# taz.de -- Occupy Frankfurt: Im Reich der Hinterfrager | |
> Zwischen Feuertonnen und Deals mit dem Ordnungsamt - hier treffen Welten | |
> aufeinander. Zu Besuch im Camp der Occupy-Aktivisten in Frankfurt. | |
Bild: Langsam wird es kälter. Doch die Occupy-Frankfurt-Aktivisten bleiben. | |
FRANKFURT/M. taz | Über den Schuldenschnitt diskutieren sie nicht. Auch | |
Rettungsschirme und Staatspleiten stehen nicht auf der Tagesordnung. Es | |
gibt Dringenderes zu besprechen. | |
"Sind denn die Flyer für die Demo schon fertig?", fragt ein Camper in die | |
Runde. Er und die anderen Occupy-Frankfurt-Aktivisten sitzen in einem | |
großen Kreis auf der Wiese. Über ihnen erhebt sich der Glasturm der | |
Europäischen Zentralbank. Einige teilen sich zerrissene Pappkartons als | |
Sitzkissen. Andere sitzen auf Klappstühlen. Zu kalt ist der Boden | |
mittlerweile, das Gras feucht. | |
"Ein junger Banker möchte uns mit 20 bis 25 Liter Kaffee unterstützen!", | |
verkündet der Moderator der Runde. Applaus. Jede Unterstützung ist | |
willkommen. "Ist genug Geld in der Kasse, um den gestohlenen Projektor zu | |
ersetzen?" Gute Frage. Weiß niemand so genau. "Das kann doch nicht sein", | |
ruft einer in der ersten Reihe. Das erinnere ihn an die Finanzwelt: "Wir | |
sind Occupy und wissen selbst nicht, wie viel Geld wir haben?" | |
Es ist eine "Asamblea", die wir auf der Wiese vor der Zentralbank abhalten. | |
Von einer Vollversammlung spricht hier niemand mehr. Der Begriff "Asamblea" | |
knüpft an die spanische Protestbewegung des 15. Mai dieses Jahres an, | |
damals, als man in Madrid, Barcelona und zahlreichen anderen spanischen | |
Städten gegen politische und wirtschaftliche Missstände protestierte. | |
## "Eine Versammlung freier Bürger" | |
Wie selbstverständlich haben die Frankfurter Occupyer das Wort in ihre | |
Sprache integriert. "Die Asamblea ist wie die Agora im alten Athen", | |
erklärt ein Spanier, der bereits im Frühjahr dieses Jahres in Madrid ein | |
Zelt aufgeschlagen hat. "Eine Versammlung freier Bürger." | |
Ein- bis zweimal täglich finden sich die freien Bürger im Frankfurter Camp | |
zur Asamblea zusammen. Doch obwohl die Termine dafür eigentlich auf einer | |
Tafel am Eingang der Zeltstadt angekündigt sein sollen, fragt man besser | |
noch einmal nach. Denn wer nicht zum inneren Kern der Zeltaktivisten | |
gehört, verpasst hier schnell etwas. Zwar werden Basisdemokratie und | |
Transparenz großgeschrieben, aber die Camper sind unerfahren. Demokratie | |
wird geübt, radikal ausprobiert. Und im Eifer des Gefechts geht eine | |
wichtige Information schnell unter. Manchmal auch eine Abstimmung. | |
Doch das Camp wächst mit seinen Aufgaben. Einen Verein haben die Aktivisten | |
mittlerweile gegründet und ein Spendenkonto bei der GLS-Bank eingerichtet. | |
Internetzugang haben sie auch. Und ein eigenes Internet-Radio, "Radio 99 | |
Prozent", das direkt aus dem Camp berichtet. | |
Seit fast zwei Wochen harren die Besetzer schon aus. Sie haben bereits zwei | |
Demonstrationen durch Frankfurts Bankenviertel organisiert. Das Gefühl, es | |
sei nun vorbei, beschleicht hier niemanden. Im Gegenteil: Am Sonntag | |
registrierten sie stolz das einhundertste Zelt. Es bleibt weiter spannend. | |
Es ist eine bunte Mischung an Leuten, die im Camp lebt: Berufstätige und | |
Arbeitslose, Studierende und RentnerInnen - auch einige Junkies sind unter | |
den Campern. | |
Das Herz des kleinen Dorfes vor dem EZB-Turm sind zwei große Feuertonnen. | |
Sie stehen auf einem Sandweg zwischen den kleinen Zelten der Camper und den | |
größeren Pavillons, dem Essenszelt und dem Technikzelt etwa. Ein wenig | |
Ghettoromantik vermitteln sie, vor allem aber Wärme. Morgens trinken die | |
Frühaufsteher dort ihren Kaffee, abends sind sie umringt von Trommlern und | |
Gitarristen. Und sie sind der erste Anlaufpunkt für Besucher. | |
## Alles hinterfragen | |
"Warum protestiert ihr denn?", fragt ein zehnjähriger Junge in die Runde um | |
die Tonne. Seine gesamte Hortgruppe hat vor ihr Halt gemacht. Die beiden | |
Erzieher grüßen freundlich. "Wir hinterfragen unser Leben generell", | |
antwortet Anousha, eine 21-jährige Aktivistin. "Wie wir gerne leben wollen | |
und wie wir im Moment leben. Was für Freiheiten wir haben und was für | |
Freiheiten wir gern hätten." Der Junge nickt - und zieht mit seiner Gruppe | |
weiter. Ein Alkoholiker winkt ihnen hinterher. | |
"Wahnsinnig viele Meinungen und Lebensstile krachen hier aufeinander", sagt | |
Anna. Sie harrt schon fast zwei Wochen vor der EZB aus und kennt die | |
Bandbreite an Menschen, die im Camp verkehren, gut. Diese Vielfalt sei es, | |
die in Politikerkreisen fehle, sagt sie. "Aber es ist nicht immer einfach, | |
wenn so unterschiedliche Menschen zusammenleben." | |
Anna engagiert sich in der Arbeitsgruppe "Respekt und Zusammenleben", einer | |
von vielen AGs im Camp. Wenn es Streitereien gibt, dann vermitteln Anna und | |
ihre Mitstreiter. Wenn eine Isomatte fehlt, bemüht sich die Gruppe, eine | |
aufzutreiben. Auch die Respekt-Gruppe ist nach dem Vorbild der spanischen | |
Protestbewegung entstanden. Pedro hatte davon berichtet. | |
Pedro ist ein protesterfahrener Spanier um die 30. Einer, der seine | |
Erfahrungen von dort an die Frankfurter Zeltaktivisten weitergibt. Wenn er | |
redet, hält er meist eine Rede. "Ich will mit euch kämpfen", ruft er die | |
Runde und wartet auf die deutsche Übersetzung. "Ich will euch unterstützen | |
beim Kampf gegen die Ungerechtigkeit!" Im Camp hat es sich herumgesprochen, | |
dass Pedro aus Protest von Spanien nach Brüssel marschiert ist - mit den | |
"Indignados", den spanischen Empörten. | |
Michael Meyer campt auch mit. Weil er die jungen Leute durch seine | |
Anwesenheit unterstützten wolle, sagt der Rentner: "Ich bin froh, dass die | |
Jugend wieder auf die Straße geht. Dass sie die Politik wiederentdeckt | |
haben." Meyers Zelt steht am äußeren Rand des Lagers. Mit Steinen hat er | |
die Schnüre am Boden befestigt. Heringe durfte er nicht in die Wiese | |
schlagen. "Anweisung vom Ordnungsamt", erklärt er. Unter der Wiese befinde | |
sich eine empfindliche Bewässerungsanlage. | |
Mit dem Ordnungsamt will man es sich hier im Camp nicht verscherzen. Denn | |
genau genommen haben die Aktivisten den Platz nicht besetzt. Das | |
Ordnungsamt hat den Campern eine Sondergenehmigung erteilt. Privatpersonen | |
übernehmen die Verantwortung. Beide Seiten sind mit der Kooperation | |
zufrieden. "Vorbildlich" verhielten sich die Camper, ließ das Ordnungsamt | |
wissen. Solange sich daran nichts ändert, braucht man vor einer Räumung des | |
Lagers keine Angst haben. | |
## Braten für die Camper | |
"Das ist ein bisschen wie in der Bronx", meint eine junge Frau am nächsten | |
Morgen. Sie hat sich eng an die Feuertonne gesetzt, um die Kälte der Nacht | |
aus ihren Gliedern zu vertreiben. Das Feuer ist über Nacht erloschen. | |
Einige im Camp sind noch wach, andere gerade aus ihren Zelten gekrochen. | |
Sie reibt sich die Hände über der Glut und versucht auch die Füße etwas zu | |
wärmen. | |
Im Küchenzelt wird Frühstück aufgetischt. Tee, Kaffee, Brötchen, Wurst. Das | |
Essen ist bislang nicht knapp geworden. Immer wieder kommen Leute und | |
stellen einen Korb Obst oder eine Kiste Gebäck in der Küche ab - | |
Essensspenden, um das Camp zu unterstützen. Am Sonntag hatte jemand sogar | |
einen Sonntagsbraten vorbeigebracht. Mit Rotkohl. | |
Keine zehn Meter von Küchenzelt und Feuertonne entfernt erwacht das | |
Frankfurter Bankenviertel: Männer mit Krawatten steigen aus den Taxen. | |
Frauen in Hosenanzügen eilen zur Arbeit. Werktagsroutine. | |
Sie gehe jetzt schnell nach Hause, duschen, sagt eine junge Frau an der | |
Feuertonne und steht auf. Sie sei Arzthelferin und müsse pünktlich in der | |
Praxis erscheinen. "Bis heute Abend!", sagt sie. Wäscht ihre Kaffeetasse ab | |
und verschwindet in der Pendlermenge, die am Camp vorbeiströmt. | |
28 Oct 2011 | |
## AUTOREN | |
Jannis Hagmann | |
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