# taz.de -- Sparda-Bank-Chef über Finanzwesen: "Das Alte muss zusammenbrechen" | |
> Nur auf die Exportwirtschaft zu setzen, erinnert Sparda-Bank-Chef Helmut | |
> Lind an die Monokulturen im Wald: Kommt der Sturm, knicken sie weg wie | |
> Streichhölzer. | |
Bild: Instabil wie ein monothematisches Wirtschaftssystem: ein Kiefernwald, der… | |
taz: Herr Lind, wie geht es Ihnen als Banker, wenn derzeit Bürger auf der | |
Straße über "Schweinebanken" und das "Schweinesystem" schimpfen? | |
Helmut Lind: Ich bin mental beim Bürger auf der Straße. Ich kann ihn sehr | |
gut verstehen. Ich habe erwartet, dass es so kommen würde, und glaube, dass | |
das erst der Anfang ist. | |
Aber Sie leiten doch selbst eine Bank. Fühlen Sie sich nicht angesprochen? | |
Nein. Nicht alle Banken sind so wie die, die derzeit zu Recht in der Kritik | |
stehen. Es gibt auch noch Brot-und-Butter-Banken, also Universalbanken, | |
Sparkassen und Genossenschaftsbanken wie die Sparda-Bank, die ihr Geschäft | |
in dem Bereich machen, für den sie gegründet wurden: in einem | |
überschaubaren Markt Einlagen hereinnehmen und Kredite herausgeben und sich | |
aus der Finanzalchemie und Finanzakrobatik heraushalten, deren Zweck nur | |
darin besteht, Investoren zu befriedigen und höhere Rendite zu | |
erwirtschaften. | |
Jetzt droht schon die zweite Bankenkrise binnen drei Jahren - trotz | |
vielfältiger Regulierungsanläufe. Wie kann man die internationale | |
Finanzwelt wirkungsvoll regulieren? | |
Das hört sich jetzt bescheuert an, aber ich bin begeistert von dem, was | |
gerade passiert. Denn wenn wir dieses Interview vor ein paar Wochen geführt | |
hätten, hätte ich Ihnen das Gleiche gesagt. Der Unterschied ist, dass wir | |
mittlerweile auch offiziell über diese Dinge reden. | |
Und zwar? | |
Die Zwangskapitalisierung systemrelevanter Banken, die Aufteilung von | |
Investmentbanken und Brot-und-Butter-Banken und die Einführung einer | |
Finanztransaktionsteuer. | |
Und damit wären wir vor weiteren Krisen gewappnet? | |
Nein. Das Ganze muss noch weiter gehen. Die Verteilungsfrage muss vor die | |
Wachstumsfrage gestellt werden. Die Bevölkerung muss wieder am | |
Produktivitätswachstum beteiligt werden, um die Binnenwirtschaft | |
anzukurbeln. Es ist ein Fehler, dass in Deutschland in den vergangenen | |
Jahren kurzfristig gedacht und nur auf die Exportwirtschaft gesetzt wurde. | |
Die Stabilität eines Systems ist nur dann gewährleistet, wenn es aus der | |
Vielfalt entsteht. Um es mit der Metapher des Waldes zu sagen: Eine | |
Monokultur, die aus Fichten oder Tannen besteht, wird sehr schnell wachsen | |
und sie werden kurzfristig hohe Erträge generieren. Aber wenn ein Sturm in | |
diesen Wald fährt, wird jeder Forstwirt bestätigen, dass dieser Wald am | |
stärksten gefährdet ist, ein Mischwald hingegen sehr viel stabiler ist. | |
Nicht die Effizienz steht im Vordergrund, sondern die Vielfalt. | |
Wie wollen Sie diese Veränderung erreichen? | |
Die Politik müsste zugeben, sich geirrt zu haben. Wir brauchen eine | |
Kehrtwende. Statt der einzelwirtschaftlichen benötigen wir eine | |
gesamtwirtschaftliche Betrachtung. Nur wenn wir unsere | |
Leistungsbilanzüberschüsse abbauen, können die Südländer, die derzeit in | |
der Krise stecken, überhaupt Leistungsbilanzüberschüsse generieren. Und nur | |
so können sie ihre Staatsschulden zurückbezahlen. | |
Deutschland soll also weniger erwirtschaften, damit die anderen EU-Staaten | |
mehr erwirtschaften können? | |
Dass Deutschland heute so gut dasteht, ist auch auf Kosten der Südländer | |
geschehen. In Deutschland gab es in den vergangenen 15 bis 20 Jahren keine | |
Lohnsteigerung. Ich dachte auch viele Jahre lang, dass das richtig ist. Man | |
kann über Jahre hinweg den falschen Weg gehen, wenn die Masse sagt, dass | |
das der richtige ist. Bis es irgendwann Fukushima macht. Es braucht ein so | |
extremes Ereignis, damit wir verstehen, dass wir die Richtung ändern | |
müssen. Wir müssen erkennen, dass das Totschlagargument, der Markt werde es | |
richten, nicht mehr haltbar ist. | |
Die Sparda-Bank München hat Anfang Oktober als erste Bank eine sogenannte | |
Gemeinwohlbilanz vorgestellt. Dort ist nicht nur die monetäre Bilanz des | |
Unternehmens aufgelistet, sondern auch Kriterien wie Menschenwürde, | |
Solidarität, ökologische Nachhaltigkeit, soziale Gerechtigkeit und | |
demokratische Mitbestimmung und Transparenz. Was war Ihr | |
Fukushima-Erlebnis? | |
Ein Erweckungserlebnis gab es nicht. Das war vielmehr ein innerer Prozess. | |
Irgendwann habe ich einfach angefangen, mir Fragen zu stellen: Für was bin | |
ich eigentlich hier? Was ist meine Aufgabe? Was macht mich eigentlich | |
glücklich? Was ist mein wahres Selbst und nicht das Selbst, von dem ich | |
glaubte, es wäre mein Selbst, aufgrund von Konditionierung, Elternhaus, | |
Schule, Gesellschaft. | |
Wie haben Sie diese Veränderung in Ihrem Unternehmen umgesetzt? | |
Die Sparda-Bank München wurde als Genossenschaftsbank gegründet. Deshalb | |
hatten wir schon immer einen etwas anderen Fokus. In unseren Statuten ist | |
festgelegt, dass wir uns um die Förderung unserer Mitglieder kümmern. Wir | |
haben die ökonomische Perspektive unseres Handelns um eine ökologische | |
Perspektive ergänzt: Wir haben alle Kekse und unseren Kaffee auf Fair Trade | |
und unsere Werbeartikel Schritt für Schritt auf Produkte mit Biosiegel | |
umgestellt. Unsere Firmenzentrale in München wird unter umweltfreundlichen | |
und energiesparenden Gesichtspunkten umgebaut. Und im Bereich Beruf und | |
Familie haben wir unsere Teilzeitmodelle ausgebaut, und zusätzlich zum | |
staatlichen Elterngeld zahlen wir unseren Mitarbeitern 150 Euro extra. | |
Außerdem bieten wir Seminare zur Persönlichkeitsentwicklung an. Da könnte | |
ich Ihnen Zitate liefern von Mitarbeitern, die sagen: Dieses Seminar hat | |
mein Leben verändert. Lassen Sie sich das mal auf der Zunge zergehen! Wir | |
investieren in die Einzigartigkeit des einzelnen Menschen. | |
Warum machen Sie das? | |
Weil wir diesen ganzheitlichen Blick auf die Welt brauchen. Nur wenn ich | |
jeden meiner Mitarbeiter ganzheitlich sehe, dann wird das einen Nutzen für | |
alle haben: Für den Mitarbeiter selbst, für die Familie des Mitarbeiters, | |
für sein Umfeld, für die Beziehungen innerhalb der Bank. Die Orientierung | |
am Gemeinwohl ist für mich das wichtigste Fundament der Zukunft und damit | |
auch jeder künftigen Produktivitätssteigerung. | |
Was genau hat es mit der Gemeinwohlbilanz auf sich? | |
Ganz einfach. Wir verändern die Systemweichen. Neben dem notwendigen | |
Wettbewerb und der Konkurrenz müssen in einem neuen System neben der | |
Betriebswirtschaft auch die Ökologie und die sozialen Aspekte gestärkt | |
werden. Deshalb gehen wir bei der Gemeinwohlbilanz folgendermaßen vor: Wir | |
übertragen die Kennwerte für gelingende Beziehungen vom privaten Bereich | |
auf die Wirtschaft. Menschenwürde, Solidarität, soziale Gerechtigkeit, | |
ökologische Nachhaltigkeit und demokratische Mitbestimmung setzen wir in | |
einer Matrix ins Verhältnis zu den Mitarbeitern, Kunden, Lieferanten und | |
zur Umwelt. Wir haben 18 Kriterien erstellt, anhand derer wir Unternehmen | |
bewerten können. | |
Wie hat denn Ihr Unternehmen in der Gemeinwohlbilanz abgeschnitten? | |
Wir haben 322 Punkte. | |
Von wie vielen? | |
Von tausend. Aber im Moment geht es nicht um Punkte. Das Spannende ist | |
vielmehr der Prozess, überhaupt mal sichtbar zu machen, wo unser | |
Unternehmen steht. Denn diese Transparenz, ein solches Gesamtbild hatten | |
wir vorher nicht. Und mit diesem Gesamtbild können wir festlegen, welche | |
strategischen Hebel wir umlegen und welche Stellschrauben wir drehen | |
müssen, um unsere Bilanz zu verbessern. | |
Gut und schön, aber letztlich entscheiden Sie in Ihrer Bank nicht alleine. | |
Können Sie Dinge durchsetzen, die den Profit Ihres Unternehmens schmälern? | |
Das haben wir schon gemacht. Wir machen keine Spekulationsgeschäfte mehr | |
auf Währungen und Rohstoffe. Das sind 300.000 Euro Gewinn, auf die wir | |
verzichten. | |
Wie wollen Sie erreichen, dass früher oder später auch andere Unternehmen | |
eine Gemeinwohlbilanz erstellen? | |
Man könnte zum Beispiel einführen, dass im Strichcode eines Produktes auch | |
die Gemeinwohlbilanz des Unternehmens hinterlegt ist. Diese könnte der | |
Verbraucher dann mithilfe des Handys ablesen. Oder eine Art Bafin, also die | |
Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, die heute sehr stark nach | |
ökonomischen Kriterien prüft, könnte in Zukunft die Gemeinwohlkriterien | |
prüfen. Dafür brauchen wir zuerst eine Art Anreizsystem. Der Staat könnte | |
Unternehmen, die eine gute Gemeinwohlbilanz vorlegen, Steuervorteile | |
gewähren, geringere Zölle auf deren Güter erheben oder Zugriff auf | |
subventionierte Kredite bieten. | |
Ohne die Politik und ein Entgegenkommen der Konzerne wird das nicht möglich | |
sein. Wie schnell wird ein Umdenken einsetzen? | |
Ich bin optimistisch. Die Politik ist langsam dabei, umzudenken. Der Druck | |
aus der Bevölkerung wird noch wachsen. Was ich jedoch nicht sagen kann, | |
ist, welche Fukushima-Erlebnisse noch auf uns zukommen werden. Aber diese | |
werden die Prozesse beschleunigen. Damit etwas Neues entstehen kann, muss | |
erst das Alte zusammenbrechen. Ich jedenfalls will mir nicht irgendwann | |
vorhalten lassen, dass ich untätig zugeschaut habe, obwohl ich es selbst in | |
der Hand gehabt hätte, die ersten Weichen zu stellen. | |
7 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Marlene Halser | |
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