# taz.de -- Novelliertes Stasi-Unterlagengesetz: "Es geht immer um das rechte M… | |
> Auch wenn die Reihen verdammt leer waren: Die Abgeordneten, die da waren, | |
> diskutierten lebhaft über das novellierte Stasi-Unterlagengesetz. | |
Bild: Das Recht, diese Akten einzusehen, wurde für Opfer erweitert. | |
BERLIN taz | Beatrix Philipp gibt gleich zu Beginn die Richtung vor: "Wir | |
wollen keinen Schlussstrich!" ruft die Bundestagsabgeordnete der Union ins | |
Plenum. Das klingt gut - wer wollte schon ernsthaft die Aufarbeitung der | |
Stasi-Geschichte für beendet erklären? Die Debatte über die Neuregelung des | |
Stasi-Unterlagengesetzes am Freitag ist bewegt. Wie stets, wenn es um | |
dieses Thema geht. Die Neuregelung, die nach über einer Stunde Debatte mit | |
den Stimmen von Schwarz-Gelb verabschiedet wird, sieht eine | |
Zwangsversetzung ehemaliger Stasi-Mitarbeiter aus der Berliner | |
Stasi-Unterlagenbehörde vor. | |
Dort arbeiten seit zwanzig Jahren 45 ehemalige hauptamtliche | |
Stasi-Mitarbeiter, die nun auch gegen ihren Willen in andere Dienststellen | |
des Bundes versetzt werden können. Zudem werden durch die Novellierung die | |
Fristen für Stasi-Überprüfungen um weitere acht Jahre verlängert und das | |
Recht auf Akteneinsicht für Forschung und Opfer erweitert. | |
Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, hatte bei | |
seinem Amtsantritt im März eine Weiterbeschäftigung der 47 ehemaligen | |
Stasi-Mitarbeiter als unvereinbar mit der Glaubwürdigkeit der Behörde | |
bezeichnet. Bislang waren jedoch alle seine Versuche gescheitert, die | |
Mitarbeiter freiwillig zur Versetzung zu bewegen, zudem fanden sich keine | |
anderen Behörden, die sie aufnehmen wollten. Eine Kündigung aus | |
arbeitsrechtlichen Gründen ist nicht möglich, weil die 47 seit zwanzig | |
Jahren unbeanstandet bei der Behörde arbeiten. | |
In der Debatte tritt Wolfgang Thierse ans Rednerpult. Die SPD sei nicht | |
gegen eine Aufarbeitung, sagt er. Es bedürfe aber eines begründeten | |
Verdachts. Mit dem hier zur Abstimmung stehenden Gesetz würde "ein latentes | |
Misstrauen gegenüber Bürgern ostdeutscher Herkunft" festgeschrieben. Man | |
müsse unterscheiden zwischen "dem System, das falsch war, und den Menschen | |
und deren Biographien, die in diesem System gelebt wurden sind. Es geht um | |
das rechte Maß." | |
## Linke lehnt das Gesetz ab | |
Zwanzig Jahre nach Inkrafttreten des Stasiunterlagengesetzes sei es | |
überzogen, ohne Anfangsverdacht in der Biographie von Menschen zu stöbern, | |
die in diesem Land leben und arbeiten. Die SPD habe mit den Grünen einen | |
entsprechenden Änderungsantrag formuliert, der das ausschließe. Für die FDP | |
entgegnet Reiner Deutschmann aus Sachsen. Er verteidigt die | |
verdachtsunabhängige Überprüfung mit den Worten: "Wir wollen verhindern, | |
dass die Täter von damals Karriere machen." Wenn am 1. Januar 2012 die alte | |
Regelung auslaufe, hinge es "von Journalisten oder Denunzianten ab", ob | |
eine Stasi-Tätigkeit öffentlich wird. An die SPD richtet er seine Frage: | |
"Was ist los in Ihren Reihen?" Kein Opfer sollte einem ehemaligen | |
Stasi-Mitarbeiter gegenübertreten müssen, und sei es nur an der Pforte. | |
Als dann Rosemarie Hein von der Linkspartei das Wort hat, wird es unruhig | |
im Plenum. Die Abgeordnete aus Sachsen-Anhalt sagt, auch ihrer Fraktion sei | |
"an ehrlicher Aufarbeitung gelegen", Opfer der Stasi müssten dauerhaft ein | |
Recht auf Akteneinsicht haben. Trotzdem lehne die Linke das Gesetz ab. Dass | |
es nun bis 2019 gültig sein soll, findet sie nicht gerechtfertigt. "Das | |
sind dreißig Jahre nach der Wiedervereinigung, weit über das | |
strafrechtliche Maß hinaus. Menschen muss zugestanden werden, dass sie in | |
den letzten zwanzig Jahren dazugelernt haben." Eine Atmosphäre, in der sich | |
die Täter von damals outen, schaffe man mit diesem Gesetz nicht. Wegen der | |
Fristenfrage, so Hein, werde sich ihre Fraktion auch beim Antrag von SPD | |
und Grünen enthalten. | |
Wolfgang Wieland von den Grünen zitiert Bärbel Bohley. "Wir wollten | |
Gerechtigkeit und haben den Rechtsstaat bekommen", habe die vor einem Jahr | |
verstorbene Bürgerrechtlerin gesagt. "Das gefällt mir nicht", sagt Wieland, | |
"denn der Rechtsstaat kennt das Vergessen und er organisiert es sogar, zum | |
Beispiel beim Datenschutz. Aber dieses Sondergesetz halte ich für | |
verfassungswidrig. Es ist ein Sondergesetz für 47 Leute und wird nichts | |
ändern." Die Antwort auf die Stasi, so der Grünen-Abgeordnete, sei der | |
Rechtsstaat. Es geht noch eine halbe Stunde hin und her. Doch das | |
Wichtigste ist längst gesagt: Dass das Thema Stasi-Aufarbeitung weiter | |
heftig diskutiert wird. Bei der Abstimmung enthalten sich SPD und Grüne, | |
die Linke-Abgeordneten stimmen dagegen. Der Gesetzentwurf ist mit den | |
Stimmen von Union und Liberalen angenommen. So klar das vorher war - so | |
notwendig sind Debatten wie die an diesem sonnigen Freitag im Bundestag. | |
Auch wenn die Reihen verdammt leer waren. | |
30 Sep 2011 | |
## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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