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# taz.de -- Deutsche Kolonialgeschichte: Der verleugnete Völkermord
> Eine namibische Delegation will Gebeine Ermordeter aus dem Kolonialkrieg
> abholen. Deutsche Politiker ignorieren den Besuch. "Wir sind auch
> Menschen", sagt ein Herero enttäuscht.
Bild: Einer der zur Rückführung nach Namibia bestimmten Schädel während ein…
BERLIN taz | Zwei Schädel liegen im kalten Saallicht der Berliner Charité
in zwei Glasvitrinen. Der eine gehört einem 20-jährigen Nama, der andere,
größere, einem etwa 35-jährigen Herero. Dahinter stehen erhöht auf einem
Pult mit weißer Tischdecke 18 helle, undekorierte Kartons, in denen sich
weitere 18 Schädel namibischer Herkunft befinden. Die Identität der Gebeine
- "Tote" kann man wohl zu abgetrennten Schädeln nicht sagen - ist
unbekannt. Sie sollen möglichst würdevoll aussehen, jetzt wo sie eine
namibische Delegation aus Berlin abholen will. Zumal die Schädel vor
hundert Jahren auf eine alles andere als ehrenvolle Art und Weise nach
Deutschland gelangt sind.
Feierlich hatte sich die 73-köpfige Delegation den Moment vorgestellt, als
sie Anfang der Woche aus dem Flugzeug steigt und deutschen Boden betritt:
in festlichen Gewändern, traditionellen Hüten und mit ernsten Gesichtern.
Die Abordnung ist hochkarätig besetzt, ihr gehören der namibische
Kulturminister Kazenambo Kazenambo, Staatssekretär Shipoh, Bischöfe,
Medienvertreter sowie Führer und Chiefs der in Namibia ansässigen Nama- und
Herero-Völker an. Doch ihre Erwartungen auf einen würdigen Empfang und
respektvollen Umgang werden enttäuscht. Zum Empfang am Flughafen sind nicht
etwa der Bundespräsident oder deutsche Außenminister erschienen, sondern
nur Vertreter nichtstaatlicher Organisationen.
## "Die Nation vernichten"
Die Reise ist ein wichtiges Ereignis für die Namibier und war lange
geplant. Denn hinter den 20 Schädeln, die sie übergeben bekommen werden,
verbirgt sich ein dunkles Kapitel deutscher Kolonialgeschichte. Sie gehören
Herero und Nama, die infolge des Kolonialkriegs im damaligen
Deutsch-Südwestafrika in den Jahren 1904 bis 1908 ums Leben gekommen sind.
Als die Herero 1904 bei einem Aufstand 200 ihrer Besatzer töteten,
erwiderte der deutsche General Lothar von Trotha mit dem Befehl: "Ich
glaube, dass die Nation als solche vernichtet werden muss. Innerhalb der
deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh
erschossen." Binnen weniger Jahre wurden bis zu 80 Prozent der damaligen
Herero- und Nama-Bevölkerung erschossen, erstochen, ausgehungert oder in
Konzentrationslager gepfercht.
Deutsche Truppen köpften die Toten und legten die Köpfe, oftmals mit allen
Weichteilen, in Formaldehyd ein. Dann verschifften sie sie nach Berlin, um
Rassenmerkmale und Gesichtszüge studieren zu lassen. Die zur Rückgabe
bestimmten 20 Schädel sind ein Bruchteil der schätzungsweise 3.000, die
seither in deutschen Museen und Archiven lagern. Zum Teil stammen die
Gebeine auch aus Grabschändungen. "Der deutsche Mediziner Eugen Fischer hat
nach dem Krieg namibische Gräber öffnen lassen und sich dort bedient", sagt
der Berliner Historiker Joachim Zeller.
Dass die Gebeine ihrer Vorfahren seit über 100 Jahren zerstückelt in
deutschen Magazinen liegen, ist für Herero und Nama eine kulturell
erschütternde Vorstellung. In ihrer Weltanschauung spielen die Ahnen und
Toten eine zentrale Rolle: "Die Verstorbenen werden in unserer Kultur hoch
respektiert, sie müssen unbedingt richtig begraben werden", sagt der
Delegierte Ueriuka Tjikuua, ein Herero. "Der Weg zu Gott oder Heilung führt
nur über die Ahnen. Wenn diese nicht ihre Ruhe finden, haben die Nachkommen
ein ernsthaftes Problem."
## "Niemand übernimmt Verantwortung"
Die Berliner Charité hat sich als erste deutsche Institution auf Antrag der
Namibier bereit erklärt, diese Gebeine ihren Eigentümern zurückzugeben. Bei
den anderen Einrichtungen tut sich bei der Übergabe dagegen wenig. Die
Universität Freiburg hat die Bundesregierung darauf aufmerksam gemacht,
dass dort hunderte Gebeine liegen. Sie hat einen Antrag auf Geld gestellt,
um die Herkunft der Gebeine zu bestimmen - er wurde abgelehnt. "Bis heute
übernimmt niemand Verantwortung", so Armin Massing vom
Entwicklungspolitischen Ratschlag e. V., der die namibische Delegation
während ihres Aufenthaltes in Berlin betreut.
Während in Deutschland von einem Dringlichkeitsgefühl, sich mit diesem
Thema auseinanderzusetzen, wenig zu spüren ist, kämpfen die Herero- und
Nama-Völker bis heute mit den Folgen dieses Krieges - kulturell, psychisch,
aber auch materiell. Die Überlebenden wurden enteignet und haben mit ihren
Ahnen auch ihr Land und ihre traditionelle Lebensweise verloren. Tjikuua
sagt: "Vor diesem Krieg hat unser Volk von der Viehzucht gelebt, wir sind
Nomaden. Unser Land wurde uns aber von den Deutschen genommen, und damit
unsere Existenzgrundlage."
Die Bundesregierung hat sich bis heute nicht bei den Herero und Nama
offiziell entschuldigt. Angesichts des Besuchs der namibischen Delegation
ließ das Auswärtige Amt diese Woche vermelden, dass sich "die
Bundesregierung wiederholt zur moralischen und historischen Verantwortung
Deutschlands gegenüber Namibia bekannt" habe. Diese Ausdrucksweise wird dem
von den Vereinten Nationen als Genozid anerkannten Völkermord an den Herero
allerdings nicht gerecht. "Es wird nur von einer ,besonderen Verantwortung'
gesprochen", so Armin Massing. "Es ist beschämend, wie deutsche Politiker
immer wieder nach Namibia fahren und es nicht schaffen, ein Wort der
Entschuldigung auszusprechen, weil sie befürchten, das könnte zu
Entschädigungen führen."
## Auf eigene Kosten gereist
Reparationsforderungen der Herero und Nama werden mit der Begründung
abgelehnt, dass "die Bundesregierung ihrer Verantwortung durch eine
verstärkte bilaterale Kooperation auf dem Gebiet der
Entwicklungszusammenarbeit nachkommt", so das Auswärtige Amt. Die
namibische Delegation ist zudem auf eigene Kosten nach Deutschland gereist;
die Bundesregierung trägt nur die Kosten für die Rücküberführung der
Knochen.
Während ihres Berlinaufenthalts findet eine Podiumsdiskussion statt, die es
den Namibiern ermöglichen soll, sich mit Abgesandten der deutschen Parteien
über die Aufarbeitung der deutsch-namibischen Geschichte und den Genozid an
ihrem Volk auszutauschen. "Wir haben dazu sowohl das Außenministerium als
auch den Kulturminister eingeladen. Beide haben abgesagt und waren auch
nicht bereit, Vertreter zu schicken. Die FDP hat auch abgesagt, und von der
CDU liegt keine Rückmeldung vor", so Armin Massing.
Am Freitag findet zum Abschluss die offizielle Übergabe der Gebeine statt.
Die Bundesregierung wird von Cornelia Piper vertreten, Staatsministerin im
Auswärtigen Amt. Barbara Kahatjipara, die fließend Deutsch spricht, bringt
bei einer Pressekonferenz die Empörung der Delegation zum Ausdruck: "Wir
kommen mit unserem Kulturminister, und eine Vizeministerin nimmt uns in
Empfang? Für mich ist das eine Respektlosigkeit der deutschen Regierung an
einem symbolisch so wichtigen Tag. Wir fragen uns, ob das, was wir hier
tun, gewürdigt wird. Als im April 13 von den Nazis geklaute Bücher an die
jüdische Gemeinde in Berlin zurückgegeben wurden, war der deutsche
Kulturminister dabei. Warum werden 13 Bücher so gewürdigt, aber 20 Schädel
nicht?"
## Wunsch nach Wiedergutmachung
Die namibische Delegation äußerte während ihres Aufenthalts in Berlin
wiederholt den Wunsch nach Wiedergutmachung, aber wenn man genauer hinhört,
realisiert man, dass etwas anderes im Vordergrund steht. Etwas, was ihnen
bisher jede deutsche Regierung verweigert hat. Utjiua, eine stolze Herero
in einem traditionellen Gewand, sagt: "Reparationen sind ein Endziel. Im
Moment fordern wir, dass die Regierung sagt: Als jetzige deutsche Regierung
erkennen wir an, dass die damalige deutsche Regierung Gräueltaten begangen
hat. Und dass sie sich bei uns offiziell entschuldigt. Und dass man sich
dann mit uns bespricht, wie das gelöst und wiedergutgemacht werden kann."
Die Anerkennung der Gräuel und Ungerechtigkeiten, die den Herero und Nama
angetan wurden, ist ein unabdingbarer Schritt für diese betroffenen Völker,
damit sie mit der Vergangenheit abschließen können. "Wir befinden uns mit
Deutschland in einer Konfliktsituation", so Tjikuua. "Unsere Regierungen
kommunizieren zwar, aber wir, die Betroffenen, werden ausgeschlossen. Was
wir fordern, ist, dass sich die deutsche Regierung zusammen mit der
namibischen, mit uns an einen Tisch setzt und redet. Damit die deutsche
Regierung versteht, was unser Problem ist, was wir mit Reparationen meinen.
Wir sind schließlich auch Menschen."
29 Sep 2011
## AUTOREN
Elena Beis
## TAGS
Berlin
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