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# taz.de -- Griechenland verfehlt Sparziel: Schlaflos in Athen
> Die griechische Regierung verfehlt die Sparziele der Troika und muss 2012
> weitere 7 Millionen Euro einsparen. Aber es gibt auch gute Nachrichten.
Bild: "Zu verkaufen" steht es Rot auf Gelb am Innenministerium in Athen. Soweit…
ATHEN taz | Zuerst die schlechten Nachrichten: Auch 2011 wird Griechenland
sein Defizitziel überschreiten. Statt des mit der sogenannten Troika aus
EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem
Währungsfonds (IWF) vereinbarten Defizits in Höhe von 7,6 Prozent (als
Anteil des Bruttosozialprodukts) erwartet der griechische Finanzminister
Evangelos Venizelos ein Minus von 8,5 Prozent. Entlassungen im öffentlichen
Dienst und zusätzliche Sparmaßnahmen für 2012 sind wohl nicht mehr zu
vermeiden. Die Troika hält sich derzeit in Griechenland auf, um
festzustellen, ob das Land die für die Auszahlung der nächsten Tranche des
Notkredits geforderten Bedingungen und Sparpläne einhält. Ohne die
Auszahlung der 8 Milliarden Euro wäre Griechenland bis Monatsende pleite.
Gute Nachrichten gibt es allerdings auch: Erstmals seit zig Jahren sieht
der Haushalt der Athener Regierung für 2012 keine Neuverschuldung vor, ja
er soll sogar einen Primärüberschuss von 1,5 Prozent aufweisen, trotz
andauernder Rekordrezession. Dass dies die Wende im krisengeschüttelten
Griechenland bringen könnte, diese Hoffnung vermag heute noch niemand
auszusprechen, und dennoch entzündet diese Botschaft einen kleinen
Hoffnungsschimmer.
Vorerst bleibt es bei stachligen Hiobsbotschaften, da die Griechen im
nächsten Jahr mit weiteren Sparmaßnahmen rechnen müssen. Politisch
umstritten ist vor allem die am Sonntag beschlossene Steuererhöhung auf
Heizöl, die zum 15. Oktober 2012 in Kraft tritt und den Heizölpreis
voraussichtlich um 30 Prozent nach oben schnellen lassen wird - eine
unzumutbare Belastung für Rentner und Kleinverdiener, die seit März 2010
bereits mehrere Sparrunden über sich ergehen lassen mussten.
## Neue Lohnkürzungen
Nachdem Freiberufler und Wohnungseigentümer in den letzten Monaten
wiederholt zur Kasse gebeten wurden, sind die Beamten nun wieder an der
Reihe. In den nächsten Monaten müssen Staatsdiener neue Lohnkürzungen und
Rentenabschläge hinnehmen sowie den 2011 eingeführten Solidaritätszuschlag
für Arbeitslose weiterbezahlen. Damit nicht genug: Erstmals seit 1911
sollen in Griechenland über 30.000 Beamtenstellen gestrichen werden.
Wie das vor sich gehen soll, weiß allerdings niemand so genau. Dass bis
Ende 2012 mindestens 20.000 Beamten, die ohnehin kurz vor der Pensionierung
stehen, in Frührente gehen, reicht der Troika nicht mehr aus. Massive
Beamtenentlassungen "aus betrieblichen Gründen" sind laut Verfassung nicht
zulässig. Eine elegante Alternative wäre daher die bereits im vergangenen
Jahr angekündigte "Arbeitsreserve": Überflüssiges Personal soll zunächst
für ein Jahr beurlaubt werden und dafür bis zu 60 Prozent seines zuletzt
erhaltenen Gehalts bekommen, anschließend wird der Arbeitsvertrag aufgelöst
oder der Staatsdiener versetzt, falls dies aus dienstlichen Gründen
dringend erforderlich sein sollte.
Doch welcher Beamte hält sich schon für überflüssig und lässt sich
freiwillig in einen Zwangsurlaub mit Entlassungsdrohung schicken? Viele
Griechen befürchten, dass die vielbeschworene "Arbeitsreserve" die
schlimmste Tradition des griechischen Polit-Nepotismus wieder aufleben
lässt. Salopp formuliert: Wer einen Minister als Schutzpatron hat, ist
schon mal auf der sicheren Seite, wer mit einem Abgeordneten gut befreundet
ist, hat nur wenig zu befürchten und die anderen können sehen, wo sie
bleiben.
## Weggemobbte Experten
Apropos Entlassungen: Eine spannende Frage wäre es auch, ob der griechische
Finanzminister Evangelos Venizelos sich bei den geschassten
Haushaltsexperten des griechischen Parlaments entschuldigen möchte
angesichts seiner abermals revidierten Haushaltszahlen. Denn noch im
September mussten alle Mitglieder eines unabhängigen Haushaltsbüros im
Parlament zurücktreten, nachdem sie in ihrem Jahresbericht pflichtgemäß
erklärt hatten, Griechenland würde 2011 eine Defizitquote von knapp 9
Prozent aufweisen.
Nach griechischen Medienberichten drängte damals Venizelos auf ihre
Entlassung und beschimpfte die Wissenschaftler als "inkompetent". Nun zeigt
sich im Nachhinein, dass die weggemobbten Experten doch recht hatten. Sie
sind weg, Venizelos bleibt im Amt.
3 Oct 2011
## AUTOREN
Jannis Papadimitriou
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