Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Frankreich: Monsieur Jovial
> Der unscheinbare François Hollande hat Martine Aubry als Spitzenkandidat
> für die Präsidentschaftswahl ausgestochen. Jetzt hat er gute Chancen,
> Sarkozy abzulösen.
Bild: Ein ernstzunehmender Konkurrent für Sarkozy? François Hollande.
Im Café Richelieu kennt François Hollande von den Gästen, denen er
leutselig die Hände schüttelt oder einen Wangenkuss gibt, nicht nur den
Vornamen, sondern auch ihre halbe Lebensgeschichte.
Dem Lokalreporter der Regionalzeitung La Montagne klopft er auf die
Schulter: "Bis später!" Hier in Tulle, der Hauptstadt der Corrèze am
westlichen Rand des Zentralmassivs, ist Hollande zu Hause. Das war nicht
immer so.
Denn eigentlich stammt er aus Rouen in der Normandie, wo er am 12. August
1954 als Sohn eines Arztes und einer Sozialarbeiterin zur Welt gekommen
ist.
Im Unterschied zu so vielen Politikern, die sich in Frankreich einen
Wahlkreis aussuchen, der ihnen eine möglichst leichte Wahl verheißt, wurde
er vor dreißig Jahren im Auftrag des Sozialisten François Mitterrand wie
ein Fallschirmspringer mit einer unmöglichen Mission hinter feindlichen
Linien in der Bastion des Gaullisten Jacques Chirac abgesetzt.
## Politisch kompatibel
Schon 1988 eroberte Hollande ein erstes Mandat als Abgeordneter, 2001 wurde
er Bürgermeister von Tulle, 2008 dann Vorsitzender des Départements
Corrèze. Ein politischer Gegner oder gar Feind von Chirac war er da schon
längst nicht mehr. Dafür kennen und schätzen sich die beiden seit langem
viel zu sehr.
Natürlich stehen sie nach wie vor politisch nicht im selben Lager, aber der
Sozialist Hollande hat dem Konservativen Chirac bei seinem Umgang mit den
Bauern und anderen Wählern viel abgeguckt. Im Juni 2011 ließ sich der
pensionierte Staatspräsident bei einem Ausstellungsbesuch in der Corrèze
zur Bemerkung hinreißen: "2012 wähle ich Hollande!" Sein Parteikollege
Nicolas Sarkozy soll getobt haben.
Die Anekdote ist bezeichnend für François Hollande. Er ist politisch
kompatibel mit der Linken, mit der Mitte und womöglich auch mit einem Teil
der Rechten. Er ist deswegen bei den Präsidentschaftswahlen Sarkozys
gefährlichster Gegner. An seiner höflich-jovialen Art und Schlagfertigkeit
drohen ideologische Angriffe abzugleiten.
Lieber hätte sich Sarkozy mit der als "harte Linke" geltenden Martine Aubry
gestritten. Auch Aubry hatte ihren Rivalen als "Weichling" zu
diskreditieren versucht. Doch in Wirklichkeit ist Hollande einfach
elastisch.
Inzwischen weiß Sarkozy, dass er diesen so furchtbar netten und
umgänglichen Politiker nicht unterschätzen darf. Spätestens bei den
Primärwahlen der Sozialisten, denen Hollande jetzt seine Nominierung zum
Präsidentschaftskandidaten verdankt, hat sich dieser "Monsieur Jovial" als
geschickter Stratege entpuppt.
Eigentlich war er viel zu früh in dieses Rennen gestartet, in dem er neben
dem zum Topfavoriten erklärten IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn wie ein
hoffnungsloser Außenseiter aussah. Als dann Strauss-Kahn über seine
Skandale und Affären stolperte, stand Hollande plötzlich als ernsthafter
Ersatzmann im Raum. Und dank des enormen Erfolgs dieser erstmaligen
"Primärwahlen", an denen rund drei Millionen Sympathisanten teilnahmen,
gelang ihm sogar das Kunststück, die Rolle eines bloßen Stellvertreters
loszuwerden.
Als Hollande von 1997 bis November 2008 Parteichef der Sozialisten war,
lobten alle seine Führungsqualitäten und sagten zugleich, dass diesem
cleveren Taktiker leider jegliches Charisma fehle, das in Frankreich für
eine Führungsrolle unentbehrlich sei. Parteiintern war er in dieser Zeit
nicht nur die rechte Hand von Lionel Jospin, als dieser von 1997 bis 2002
unter dem rechten Präsidenten Chirac der linke Premierminister einer
Kohabitationsregierung war.
Wie er heute unterstreicht, war er an allen Reformen der Regierung
beteiligt. Denn immer wieder hält man ihm vor, ihm fehle es an Erfahrung,
weil er ja nie Minister gewesen ist. Vor allem aber fädelte er unter den
ewig zerstrittenen Genossen bei den Kongressen jeweils mit viel Diplomatie
die nötige Synthese ein.
## Überzeugter Europäer
Zu Hause bei den Hollandes, die ihren Familiennamen von protestantischen
Ahnen haben, die im 16. Jahrhundert vor der Inquisition aus den
Niederlanden nach Frankreich geflüchtet waren, gab es keine linke
Tradition. Der Vater kandidierte im Gegenteil sogar in den 60er Jahren für
eine rechtsextreme Liste und sympathisierte mit der OAS gegen die
algerische Befreiungsbewegung.
Mit 18 engagierte sich François Hollande bei den Sozialisten von François
Mitterrand. Schon als Student habe er seine Kommilitonen mitgerissen, sagt
sein damaliger Mitschüler und heutiger Berater Michel Sapin: "Er war ein
Leader, aber nicht wegen seiner Autorität, sondern wegen des Charmes seiner
Intelligenz, die dazu einlud, ihm zu folgen."
Während sich Jospin, Fabius, Rocard, die "Elefanten" der Parti Socialiste,
um Mitterrands Erbe stritten, verfolgte Hollande mit seinem internen Klub
"Transcourants" (Quer durch alle Strömungen) und danach "Démocratie 2000"
abseits der Machtkämpfe politische Ziele.
Er ist als klar proeuropäischer Sozialdemokrat mehr ein Schüler des
früheren EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors als von François
Mitterrand, dessen strategische Gerissenheit er aber noch heute bewundert.
Bei diesem wurde er ab 1981 als junger Präsidentenberater, an der Seite
seiner Arbeits- und Lebensgefährtin Ségolène Royal, in das Handwerk der
Staatsführung vor und hinter den Kulissen eingeführt.
Die beiden hatten sich in der Kaderschmiede der Verwaltungshochschule ENA
kennen und lieben gelernt, in die Hollande nach seinen Diplomen in
Politischer Wissenschaft, Recht und nach der Elitehandelsschule HEC
eingetreten war.
## Der Anti-Sarkozy
Dieses Duo Royal/Hollande schien damals in der Politik, im Beruf wie im
Privatleben unzertrennlich. Sie haben zusammen vier Kinder, waren aber nie
verheiratet. Die Trennung 2007 kam für viele überraschend, als Royal als
Präsidentschaftskandidatin ankündigte, sie habe ihrem untreuen Ex geraten,
das gemeinsame Domizil zu verlassen, und im Übrigen wünsche sie ihm, mit
der anderen glücklich zu werden.
Diese "andere" ist die 36-jährige Fernsehjournalistin Valérie Trierweiler,
die bisher eine politische Sendung auf dem Privatkanal Direct 8 moderiert
hat. Sie hat viel zu Hollandes Wandel beigetragen. Sie hat ihm beigebracht,
wie man sich in den Medien Gehör verschafft.
Ihr und seiner Karriere zuliebe hat Hollande mehrere Kilos abgenommen und
sich einen modischen Look verpassen lassen. Selbst in seiner Art zu reden,
ist er weniger rundlich. Die Leute sollen ruhig merken, dass er nicht nur
bellen, sondern auch beißen kann.
Bei den Primärwahlen der Sozialisten hat sich Hollande im Unterschied zu
seiner Rivalin Aubry bereits schon in der Anrede nicht nur an die Genossen
und Genossinnen Linkswähler, sondern an die Französinnen und Franzosen
gerichtet. Er verspricht ihnen einen Wechsel nach mehr als vier
"unerträglichen" Jahren Sarkozy-Präsidentschaft. Er verspricht ihnen dabei
nicht das Blaue vom Himmel. Er sagte in seiner Siegesansprache am
Sonntagabend, wohl in Anspielung auf den bekannten American Dream, er wolle
"Frankreichs Traum" (von Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit und
nationaler Größe) zu neuem Leben erwecken.
Die Krise und die unter Sarkozy akkumulierten Schulden engen den Spielraum
für eine Politik sozialer Reformen grausam ein. Hollande verheimlicht
nicht, dass die Sparpolitik, wenn auch in einer sozial gerechter verteilten
Form, fortgesetzt werden müsse. Eine Mehrheit der Bürger scheint es ihm
abkaufen zu wollen. "Alles - bloß nicht mehr Sarkozy", hatten viele
Teilnehmer der Primärwahlen zu ihren Motiven gesagt. Das ist nichts
besonders schmeichelhaft für den glücklichen Sieger dieser Kandidatenkür.
Hollande hat sich ganz bewusst als Anti-Sarkozy profiliert, weil sich der
aktuelle Präsident mit seinen selbstherrlichen Allüren, seinem
autokratischen Machtgehabe und seinen allzu ostentativen Freundschaften zu
Frankreichs Milliardären bei seinen Landsleuten in Misskredit gebracht hat.
Weil unter Sarkozy nichts "normal" gewesen sei, wolle er im Gegensatz zum
jetzigen Staatschef ein "normaler" Präsident werden, hatte Hollande in der
Pose eines Biedermanns, eines Nachbarn von nebenan gesagt. "Anti-Sarkozy",
das ist zunächst jedoch nur ein Image und kein Programm.
Europa- und außenpolitisch würde sich bei einer Wahl von Hollande wohl kaum
viel ändern. Die französischen Sozialisten hoffen bereits, dass auf ihren
erwarteten Sieg auch ein Regierungswechsel in Deutschland folgt, der dann
die Rahmenbedingungen für die Zusammenarbeit mit Berlin ändern soll.
18 Oct 2011
## AUTOREN
Rudolf Balmer
## ARTIKEL ZUM THEMA
Eric Cantona will Präsident werden: Armenretter "King Eric"
Ex-Fußballstar, Schauspieler – und Präsidentschaftskandidat. Eric Cantona
will den französischen Wahlkampf aufmischen. Sein Motiv: soziales
Engagement.
Frankreichs Justiz will Unabhängigkeit: Hartnäckige Untersuchungsrichter
Erst vor kurzen protestierten 127 Staatsanwälte öffentlich dagegen, dass
sie sich den Weisungen des Justizministeriums unterzuordnen haben. Es
scheint gewirkt zu haben.
Prozess gegen französischen Expräsident: Chirac schuldig gesprochen
Im Prozess wegen Veruntreuung ist der ehemalige französische Präsident
Jacques Chirac zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. Die
Verteidigung erwägt, Berufung einzulegen.
Wahlabsprache in Frankreich: Grundsätze für ein paar Sitze verkauft
Grüne und Sozialisten in Frankreich haben sich auf eine Wahlabsprache
geeinigt. Die Einigung kam schnell – die echten Streitpunkte wurden einfach
ausgeklammert.
Zur Blitzhaftigkeit von Treffen, Kriegen etc.: The Frankfurt Blitz
Ganz schnell muss es immer gehen, wenn Probleme gelöst oder Kriege gewonnen
werden sollen. Das heißt dann "Blitz". Historisch gesehen ist die Methode
aber ineffektiv.
Carla Bruni bringt Mädchen zur Welt: Elysée-Bébé est arrivé
Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy und Gattin Carla Bruni
haben ein Mädchen bekommen. Der Papa hat die Geburt verpasst – er war bei
Angela Merkel.
Deutsch-Französisches Führungsduo: Treffen von Merkel und Sarkozy
Kanzlerin und Präsident haben trotz eines Treffens keine gemeinsame
Position zum Schuldenschnitt. Frankreichs Spitzenbonität ist weiter
bedroht.
Kommentar François Hollande: Das Gegenteil von Sarkozy
Die Primärwahlen geben Hollande eine Legitimität, wie sie bisher noch kein
Kandidat hatte. Er startet mit einem klaren Vorteil in die Kampagne gegen
Sarkozy. Bis jetzt.
Vorwahlen der Sozialisten in Frankreich: Hollande soll Präsident werden
Der ehemalige Chef der französischen Sozialisten, Hollande, hat die
Nominierung als Präsidentschaftskandidaten gewonnen. Dem ging ein hitziger
Wahlkampf voran.
Sozialistenvorwahl in Frankreich: Hollande siegt knapper als erwartet
Er und Parteichefin Aubry gehen in die Stichwahl. Und Arnaud Montebourg
gilt als "Königsmacher". Eins ist jetzt schon klar: Die Öffnung der
Vorwahlen war ein voller Erfolg.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.