# taz.de -- Gemeindereform Niedersachsen: Bei Hochzeit Prämie | |
> Die niedersächsische Landesregierung macht fusionswilligen Kommunen | |
> Geldgeschenke: 75 Prozent der kurzfristig aufgenommenen Kredite werden | |
> erlassen. | |
Bild: Haben sich den Schritt hoffentlich gut überlegt: Heiratskandidaten mit Z… | |
HANNOVER taz | "Wurster Nordseeküste", so soll die neue niedersächsische | |
Gemeinde heißen, die die Gemeinden Land Wursten und Nordholz ab 2014 bilden | |
werden. Selbst ein Bürgerbegehren konnte die Fusion nicht verhindern: | |
Montag wurde sie mit einem sogenannten Zukunftsvertrag besiegelt. Gleich | |
vier solcher Verträge schließt Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann | |
(CDU) in dieser Woche mit klammen Kreisen und Gemeinden ab. | |
Schon 2009 haben Land und kommunale Spitzenverbände die Einführung der | |
Zukunftsverträge beschlossen: Bei einer Fusion übernimmt Niedersachsen bis | |
zu 75 Prozent der kurzfristig aufgenommenen Kredite quasi als | |
Hochzeitsprämie. Ende Oktober sollte die Bewerbungsfrist der Kommunen für | |
einen Zukunftsvertrag ursprünglich enden, im Sommer wurde sie bis Ende März | |
2013 verlängert. 70 Millionen Euro stellen Land und Kommunen dafür ab 2012 | |
jährlich bereit. | |
21 Zukunftsverträge und Entschuldungshilfen über insgesamt knapp 300 | |
Millionen Euro sind bislang beschlossen. Gespräche über Zukunftsverträge | |
führt das Innenministerium nach eigenen Angaben mit über 100 Kommunen. | |
Zuspruch findet das Instrument allerdings vornehmlich bei den kleineren | |
Gemeinden, Landkreise halten sich zurück. Und auch zu Fusionen kommt es nur | |
bei sechs der 21 Verträge. Denn auch Kommunen, die eigenständig bleiben | |
wollen, können Entschuldungshilfen bekommen - wenn sie in einem | |
Sanierungskonzept nachweisen können, ihren Haushalt innerhalb von zwei | |
Jahren auszugleichen. Bei einer Fusion haben sie dafür fünf Jahre Zeit. | |
Das Innenministerium ist mit der Bilanz zufrieden, Sprecherin Vera | |
Wucherpfennig sieht "Bewegung im ganzen Land". Aus den Kommunen selbst ist | |
auch Skepsis zu hören: "Die Zukunftsverträge sind flächendeckend nicht das | |
richtige Instrument", sagt etwa Bernhard Reuter, derzeit SPD-Landrat im | |
Landkreis Osterode, ab November Landrat in Göttingen. Im neuen Amt strebt | |
er zwar eine Fusion der Kreise Göttingen, Northeim und Osterode an. Als | |
Antwort auf die kommunale Finanzkrise und den demographischen Wandel | |
reichen sie Reuter, der zugleich Vorsitzender des Niedersächsischen | |
Landkreistags ist, aber nicht aus. | |
Bei fünf Milliarden Euro liegen derzeit allein die Kassenkredite aller | |
niedersächsischen Kreise und Gemeinden zusammen. Schon 2010 hatte der | |
Verwaltungswissenschaftler Joachim Jens Hesse festgestellt, dass 19 von 37 | |
niedersächsischen Landkreisen und drei von acht kreisfreien Städten | |
angesichts ihrer kommunalen Strukturen, Haushaltslage und Demografie nicht | |
überlebensfähig seien. Da die Aufrufe zur freiwilligen Zusammenarbeit | |
bisher erfolglos geblieben seien, sei eine Gebietsreform unausweichlich und | |
Fusionen nicht zu vermeiden, so das Fazit des Gutachtens, das Hesse im | |
Auftrag der Landesregierung erstellt hatte. | |
Aus der Opposition kommt Kritik an den Zukunftsverträgen von Schwarz-Gelb: | |
Für die Landtagsgrünen sind sie bloß eine "Scheinlösung": Übernommen werden | |
nur Schulden, die die Kommunen bis Ende 2009 gemacht haben - Schulden, die | |
sich danach während der Finanz- und Wirtschaftskrise angehäuft haben, sind | |
nicht berücksichtigt. Die SPD vermisst ein Leitbild und ein Gesamtkonzept | |
für die Kommunalpolitik der schwarz-gelben Landesregierung. Weder für die | |
Neugliederung des regionalen Zuschnitts der Kommunen, noch für deren | |
Finanzierung gebe es klare Vorstellungen. Die Linksfraktion spricht von | |
"Erpressung" - zur Haushaltssanierung müssten die Kommunen "ihre sozialen | |
und kulturellen Leistungen beschneiden". | |
Innenminister Schünemann hingegen betont stets, er ziehe freiwillige | |
Fusionen einer angeordneten Gebietsreform vor. "Die kommunale | |
Selbstverwaltung ist ein hohes Gut", sagt seine Sprecherin Wucherpfennig. | |
"Wir wollen die Bürger mitnehmen." | |
25 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Teresa Havlicek | |
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