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# taz.de -- Erste Fraktionssitzung der Piraten: Viel geredet, nichts gewählt
> Die Wahl zum Fraktionsvorsitz scheitert an mangelnder Transparenz
Bild: Die Piratenfraktion bei der Sitzung im Abgeordnetenhaus
Auf dem Boden bahnen sich Kabel ihren Weg. Unzählige Fotografen und
Kamerateams wuseln wild durch den kleinen Sitzungssaal, an nahezu jedem
Platz steht ein Laptop: Die Piratenpartei ist im Abgeordnetenhaus
angekommen.
Die 15 Abgeordneten haben am Donnerstagabend ihre erste Fraktionssitzung im
Abgeordnetenhaus abgehalten - öffentlich, auch für jeden interessierten
Bürger. Weil ein Videostream scheiterte, wurde die Sitzung per
Audio-Livestream im Internet übertragen. 12.000 User waren nach
Piratenangaben online dabei. Womöglich haben sie auf die Besetzung des
Fraktionsvorsitzes gewartet, doch Ämter wurden an diesem Abend nicht
vergeben.
Stattdessen entbrannte eine Debatte über der Piraten höchstes Gut:
Transparenz. Susanne Graf, einzige Piratin in der Runde, war sauer, weil
ihre beiden Abgeordnetenkollegen Andreas Baum und Christopher Lauer am
Vorabend telefonisch vorgeschlagen hatten, als Doppelspitze den
Fraktionsvorsitz zu übernehmen. Es bestehe keine Eile, einen
Fraktionsvorsitz zu wählen, sagte Graf. Pirat Lauer, der ihr schräg
gegenüber flegelig in seinem Stuhl saß, schüttelte den Kopf. Die Frage nach
dem Fraktionsvorsitz sei ihm häufig gestellt worden, deshalb habe er sich
mit Baum unterhalten, entgegnete er. "Wir können das auch erst Weihnachten
wählen - mir egal", sagte Lauer beleidigt. Zudem sei es doch fraglich, ob
der Fraktion an öffentlich ausgetragenem Streit gelegen sei.
Gerwald Claus-Brunner, von allen Piraten "Faxe" genannter Abgeordneter in
Latzhose, reagierte gelassen: "Ich möchte, dass solche Auseinandersetzungen
öffentlich stattfinden. Wir stehen für Transparenz!" Seinem Kollegen Lauer
warf er "schnodderige Polemik" vor. "Wenn andere Parteien
Hinterkammerpolitik betreiben, dann verurteilen wir das zutiefst",
verdeutlichte Piratin Graf das Credo ihrer Partei. Vorschläge wie der von
Lauer und Baum sollten frühzeitig kommuniziert werden. "Wir wollen hier
andere Politik machen: Wir könnten auch 15 Fraktionsvorsitzende wählen", so
Graf.
Lauer schien die Rolle des Berufspolitikers dagegen schon in Fleisch und
Blut übergegangen zu sein. "Was wir hier machen, ist Boulevard", versuchte
er die Diskussion zu beenden. Er habe große Bauchschmerzen wegen der vielen
anwesenden Pressevertreter. Andere Piraten aber störte die Öffentlichkeit
offensichtlich nicht.
Sitzungsleiter Martin Delius versuchte zu schlichten: Die ganze Aufregung
sei unnötig, gegenseitiges Misstrauen überflüssig, man kenne sich
untereinander ja schließlich seit Jahren und werde auch noch weitere fünf
Jahre "ohne Bewährung" zusammenarbeiten.
Bei einer Zigarette in der Pause sagte Delius der taz, Piraten seien es
gewohnt, Diskussionen offen zu führen. Kleine Seitenhiebe seien menschlich
und normal, man müsse sich eben auch mal Luft verschaffen. Momentan gebe es
viel zu organisieren, viel Klein-Klein. Er freue sich deshalb auf die erste
Plenarsitzung: "Das wird großartig!"
Nach der Pause vertagten die Abgeordneten die Wahl des künftigen
Fraktionsvorstands. Schließlich müsse erst mal eine ordentliche Satzung
her. Die nächste Fraktionssitzung ist auf kommenden Dienstag terminiert.
Ende der Woche fährt die Fraktion dann einige Tage raus zur Klausurtagung.
Ein Pirat schlug vor, dort die Teamfähigkeit zu verbessern und Differenzen
auszuräumen. Wo die Tagung stattfindet, ist noch nicht klar. Genauso wenig,
wie viel die Öffentlichkeit davon mitbekommt. Darüber gibt es scheinbar
noch Redebedarf.
23 Sep 2011
## AUTOREN
Benjamin Quiring
## TAGS
Schwerpunkt Wahlen in Berlin
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