# taz.de -- Sporthistoriker über Doping in der BRD: "Chancengleichheit der Wes… | |
> Um mit der DDR zu konkurrieren, wurde auch in der BRD Doping gefördert, | |
> sagt Sporthistoriker Michael Krüger. Für manche Athleten hatte das | |
> tödliche Folgen. | |
Bild: "DDR als Vorbild": Kugelstoßer Ralf Reichenbach 1976 in Zürich im Einsa… | |
taz: Professor Krüger, Sie haben zwei Jahre über Dopingstrukturen in der | |
alten Bundesrepublik geforscht. Wurde auch in der BRD Staatsdoping nach | |
DDR-Manier betrieben? | |
Michael Krüger: Den Begriff Staatsdoping verwenden wir in Münster nicht. Es | |
gab Doping begünstigende Umstände und Strukturen. Im Westen gab es ja nicht | |
die besseren Menschen als im Osten. Auch hier gab es Zwänge und Nöte, die | |
zu Dopingfällen führten, sogar zu Todesfällen. | |
Welche Rolle spielte das Bundesinnenministerium? | |
Der Staat hat in den 70er und 80er Jahren eine immer größere Rolle | |
gespielt. Er hat Verantwortung übernommen für die Entwicklung des | |
Leistungssports, und dazu gehörte auch die Entwicklung von Doping. Das war | |
nicht nur ein deutsches, sondern ein internationales Phänomen. Aber in | |
Deutschland hat das Konkurrenzverhältnis zur DDR eine besondere Rolle | |
gespielt. Viele Funktionäre, Trainer und Athleten haben den | |
DDR-Leistungssport, der natürlich viel "professioneller" betrieben wurde, | |
als Vorbild angesehen. | |
1972 traten erstmals getrennte deutsche Olympiamannschaften an. Das | |
beförderte sicherlich den Wunsch, mitzuhalten mit dem sozialistischen | |
Nachbarn, der seine "Botschafter im Trainingsanzug" ausgesandt hatte, um | |
die Überlegenheit des Systems zu demonstrieren? | |
Ja, mag sein, aber wir haben keine Quelle gefunden, wo direkt zum Doping | |
aufgefordert wurde. Es gibt aber Quellen, die den Wunsch belegen, dass | |
Westdeutschland ordentlich abschneidet. Man wollte, so hieß es, | |
Chancengleichheit der Westathleten gegenüber den Ostblockathleten | |
herstellen. Wie man das jetzt interpretiert, ist offen. | |
Wie ist Ihre Interpretation? | |
Alle Auflagen, die vom Innenministerium gemacht wurden, liefen unter dem | |
Vorbehalt: Was gemacht wird, darf nicht gegen die Regeln des IOC verstoßen | |
und es darf nicht gesundheitsgefährdend sein. Nun war die Fachmeinung | |
damals unschlüssig im Bezug auf Anabolika. Das hat also einen | |
Interpretationsspielraum eröffnet für den Einsatz von Anabolika. Was man | |
aber sicher sagen kann, ist, dass die durchaus eingebauten | |
Kontrollmechanismen nie wirklich umgesetzt wurden. Der Staat und auch die | |
Sportverbände haben ihre nach außen geäußerte Kontrollfunktion nicht | |
ausreichend wahrgenommen - trotz der Antidopingmaßnahmen, die es natürlich | |
auch gab. | |
Also niemand hat den Sportärzten und Forschern an der Uni Freiburg und der | |
Sporthochschule Köln so richtig auf die Finger geschaut? | |
Das kann man so sagen. | |
Haben denn nicht die Medien das Thema aufgegriffen? | |
Man muss bedenken, dass die öffentliche Meinung durchaus ambivalent war, | |
was Doping anging. Die Medien waren sich nicht so einig wie heute in ihrer | |
Ablehnung des Dopings. Es ist auch sehr schwierig, in Westdeutschland | |
valide Daten zu erheben, in welchen Sportarten wie stark und mit welchen | |
Mitteln gedopt wurde. Das lässt sich aus methodischen, aber auch | |
politischen Gründen nicht ermitteln. Es gab ja in dem Sinne kein | |
zentralisiertes System, es gab keine konkrete Anordnung, was Trainer machen | |
sollten, und es gab keinen politisch artikulierten Willen, zu dopen. Das | |
ist der Unterschied zur DDR, wo es einen Erlass gab (den Staatsplan 14.25; | |
d. Red.), nach dem sich Trainer und Sportfunktionäre zu richten hatten. | |
Die Aufgabe Ihrer Forschergruppe in Münster war es auch, Leitmedien zu | |
durchforsten nach deren Haltung zu Doping. Was ist dabei herausgekommen? | |
Es gab in der Presselandschaft Stimmen, die haben bagatellisiert, | |
neutralisiert und relativiert. Grundsätzlich hat man Doping abgelehnt, aber | |
nicht in einem skandalisierenden Sinn. Das änderte sich immer bei | |
Dopingfällen. Ich erinnere an den Boxer Jupp Elze, der 1968 an einer | |
Hirnblutung starb (Elze war mit drei verschiedenen Substanzen gedopt, unter | |
anderem mit Pervitin; d. Red.). Oder den Tod der Mehrkämpferin Birgit | |
Dressel in den achtziger Jahren. | |
Haben Sie mehr herausgefunden, als Ihren Auftraggebern, dem Deutschen | |
Olympischen Sportbund (DOSB) und dem Bundesinstitut für Sportwissenschaft | |
(BISp), lieb sein kann? | |
Dass manche Dinge, die man herausfindet, nicht so angenehm sind, ist klar. | |
Es gibt jetzt die Tendenz, Personen aus Datenschutzgründen zu schwärzen. | |
Aber dazu besteht kein Anlass, wie ich finde. Es gibt da gar keine großen | |
Geheimnisse. Alle Namen haben bereits in der Zeitung gestanden. Hier werden | |
keine Persönlichkeitsrechte verletzt. | |
27 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
## TAGS | |
Doping | |
Schwerpunkt Olympische Spiele 2024 | |
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