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# taz.de -- Nachruf auf Friedrich Kittler: Medien bestimmen unsere Lage
> Mit seinem Blick auf Maschinen, Alphabete, Zahlen und Computer hat er
> unsere Sicht auf die Welt verändert. Der Medientheoretiker Friedrich
> Kittler ist tot.
Bild: Las Maschinen so genau wie Texte: Friedrich Kittler.
Am Dienstag starb Friedrich Kittler, ein Großer unter den Denkern unserer
Zeit. Am Freitag zuvor sah ich ihn zum letzten Mal im Krankenhaus. Seine
Stimme war schon schwach, ein Bildschirm zeichnete jeden Herzschlag nach,
Alarme und Blinklichter unterbrachen unser Gespräch, wann immer er sich
regte. "Mehr Licht", flüsterte er, "reden Sie über Theorie".
In Bochum vor 33 Jahren hörte ich ihn zum ersten Mal. Er sprach über Orson
Welles' Hörspiel "Der Krieg der Welten". Ich meldete mich zu Wort und warf
ein, dass es darin nicht nur ums Radio selbst ginge, dass es noch eine
Message neben dem Medium gab. Damit zog ich seinen Zorn auf mich. Es
mussten ein paar Jahre vergehen, ehe Kittler zu dem Lehrer wurde, von dem
ich mehr gelernt habe als von irgendjemand anderem.
"Medien bestimmen unsere Lage", schrieb er im Vorwort zu "Film Grammophon
Typewriter" und gab damit das Signal für eine neue Theorie, die zuallererst
beim Medium als etwas Technischem ansetzte. In seinem Wohnzimmer in Bochum
und später auch in Berlin gab es immer die Ecke, wo Schaltplatinen und
Lötkolben herumlagen. Programmieren wurde zur Obsession, Maschinen, Formeln
und Maschinencode wurden mit derselben Genauigkeit gelesen wie Texte.
Seine Größe aber lag in etwas Anderem. Er begründete eine Denkweise, die
eine eigene Welt hervorbringt. Damit erreichte er das Höchste, was Denken
überhaupt möglich ist. Man mag seine Sichtweise teilen oder nicht, man mag
sich davon abwenden oder sie weiterführen. Aber wie immer man sich dazu
verhält, es steht fest, dass er mit seinem Denken unsere Sicht auf die Welt
verändert hat.
## Den Menschen loswerden
Die Schriften von Marshall McLuhan standen für ihn an einem Ausgangspunkt.
Um den Menschen loszuwerden, als dessen Fortsatz McLuhan die Medien noch
immer sehen wollte, berief sich Kittler auf die Psychoanalyse Jacques
Lacans und auf Michel Foucault, dessen Diskursanalyse er ins Technische
wendete. Die sogenannte deutsche Medientheorie, von der in letzter Zeit im
Netz so oft die Rede ist, geht wesentlich auf das Werk Kittlers zurück.
Doch er selbst ist dabei nicht stehen geblieben. 1995 stellte er im
Nachwort zur dritten Auflage seines Buches "Aufschreibesysteme" fest:
"Mediengeschichte wäre nur verkappte Nostalgie, wenn sie auf dem Umweg über
Schreibzeuge und Nachrichtentechniken wieder bei Dichterreliquien und
Gedanken ankäme. Sie steht und fällt vielmehr mit der Heideggerschen
Prämisse, dass Techniken keine bloßen Werkzeuge sind." Nirgends zeigt sich
das besser als in unserer vom Internet geprägten Zeit.
Wenig hätte gefehlt, um die Theorie technischer Medien für die Gegenwart
des Netzes fruchtbar zu machen. Doch Kittlers Befürchtung, dass sein Ansatz
als Geschichte ins Nostalgische kippen könnte, bewahrheitete sich.
Er selbst sagte sich von seiner zum akademischen Mainstream gewordenen
Schule los, um sich einer neuen Wahrheit zuzuwenden: den Griechen, der
Liebe, der Musik und der Mathematik. Sosehr er damit Befremden noch unter
seinen eigenen Schülern hervorrief, so konsequent dachte er sich selbst
damit an einen Ursprung und ein Ende.
Wenn es im Schreiben eine Wahrheit gibt, dann am Anfang, bei der
griechischen Schrift, der ersten, die alle Sprachen und Laute notieren
kann. Dort finden sich auch die Ursprünge von "Musik und Mathematik", so
der Titel seines jüngsten, auf acht Bände angelegten Werkes, von denen zwei
erschienen sind. "Und wenn sie nicht gestorben sind, so leben sie noch
heute. Grad wie du und ich" lauten die vorletzten Sätze seines letzten
Buches.
18 Oct 2011
## AUTOREN
Stefan Heidenreich
## TAGS
Kritische Theorie
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