# taz.de -- Jungenexperte am Männertag: "Männer sollen pflegen dürfen" | |
> Jungs sollten in der Schule lernen, dass sie auch mal Streber sein | |
> dürfen. Dann gehe es ihnen als Männer später besser, sagt der Forscher | |
> Michael Cremers. | |
Bild: Nach der Show gehen sie bestimmt nach Hause und putzen das Klo. | |
taz: Herr Cremers, heute ist Weltmännertag. Brauchen Männer so was? | |
Michael Cremers: Um öffentlich über Männer und Männlichkeit zu reden, kann | |
so ein Tag sinnvoll sein. Problematisch wird so ein Tag aber, wenn er nur | |
die Nachteile beschreibt, die Männer haben, ohne Bezug auf immer noch | |
vorhandene patriarchale Strukturen zu nehmen. Wir müssen auch endlich davon | |
wegkommen, Jungs und Mädchen gegeneinander auszuspielen. | |
So wie Männerrechtler, die sogenannten Maskulinisten, das tun. | |
Die Maskulinisten greifen auf traditionelle Männlichkeitskonstruktionen | |
zurück. Wir erleben seit Jahren aber einen Geschlechterwandel, der dem | |
entgegensteht und der starke ökonomische Aspekte enthält. Die Hausfrauenehe | |
beispielsweise hat eindeutig ausgedient, zumindest können und wollen dieses | |
Modell immer weniger Menschen leben. Auch steigt die Zahl der Väter, die | |
mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. Angesichts dieser | |
Entwicklung hat es keinen Sinn, zu überholten Geschlechterrollen | |
zurückzukehren. | |
Männer sterben früher als Frauen, sie leben ungesünder und arbeiten zu | |
viel, Jungs sind schlechter in der Schule. Was machen Männer falsch? | |
Man kann nicht alle Männer über einen Kamm scheren, so wie man das auch mit | |
den Frauen nicht tun kann. Vor allem Armut und beruflicher Status | |
beeinflussen die Gesundheit und damit auch die Sterberate. Armut ist auch | |
bei der Bildung ein durchschlagender Faktor. Bei Jungs kommt erschwerend | |
die Orientierung an traditionellen Männlichkeitsbildern hinzu. | |
So darf ein Junge in den Augen seiner Alterskameraden kein Streber sein. Es | |
ist zwar nicht uncool, gute Zensuren zu bekommen, aber ein Junge darf dafür | |
nicht viel lernen. Die Schule hat hier aber bislang noch keine Lösung | |
gefunden, weder was die soziale Benachteiligung noch was die | |
Geschlechterkomponente angeht. | |
Was muss Schule tun? | |
Pädagogik muss heute grundsätzlich geschlechtersensibel sein. Es geht | |
weniger um die Frage, ob Jungs benachteiligt werden, als darum, dass auf | |
Geschlechterthemen vielfach mit Unverständnis reagiert wird. So sollten | |
Jungen und Mädchen in der Schule dazu angehalten werden, sich über solche | |
Themen auszutauschen. Das ist ohne geschlechtersensibles Fachpersonal aber | |
gar nicht so einfach, weil viele Lehrkräfte selber noch stereotype | |
Vorstellungen haben. Manchmal ist das ganz trivial, da fallen dann Sätze | |
wie: Ich brauch mal vier starke Jungs zum Tischerücken. | |
Werden es Jungen in zehn Jahren leichter haben? | |
Das weiß ich nicht. Aber um traditionelle Geschlechterrollen nachhaltig | |
aufzuweichen, brauchen wir einen grundsätzlichen Perspektivenwechsel: weg | |
vom Wachstumsfetischismus hin zu einer Care-Revolution. | |
Was heißt das? | |
Mehr Muße und mehr Zeit für die Sorgearbeit bei gleichzeitiger sozialer | |
Absicherung. Das ist momentan aber kaum möglich, weil Sorgearbeit durch | |
zunehmend entgrenzte und prekäre Lohnarbeit beschränkt wird. | |
Kinderbetreuung und Pflege werden heute vor allem von Frauen geleistet, die | |
dafür schlecht bezahlt werden. | |
Das muss sich dringend ändern. Es gibt keinen Grund, soziale Kompetenz | |
geringer zu bewerten als Körperarbeit. Allerdings hat der neoliberale | |
Kapitalismus traditionell männlich konnotierte Werte wie Konkurrenz, Kampf | |
und Dominanz wieder aufgewertet. Erfolg hat, wer immer auf dem Sprung ist, | |
flexibel und ungebunden. Darunter sind auch einige Frauen, in erster Linie | |
aber nach wie vor Männer. | |
3 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Simone Schmollack | |
Simone Schmollack | |
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Pädagogik | |
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