele | |
| schmerzlich vermisst hatten. Die Bundestagsverwaltung hatte den | |
| Kanzlerinnenbeitrag am Mittwoch extra verschoben und den Etat des | |
| Auswärtigen Amts vorgezogen. So kann Merkel direkt auf das parallel | |
| verkündete Urteil der Verfassungsrichter reagieren, das deutsche Eurohilfen | |
| bestätigt, aber eine bessere Beteiligung des Parlaments anmahnt. | |
| Für die Kanzlerin ist das eine gute Botschaft: Ein Einspruch der Richter | |
| wäre für sie eine Katastrophe gewesen. Entsprechend lobt sie den Spruch aus | |
| Karlsruhe und sieht ihren Kurs bestätigt. Die Koalition setze auf | |
| Eigenverantwortung, Solidarität und parlamentarische Mitbestimmung, sagt | |
| Merkel. Die Kanzlerin trägt Schwarz, vor wenigen Tagen ist ihr Vater Horst | |
| Kasner gestorben. Mit einem Nicken dankt sie SPD-Fraktionschef Frank-Walter | |
| Steinmeier, der ihr vor seiner Rede am Mikrofon sein Beileid ausspricht. | |
| ## Eine Kanzlerin mit viel Pathos | |
| Später, als sie am Rednerpult unter dem Bundesadler steht, packt sie die | |
| Abgeordneten von Schwarz-Gelb, indem sie einen ungewohnt weiten Bogen | |
| schlägt. Merkel erinnert an den Wiederaufbau des Kontinents nach dem | |
| Weltkrieg, an die deutsche Einigung, den gemeinsamen Wohlstand. Die | |
| Gründerväter Europas hätten mit Kraft und Mut daran gebaut, auch für die | |
| nächsten Generationen. "Es ist unsere Aufgabe, diese Erfolgsgeschichte im | |
| 21. Jahrhundert fortzuschreiben", ruft Merkel. | |
| Solche Töne sind neu. Eigentlich liegt der nüchternen Kanzlerin Pathos | |
| nicht, emotionale Aufladung ebenso wenig. Ihr ist die Aneinanderreihung | |
| trockener Argumente am liebsten. Wo Helmut Kohl oder Gerhard Schröder | |
| gedröhnt hätten, sagt sie hölzern: "Das sind Herausforderungen, die man | |
| getrost historisch nennen kann." | |
| Sie lässt keinen Zweifel daran, wie bedeutend das Thema ist - zwei Worte | |
| reichen ihr dafür: Die Bewältigung dieser Krise sei die "zentrale Aufgabe" | |
| dieser Legislaturperiode. "Erzählen Sie das mal Ihrer Fraktion!", ruft | |
| einer aus den Reihen der Opposition. | |
| ## Hochnervöse Koalition | |
| In der Tat richtet sich Merkel vor allem an die eigenen Leute: Die | |
| schwarz-gelbe Koalition gibt derzeit ein irrlichterndes Bild ab, das | |
| Unbehagen vieler Abgeordneter am Rettungsschirm wächst, bei Probeabstimmung | |
| in den Fraktionen verweigerten 25 Skeptiker die Zustimmung. | |
| Merkel liefert ihnen an diesem Vormittag endlich etwas, woran sie sich | |
| klammern können. Der Applaus ist am lautesten, als die Kanzlerin zum | |
| wiederholten Mal Eurobonds als "Vergemeinschaftung der Schulden" verdammt. | |
| Die Angst vor dieser Horrorvorstellung eint die hochnervöse Koalition. Nach | |
| ihrer Rede schlendert Merkel sofort zu Kauder, danach flüstert sie lange | |
| mit Finanzminister Wolfgang Schäuble. Der eine muss ihre Truppen | |
| organisieren, der andere ist die wichtigste Stimme im Kabinett. Merkel | |
| weiß, wen sie jetzt braucht. | |
| 7 Sep 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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