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# taz.de -- Bundestagsentscheidung zum EFSF: Schattenboxen um das Billionending
> Eben noch Spekulation, jetzt schon Parlamentsmehrheit: Die Ausweitung des
> Rettungsschirms EFSF samt Hebel - mit den Stimmen der Opposition.
Bild: Da lächelt sie: Kanzlerin Merkel nach der Abstimmung.
BERLIN taz | Christian Lindner witzelt um kurz nach halb zwölf in der Lobby
des Bundestags mit einem Kameramann. "Schön, dann haben Sie ja meine
Schokoladenseite", sagt der FDP-Generalsekretär und dreht sich noch etwas
zur Scheinwerfer-Phalanx. Dann legt er los: Von Konzessionen, die die FDP
habe machen müssen, könne keine Rede sein, schließlich werde ja gar kein
Hebel beim Rettungsschirm beschlossen - sondern eine Versicherung.
Noch in der Rettungsschirm-Debatte im September hatte die FDP gegen genau
das gewettert, was sie gestern beschloss. Doch eines muss man Lindner
zugestehen: Er war nicht der einzige, der sich bei der Bundestagsdebatte
über die Instrumente, die den 440 Milliarden Euro schweren Rettungsschirm
auf Billionenbeträge aufstocken sollte, in semantische Feinheiten retten
musste. Die Diskussion krankte an zwei Widersprüchen: Die Regierung
begründete etwas, was sie bis Mitte vergangener Woche als Spekulation
abtat. Und die Opposition mühte sich, sie vorzuführen, gleichzeitig aber zu
begründen, warum ihre Zustimmung unvermeidbar sei.
Als Kanzlerin Angela Merkel den Plenarsaal betritt, ist eines ihrer ersten
Ziele die Bank der SPD. Auch Guido Westerwelle schlendert wenig später
hinüber und scherzt minutenlang mit Frank-Walter Steinmeier und Sigmar
Gabriel. Wir sind uns einig, soll das ausdrücken, es nimmt die breite
gemeinsame Mehrheit bei der Abstimmung am Nachmittag vorweg. Schließlich
hatten sich die Fraktionen von Union, FDP, SPD und Grünen auf einen
Entschließungsantrag geeinigt - nur die Linkspartei stimmte dagegen.
## Ungewohnter Pathos von der Kanzlerin
Der erste Tagesordnungspunkt ist die Regierungserklärung Merkels. Sie
braucht ein starkes Mandat, weil sie abends erneut zum Treffen der
StaatschefInnen in Brüssel reist. Mit ungewohntem Pathos zeichnet sie ein
dramatisches Bild von der aktuellen Krise. "Die Welt schaut darauf, ob wir
bereit und fähig sind, in der Stunde der schwersten Krise Europas seit dem
Ende des Zweiten Weltkriegs Verantwortung zu übernehmen."
Als sie zu dem viel diskutierten Hebel kommt, bleibt sie gewohnt nüchtern.
Es habe ja eine "umfassende öffentliche Debatte" darüber gegeben, hebt
Merkel an, welche Formen der Abschirmung möglichst effizient seien. Ob
durch diese innerhalb der deutschen Haftung von 211 Milliarden mehr Geld
ausgegeben werden müsse, könne niemand abschätzen, sagt sie. "Das Risiko,
das wir mit der jetzt vorgeschlagenen Maximierung eingehen, ist
vertretbar." Sie schiebt nach: "Und es wäre nicht vertretbar, es nicht
einzugehen."
Darüber, dass ausgerechnet die Kanzlerin die "umfassende Debatte"
hervorhebt, kann man sich dabei nicht genug wundern. Tat die Regierung doch
in den vergangenen Wochen alles, um eine solche zu verhindern. Noch bei der
Abstimmung über den Rettungsschirm Ende September hatte der
FDP-Fraktionschef Hebelmodelle als "Unfug" bezeichnet, der Finanzminister
als Spekulationen.
## "Keine Carte blanche"
Frank-Walter Steinmeier pickt mit dem Zeigefinger in die Luft, als er einen
Vergleich in die Runde ruft: Nach dem Struckschen Gesetz - das geflügelte
Wort seines Vorgängers Peter Struck, das besagt, das kein Gesetz das
Parlament so verlasse, wie es hineinkomme - gelte längst das Merkelsche
Gesetz: "Je bestimmter Sie, Frau Kanzlerin, etwas ausschließen, desto
sicherer kommt es am Ende doch." Mit Blick auf die September-Debatte hatte
er ihr zuvor vorgeworfen, unehrlich mit dem Parlament umzugehen. Er zählt
genüsslich die diversen Kehrtwendungen der Regierung in der Krise auf, er
gibt mit nachgerade verblüffender Offenheit zu, die zweite Hebeloption im
Entschließungsantrag nicht verstanden zu haben. "Deshalb erteilen wir Ihnen
hier keine Carte blanche."
Damit bereitet Steinmeier schon die nächste Attackelinie vor. Wenn Merkel
aus Brüssel mit einer verhandelten Lösung zurückkommt, will er wieder eine
Befassung des Bundestags. Und wieder sieht das die Union anders.
Fraktionschef Volker Kauder macht wenig später klar, dass eine Abstimmung
im Haushaltsausschuss dann reichen werde.
Steinmeiers Eingeständnis ist ein lichter Moment der Debatte. Ist schon das
Eingeständnis, etwas nicht zu verstehen, eine Seltenheit im politischen
Betrieb der Hauptstadt - dass dies der SPD-Fraktionschef in der
Plenardebatte tut, ist einzigartig. Und es entspricht dem Gefühl vieler
Abgeordneten: Ein dreieinhalbseitiges, in technischem Englisch verfasstes
Papier ist seit Anfang der Woche die wichtigste Information für die
Parlamentarier, auf dieser Basis wurde der Entschließungsantrag entwickelt.
## "Flüchten nicht aus Verantwortung"
Jürgen Trittin, Fraktionschef der Grünen, schafft es am Rednerpult,
zumindest glaubwürdig den Eindruck tieferen Verständnisses zu erwecken. Er
rechnet vor, dass sich das Risiko, dass deutsche Milliardengarantien fällig
werden, verdreifacht, er wirft Merkel vor, dass sie es scheut, ehrlich vom
Hebel zu sprechen. "Es ist der berechtigte Anspruch der Menschen, dass Sie
ihnen das erklären."
Sowohl er als auch Steinmeier kommen aber zum gleichen Schluss, in jeweils
anderen Modulationen. Trittin betont nüchtern, der Hebel sei notwendig,
weil alle Sparanstrengungen in Griechenland sonst nicht zum Erfolg führen
könnten. Der SPD-Mann wird pathetisch: "Wir flüchten nicht aus der
Verantwortung, weil wir eine Oppositionspartei sind." So reden zwei, die
sich längst in der Regierung sehen.
26 Oct 2011
## AUTOREN
Ulrich Schulte
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