# taz.de -- Türkischer Europascout im Interview: "Diese Jungs sind immer im Zw… | |
> Vor dem Länderspiel gegen die Türkei spricht Erdal Keser über Fußball und | |
> sein professionelles Abwerbungsgeschäft in Deutschland. | |
Bild: Viele in Deutschland geborene Spieler tragen das Trikot der Türkei. | |
taz: Herr Keser, Sie kamen mit 10 Jahren nach Deutschland. Wie war es, als | |
Ausländer in dieses Land zu kommen? | |
Erdal Keser: Ich gehöre zur zweiten Generation, mein Vater hat die Familie | |
nachgeholt. Ich habe kein Wort Deutsch gesprochen, als ich ankam. Aber nach | |
den ersten sechs Monaten konnte ich mich ausdrücken, weil ich die Sprache | |
sprechen musste. Damals gab es noch nicht an jeder Ecke Landsleute. Das | |
hatte für mich den Vorteil, dass ich umso schneller Deutsch lernen musste. | |
Welche Rolle hat der Fußball bei Ihrer Integration gespielt? | |
Ich war immer mit den Jungs vom SSV Hagen unterwegs und hatte meinen Anteil | |
am Erfolg. Dadurch wurde ich schnell in die Gemeinschaft aufgenommen. Ich | |
weiß nicht, wie es gewesen wäre, wenn ich fußballerisch nicht so sehr | |
begabt gewesen wäre. | |
Haben Sie sich als Exot gefühlt? | |
Es gab vor mir einige Türken in der Bundesliga, aber es waren nicht | |
besonders viele. Damals durfte man ja ohnehin maximal nur zwei Ausländer in | |
der Mannschaft haben. Daher war es schon etwas Besonderes, überhaupt in der | |
Bundesliga zu landen. Weil Fremde so selten waren, waren automatisch die | |
Augen auf uns gerichtet. | |
Was meinen Sie? | |
Bei Auswärtsspielen hat noch das ganze Stadion "Ausländer raus!" gerufen. | |
Das war ganz normal, niemand hat sich daran gestört. Und umso mehr hat man | |
sich natürlich auch als Ausländer gefühlt. | |
Wie sind Sie damit umgegangen? | |
Diese Rufe haben mich nur motiviert. Wenn ich auswärts getroffen habe, bin | |
ich danach in die gegnerische Kurve gelaufen und habe Handküsschen | |
verteilt. | |
Wie war es bei den eigenen Fans? | |
Ich war schon beliebt, weil ich auch Spiele entscheiden konnte. Aber ich | |
wurde immer mit einem anderen Maßstab beurteilt. Ich musste besser sein als | |
die Deutschen. Wenn ich durchschnittlich gespielt hatte, war ich schlecht. | |
Was war es für ein Gefühl, wenn sich die BVB-Fans gegnerischen Spielern | |
gegenüber rassistisch geäußert haben? | |
Wenn ich am Ball war, war Ruhe. Aber bei den anderen wurden Ausdrücke | |
benutzt, die man heutzutage gar nicht mehr verwenden kann. Das war nicht | |
angenehm, zum Glück hat sich das geändert. Heutzutage kennt man das fast | |
gar nicht mehr. | |
Hat sich für Sie später jemals die Frage gestellt, für welche | |
Nationalmannschaft Sie auflaufen wollen würden? | |
Theoretisch hätte ich auch den deutschen Ausweis bekommen können. Aber zu | |
meiner Zeit war das noch kein Thema. Ich bin in der Türkei geboren, das ist | |
mein Vaterland. In Deutschland habe ich mich als Gast gefühlt. | |
Mittlerweile sind Sie als Europa-Koordinator des türkischen | |
Fußballverbandes tätig … | |
Es geht darum, Talente zu sichten, die wir den Nationalmannschaften | |
zuführen. Dabei geht es nicht nur um Deutschland. Wir haben auch viele | |
Landsleute in Österreich, in der Schweiz, in Holland, England, Belgien und | |
Schweden, die von unseren Scouts gesichtet werden. Den Talenten, die gerne | |
für ihr Vaterland spielen würden, ebnen wir den Weg. | |
Wie sieht Ihre Tätigkeit konkret aus? | |
Ich sichte Spiele in ganz Europa, studiere Spielanalysen und sichte die | |
Formgrafiken der Spieler. Das fängt bei den 13-Jährigen an und geht bis zur | |
A-Nationalmannschaft. | |
Schmerzt es Sie, dass bei der U17-WM ein Drittel der deutschen | |
Nationalmannschaft türkischstämmig war? | |
Jeder Spieler trifft seine eigene Entscheidung, und die muss man | |
respektieren. Einige von den Jungs haben mir aber gesagt: "Wir sind ja nie | |
gefragt worden, sonst hätten wir auch für die Türkei gespielt." Um diese | |
Aussagen künftig zu vermeiden, sprechen wir die Spieler wieder an. Wir | |
wollen ihnen vermitteln, dass unsere Tür offen steht. | |
Wird es mittlerweile schwieriger, Spieler für die türkische | |
Nationalmannschaft zu begeistern? | |
Natürlich, wir reden von der dritten, fast schon vierten Generation von | |
Einwanderern. Diese Jungs sind immer im Zwiespalt, wohin sie sollen. Die | |
Familie spricht auch noch gerne mit, das ist nicht leicht. Aber wenn mir | |
einer sagt: "Ich fühle mich hier wohl und will für Deutschland spielen", | |
dann akzeptiere ich das und freue mich, wenn er ein guter Fußballer wird. | |
Der Beste wird sich in beiden Nationalteams durchsetzen. Er soll sich | |
einfach für das Land entscheiden, für das sein Herz schlägt. | |
Gibt es eine Tendenz, dass sich die jüngeren Spieler eher für Deutschland | |
entscheiden? | |
Wenn man das mit meiner aktiven Zeit vergleicht, ist das mit Sicherheit so. | |
Weil aus dem deutschen Jugendlager nicht mehr so viel nachkommt, hat der | |
DFB den richtigen Weg eingeschlagen und ist in die Internationalisierung | |
gegangen. Das betrifft nicht nur türkischstämmige Jungs, sondern auch sehr | |
viele Serben, Kroaten, Ghanaer und andere Nationalitäten. Diese neue | |
Generation fühlt sich hier wohl und identifiziert sich mit Deutschland, | |
daher ist das doch in Ordnung. | |
Der DFB ist nicht gerade begeistert davon, dass Talente von Ihnen | |
abgeworben werden. | |
Es wird ja niemand abgeworben. Ich sag das mal ganz offen: Der DFB hat es | |
ebenso wie der englische oder der österreichische Fußballverband zu | |
akzeptieren, wie sich die Spieler entscheiden. Matthias Sammer ist mal ein | |
bisschen persönlich geworden, aber ich sehe die Sache sehr nüchtern: Die | |
Entscheidung steht jedem Spieler frei. Jeder Verband hat das Recht, die | |
Spieler zu fragen. Der DFB sieht das wohl anders. | |
Was meinen Sie? | |
Es kam auch schon vor, dass Jungs vom DFB zu Sichtungslehrgängen eingeladen | |
werden, obwohl wir sie schon vorher nominiert hatten. Das akzeptieren wir | |
ja auch. | |
Sind Sie bei einem Spieler besonders stolz, dass Sie ihn für die Türkei | |
gewinnen konnten? | |
Da gibt es schon einige. Aber ich möchte niemanden hervorheben, schließlich | |
sind alle wertvolle Spieler. | |
Wo würde die deutsche Nationalmannschaft stehen, wenn man nicht die Spieler | |
mit Migrationshintergrund dabei haben würde? | |
Die U17 wäre sicher nicht bis zur WM gekommen. Und auch bei der | |
A-Nationalmannschaft hat schon fast die Hälfte ausländische Wurzeln. Ich | |
könnte mir vorstellen, dass dieser Anteil in den nächsten Jahren auf 70 | |
Prozent steigt. | |
Sie haben Ihr halbes Leben in Hagen verbracht. Fühlen Sie sich immer noch | |
als hundertprozentiger Türke? | |
Mittlerweile war ich zeitlich genau eine Hälfte in Deutschland, die andere | |
in der Türkei. Hälfte, Hälfte - so fühle ich mich auch. | |
7 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Kai Griepenkerl | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Südafrika verpasst Afrika-Cup: Die wirren Proteste "Bafana Bafanas" | |
Südafrikas Fußballverband protestiert energisch gegen das Aus von "Bafana | |
Bafana" bei der Qualifikation zum Afrika-Cup 2012. Die Argumente sind | |
zumindest originell. | |
Länderspiel Deutschland-Belgien: Teufel in Torlaune | |
Das belgische Nationalteam will endlich wieder an die glorreichen 1980er | |
Jahre anknüpfen. Aber ist die junge Mannschaft auch gut genug, um die | |
EM-Qualifikation zu schaffen? | |
Ironman-Triathlon-WM: Gut, dass sie aus Stahl sind | |
3,86 km Schwimmen, 180 km Radfahren und 42,195 km Laufen. Der | |
Triathon-Klassiker auf Hawaii erlebt am Samstag seine 33. Auflage. Selbst | |
Breitensportler nehmen teil. | |
Deutscher EM-Quali-Gegner Türkei: Mit Zähnen und Klauen | |
Der türkische Fußball wird von einem Manipulationsskandal in der Süper Lig | |
überschattet. Die Nationalmannschaft unter Coach Guus Hiddink ist da ein | |
Hort des Guten. | |
Milde Strafe für Augenpiekser Mourinho: "Die Gewalt zahlt sich aus" | |
Reals Madrids Trainer ist glimpflich davon gekommen. Für seine Attacke auf | |
Barças Co-Trainer muss Mourinho nur eine geringe Summe zahlen. Die | |
spanischen Medien sind empört. | |
Leichtathlet über Sport und Sponsoren: "Die Grenze ist überschritten" | |
Mittelstreckenläufer Andreas Grieß über einen offenen Brief an seinen | |
Verband, das Verhältnis des Sports zum Fernsehen und die Geringschätzung | |
von Athleten. | |
Kolumne Die rätselhafte Welt des Sports: Abschlag fürs gute Gewissen | |
Warum sollen nur unterbeschäftigte Ex-Sportler, sich langweilende | |
Ex-Weltmeister und D-Promis beim Charity-Golf verwöhnt werden? Wir fordern | |
Charity-Golf für alle. | |
Kommentar Sportübertragungsrechte: Spannendes Spiel um Erlöse | |
Der Europäische Gerichtshof hat den Markt für Fußballliveübertragungen | |
revolutioniert. Die Exklusivität ist vom Tisch - es lebe der Wettbewerb. | |
Europäischer Gerichtshof zu Fußballrechten: Fußball ist kein "Werk" | |
Der EuGH hat entschieden, dass Pay-TV-Fußball auch mit billigeren | |
ausländischen Decodern empfangen werden darf. Das System der Rechtevergabe | |
steht vor dem Aus. |