| # taz.de -- Debatte Milliardäre: Von Roosevelt lernen | |
| > Superreiche wollen vernünftige Steuern zahlen, um den Kapitalismus zu | |
| > retten. Warum jetzt? Roosevelt hatte die Idee bereits 1933. | |
| Warren Buffett lässt nicht locker. Der US-Milliardär will unbedingt mehr | |
| Steuern zahlen. Er bombardiert die New York Times mit Artikeln, in denen er | |
| vorrechnet, dass er von seinem Millioneneinkommen prozentual nur halb so | |
| viel abführen muss wie ein normaler Angestellter. | |
| Das ist fraglos ein Skandal. Allerdings ist er nicht neu. Buffett hätte | |
| auch schon vor fünf Jahren auffallen können, dass die Millionäre weltweit | |
| zu wenig Steuern zahlen. Warum also meldet er sich jetzt? | |
| Warren Buffett ist eben schlau. So schlau, dass er gern auch das "Orakel | |
| von Omaha" genannt wird. Und Buffet hat erkannt, dass den Reichen dieser | |
| Welt nur noch die Wahl zwischen zwei Übeln bleibt: Entweder sie zahlen mehr | |
| Steuern, was ein kontrollierter Vermögensverlust wäre - oder aber die | |
| Weltwirtschaft kollabiert in einem Crash, was einem unkontrollierten | |
| Vermögensverlust gleichkäme. Angesichts dieser Alternativen will Buffett | |
| lieber auf der Kommandobrücke bleiben, weswegen er nun so vehement für | |
| Reichensteuern plädiert. Er hat eingesehen, dass nur noch ein starker Staat | |
| den Kapitalismus retten kann. | |
| ## Doch nicht "Masters of the Universe" | |
| Es ist auch kein Wunder, dass der US-Milliardär hektisch wird. Denn der | |
| unkontrollierte Vermögenscrash, den Buffett so fürchtet - er hat bereits | |
| eingesetzt. Weltweit herrscht ein "Anlagenotstand", weil die Renditen die | |
| Inflation nicht mehr ausgleichen. Real erhalten die Vermögenden also nur | |
| noch Negativzinsen, was ihren Besitz sukzessive entwertet. | |
| Selbst einst mächtige Investmentbanken melden nun Verluste, wie Goldman | |
| Sachs in dieser Woche einräumte. Die Banker sind eben doch nicht die | |
| "Masters of the Universe", als die sich seit Gordon Gekko inszenieren. | |
| Stattdessen müssen sie nun erleben, dass sich die Finanzwelt nicht von der | |
| Realwirtschaft abkoppeln kann, die ja die Renditen erzeugt, die die | |
| Investoren kassieren möchten. Es kann nicht funktionieren, dass das | |
| Geldvermögen explodiert, während die Welt in eine Rezession abgleitet. Als | |
| Finanzinvestor hat Buffett daher erkannt, dass er seine | |
| Investitionsstrategie ändern muss - statt weiter Finanztitel zu erwerben, | |
| will er nun direkt das Wirtschaftswachstum forcieren. | |
| Die Wirtschaft wächst jedoch nur, wenn die Nachfrage zulegt - und Nachfrage | |
| kann am besten der Staat erzeugen. Denn der Staat hat einen Vorteil, den | |
| viele gar nicht als Vorteil erkennen: Er legt garantiert keine Ersparnisse | |
| an, sondern gibt seine Mittel komplett aus. Dafür muss man dem Staat | |
| wirklich dankbar sein, denn es wird schon viel zu viel gespart. | |
| Vor allem die Vermögenden betätigen sich als Sparschweine, womit sie genau | |
| das Wachstum abwürgen, das ihre Renditen erwirtschaften sollen. Diesen | |
| Unsinn will Buffett nun beenden, indem er die Reichen zur Zahlung höherer | |
| Steuern zwingt. | |
| ## Spitzensteuersatz bei 79 Prozent | |
| Buffett musste gar nicht besonders kreativ werden, um auf diesen Einfall zu | |
| kommen. Ein Blick in die Geschichte genügt. Schließlich gab es ab 1929 eine | |
| ganz ähnliche Wirtschaftskrise, und die international beste Lösung hieß | |
| damals "New Deal", der unter dem US-Präsidenten Franklin D. Roosevelt | |
| begonnen wurde. Am Ende lag der Spitzensteuersatz bei 79 Prozent und die | |
| Erbschaftsteuer bei 77 Prozent. | |
| Das Ergebnis war bekanntlich nicht das Ende des Kapitalismus, sondern ein | |
| immenses Wirtschaftswachstum, das eine breite Mittelschicht entstehen ließ. | |
| Am Ende profitierten sogar die Reichen, obwohl sie so hohe Steuern zahlen | |
| mussten. | |
| So drastisch müssten die Steuersätze diesmal gar nicht steigen, denn damals | |
| war ja auch noch ein Zweiter Weltkrieg zu finanzieren. Doch die Lehre aus | |
| diesem historischen Experiment namens New Deal gilt auch heute noch: Der | |
| Kapitalismus kann nur überleben, wenn die Kapitalisten in einen starken | |
| Staat investieren. | |
| Der New Deal ist nicht von der Person Roosevelt zu trennen. Ein anderer | |
| Präsident hätte diese drastischen Steuererhöhungen wahrscheinlich niemals | |
| durchsetzen können. Doch der Demokrat Roosevelt brachte ein Argument mit, | |
| das auch Republikaner sofort überzeugte: Er stammte selbst aus der | |
| absoluten Oberschicht. Sein Vater hatte gar nicht erst gearbeitet, sondern | |
| gleich als Rentier begonnen, und auch Franklin D. Roosevelt hätte es sich | |
| lebenslang bequem machen können. Dass nun ausgerechnet dieser | |
| Multimillionär seine eigene Kaste belasten wollte, überzeugte viele Reiche | |
| in den USA davon, dass Steuererhöhungen nicht den gefürchteten Klassenkampf | |
| bedeuteten, sondern offenbar ihren eigenen Interessen dienen sollten. | |
| ## Noch ist Buffett unverstanden | |
| Mit Warren Buffett taucht nun erstmals wieder ein Vertreter der obersten | |
| Oberschicht auf, der das Bündnis mit den Massen sucht, um den gefährdeten | |
| Kapitalismus zu reformieren. Doch anders als Roosevelt 1933 trifft Buffett | |
| bisher nicht auf US-Bürger, die ihn mehrheitlich verstehen würden. | |
| Die Republikaner und ihre Tea-Party-Anhänger sind weiter für radikale | |
| Steuersenkungen, während die "Occupy Wall Street"-Bewegung wiederum nicht | |
| ganz den richtigen Gegner attackiert, indem sie sich vor allem auf die | |
| Investmentbanken konzentriert. | |
| Damit keine Missverständnisse aufkommen: Die Investmentbanken sind viel zu | |
| mächtig. Ihre Geschäfte müssen zum Teil verboten und der Rest muss strikt | |
| reguliert werden. Dennoch führt es in die Irre, monoman die Banken zum | |
| Symbol des Bösen zu stilisieren. Denn letztlich sind Banken nur Gefäße, die | |
| das Vermögen der Vermögenden verwalten. | |
| Es genügt also nicht, Zeltstädte vor den Banken in New York oder Frankfurt | |
| aufzuschlagen, sondern die Demonstranten müssten sich auf klare Forderungen | |
| einigen, wie die Reichen zu belasten sind. Auch die Wall-Street-Okkupanten | |
| könnten sich am New Deal orientieren. | |
| Während der ersten Weltwirtschaftskrise wurde vier Jahre lang mit den | |
| falschen Rezepten experimentiert, bis schließlich 1933 mit dem New Deal die | |
| richtige Antwort gefunden wurde. Wir leben derzeit im dritten Jahr einer | |
| weltweiten Finanzkrise. Wenn die historische Analogie trägt, dann wäre es | |
| also noch zu früh, die Hoffnung aufzugeben, dass sich Warren Buffett mit | |
| seinen Ideen durchsetzt. | |
| 23 Oct 2011 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrike Herrmann | |
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