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# taz.de -- Boom der Biometrie durch 9/11: Das Geschäft mit den Gesichtern
> Nach den Anschlägen in New York gab es den Patriot Act, das
> Terrorismusbekämpfungsgesetz und den Biometrieboom. Eine Firma aus
> Dresden ist seitdem sehr gefragt.
Bild: In Zukunft könnte die eine Software dafür sorgen, dass sich Autospiegel…
Alfredo Herrera Hernández steht jetzt neben einer der Zimmerpflanzen, die
Fadenkreuze auf seinen Augen, und fährt sich mit den Fingern übers Gesicht.
Er legt eine Hand um seinen Mund, die andere auf die Stirn. Herrera schaut
in die Kamera, auf dem Bildschirm ist sein Kopf zu sehen, die
ballerspielgrünen Kreuze markieren seine Augen.
Der Computer braucht keine Sekunde, um Herrera zu erkennen. Trotz der Hände
im Gesicht. "Partielle Abdeckung ist kein Problem", sagt Alfredo Herrera,
winzige Lachfalten um die Augen. Er klingt zufrieden.
Der Rechner wird Herrera gleich auf 43 schätzen. Tatsächlich ist er 42
Jahre alt. Der Computer wird feststellen, dass es sich um einen weißen Mann
handelt, der keine Sonnenbrille trägt und den Mund geschlossen hat. Die
Altersschätzung schwankt noch, plus/minus fünf Jahre. Altersschätzung
machen sie noch nicht so lange. Bei der Gesichtserkennung allerdings gehört
Herreras kleines Unternehmen zu den besten der Welt.
Die Algorithmen von Cognitec laufen, wenn in Florida Führerscheine
ausgestellt werden, wenn in Australien ein Pass oder in Kanada der
Sicherheitsbereich einer Bank kontrolliert wird. Wenn in Casinos
Spielsüchtige am Eingang identifiziert, auf Kreuzfahrtschiffen die
Ferienfotos nach Gästen sortieren werden - um ihnen Fotos anzubieten.
In Zukunft könnte die Software namens FaceVacs dafür sorgen, dass sich
Autospiegel und Sitze automatisch einstellen, weil ein Wagen seinen Fahrer
erkennt. Sie könnte dafür sorgen, dass Menschen persönlich begrüßt werden,
wenn sie ein Kaufhaus betreten. Oder den Managern einer Supermarktkette
zeigen, wie sich Frauen zwischen dreißig und vierzig Jahren in der
Parfümabteilung bewegen.
## Die Biometrie als Beruhigungsmittel
Das alles ist möglich, vieles wird so kommen, und oft werden die Männer
damit zu tun haben, die in dem hellen Loft in Dresden sitzen, still in ihre
Monitore schauen und gelegentlich aufstehen, um Gleichungen an weiße Tafeln
zu malen. Mehr als vierzig Leute beschäftigt Cognitec in seinem
Entwicklungszentrum. Als Herrera - zwei Töchter, Anzug mit Streifen,
Laufschuhe unterm Schreibtisch - die Firma 2002 gegründet hat, waren sie
noch zu siebt. Dass sie langsam aber stetig wachsen konnten und
mittlerweile einen Jahresumsatz erwirtschaften, der irgendwo um die fünf
Millionen liegen dürfte, das hat auch mit dem 11. September 2001 zu tun.
"Es gab danach definitiv einen Schub", sagt Alfredo Herrera.
Die USA erließen im Oktober den Patriot Act, Deutschland verabschiedete
nach dem Anschlag das Terrorismusbekämpfungsgesetz. Die Biometrie schien
ein gutes Beruhigungsmittel für eine verunsicherte Gesellschaft. Es gab
Bilder von Mohammed Atta, kurz nach dem Security Check. Die Lösung musste
darin liegen, solche Bilder künftig zu kontrollieren. So dachten die
meisten Regierungen.
Der Patriot Act legte fest, dass das National Institute of Standards and
Technology biometrische Techniken testen sollte. 2002 veranstaltete das
Institut einen Wettbewerb, den "Face Recognition Vendor Test". Cognitec
wurde Erster.
"Jeder, der damals etwas mit Gesichtserkennung machen wollte, ist dann auf
uns zugekommen", sagt Herrera. Es war die Zeit der großen Erwartungen.
[1][An der Universität Bochum erforschte auch Neuroinformatiker Christoph
von der Malsburg das Erkennen von Gesichtern.] Malsburg glaubte, dass
Maschinen sehen und sogar fühlen lernen könnten. Er schuf die Firma ZN
Vision. Heute gehört sie zu L1-Identity, der Firma, die nun wiederum von
Safran Morhpo aus Frankreich gekauft wurde.
## Analysten rechnen mit Umsatzplus
Der Markt für biometrische Sicherheitstechnik könnte 2015 weltweit über 11
Milliarden Dollar ausmachen, schätzen Analysten. 2008 waren es 3
Milliarden. Die deutsche Gesellschaft für Außenwirtschaft rechnet bis 2015
in Deutschland mit einem Umsatzplus von 83 Prozent.
Cognitec ist unabhängig geblieben, sie haben neben dem Entwicklungszentrum
in Dresden-Pieschen auch Büros in Miami und Hongkong. Sie wachsen.
"Organisch", sagt Herrera.
Begonnen hat die Erfolgsgeschichte eigentlich schon früher. Herrera war als
Austauschstudent aus Kuba in die DDR gekommen, an die Technische
Universität Ilmenau, Fachbereich Informatik. Als die Mauer fiel, blieb er.
Und ging 1995 zu Siemens Nixdorf Advanced Technologies, der Firma, die
gerade den schnellsten Chip der Welt entwickelt hatte, Synapse-1. Mit
dessen Schnelligkeit musste etwas angefangen werden. Herrera
experimentierte erst mit dem Erkennen von Handschriften, dann mit
Gesichtern. Der erste Kunde war eine Sparkasse, die ihre Safes zusätzlich
sichern wollte.
Siemens verlor irgendwann das Interesse am Chip, die Abteilung wanderte zu
Grundig. Dort, im Büro, übers Internet, sah Herrera noch die New Yorker
Türme fallen. Wenig später hatte er seine eigene Firma. Grundig ging bald
pleite.
Alfredo Herrera beugt sich zur Kamera des kleinen Laptops, nach vorne,
zurück. Männlich, stimmt. Keine Brille, richtig. Weiß, okay. Aber 47 Jahre
alt? Herrera geht näher ran, wieder zurück. 31? Das müsste eigentlich
besser funktionieren.
Wahrscheinlichkeiten sind sein Geschäft. Die Wahrscheinlichkeit etwa, dass
jemand richtig erkannt wird. Die Gesichtsfotos werden in Zahlen zerlegt,
aus ihren digitalen Eigenschaften werden Vektoren errechnet mit dutzenden
Dimensionen, bis ein einziger Vektor für ein Gesicht steht. Dann wird
dieser Vektor mit all den anderen Gesichtsvektoren der Datenbank
verglichen.
Man soll sich das bitte nicht so vorstellen, dass in dem Vektor die Länge
der Nase steckt oder der Abstand zwischen den Augen, sagt Herrera, es sei
alles wesentlich komplexer. Abstrakter.
Wenn jemand in Deutschland ein Visum beantragt, muss er ein Foto
einreichen. Das Bild wird dann mit mehr als zehn Millionen Fotos in der
Datenbank des Bundesverwaltungsamts verglichen. Ist der Mensch bekannt? Ein
Erbe Otto Schilys. Cognitec liefert die Technik.
Im Cognitec-Loft beschriftet ein Mann gerade Porträtfotos des Golfers Tiger
Woods. In welche Richtung schaut er? Wie sie treffsichere Vektoren
berechnen, müssen die Rechner üben. Mithilfe von Menschen. Es dauert
Wochen, bis eine Maschine das mit einer Datenbank von Millionen Bildern
lernt. Die Chips werden immer schneller, die Wahrscheinlichkeiten höher.
## Eine Kamera, die das Alter erfasst. Ist das vertretbar?
Vor fünf Jahren hat das Bundeskriminalamt die Gesichtserkennung per
Videoüberwachung getestet, am Mainzer Bahnhof. Die Wahrscheinlichkeit,
jemanden richtig zu erkennen, lag bei 60 Prozent. Abends sank die
Trefferquote wegen schlechter Lichtverhältnisse. Die Technik sei "derzeit
nicht einsatzfähig", befand der BKA-Präsident da.
Man müsse das, was die Kamera kann, mit dem vergleichen, was ein Mensch
leisten könnte, ein Polizist, sagt Herrera, 100 Prozent werde man nie
erreichen. Er wirkt fast gekränkt. Können Sie Gesichtsausdrücke erkennen?
"Was heißt können", fragt er. "Wir haben uns die Aufgabe noch nicht
gestellt."
Die Gesichtserkennung sollte nach dem 11. September die Angst nehmen, aber
sie hat neue Ängste geschaffen. Eine Kamera, die das Alter, das Geschlecht
und die Hautfarbe eines Menschen erfasst. Was man damit alles machen
könnte.
Man müsse sich genau überlegen, wo es vertretbar ist, die Techniken
einzusetzen, sagt Herrera. Er selbst würde ungern im Kaufhaus mit Namen
begrüßt werden. Man müsse abwägen.
"Das ist ein gesellschaftlicher Prozess", findet Herrera, der Informatiker.
"In Deutschland", sagt Alfredo Herrera, "kann man es sich leisten, viele
Dinge nicht nötig zu haben."
10 Sep 2011
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## AUTOREN
Johannes Gernert
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