# taz.de -- Treffen afghanischer Würdenträger: Loja Dschirga der Fragezeichen | |
> Nicht nur Morddrohungen überschatten die am Mittwoch beginnende Große | |
> Ratsversammlung. Es ist auch unklar, was die Versammlung eigentlich | |
> erreichen soll. | |
Bild: Wachposten des afghanischen Militärs beim Zelt der Loja Dschirga in Kabu… | |
KABUL taz | Sechs Todesdrohungen habe er bereits erhalten, erzählt Abdul | |
Ahmed Durrani. Der Parlamentarier aus der Provinz Wardak nahe Kabul will | |
dennoch an der Loja Dschirga, der Großen Ratsversammlung, teilnehmen, die | |
am Mittwoch in Kabul beginnt. | |
"Niemand wird Angst bekommen und nicht zur Loja Dschirga kommen", | |
prophezeit der 56-Jährige. Durranis stoische Haltung wird von anderen | |
geteilt, die zur Megaveranstaltung in dem großen Versammlungszelt im Westen | |
Kabuls eingeladen sind. | |
Doch das hochkarätige Treffen von über 2.000 Stammesältesten, | |
Religionsführern und Politikern aus allen Teilen des Landes ist die | |
perfekte Zielscheibe für die radikalislamischen Taliban. Die Aufständischen | |
behaupten, im Besitz des streng geheimen Sicherheitsplanes der Dschirga zu | |
sein. Bereits am Montag erschossen Sicherheitskräfte in der Nähe des | |
Tagungszeltes einen angeblichen Selbstmordattentäter. | |
In den letzten 300 Jahren hat Afghanistan nur rund 20 Loja Dschirgas | |
abgehalten: sechs davon allein im letzten Jahrzehnt. Traditionell entschied | |
der Große Rat Dinge von überragender Wichtigkeit für das Land, etwa die | |
Wahl eines neuen König oder die Verabschiedung einer Verfassung. | |
Unter Präsident Hamid Karsai ist die hochangesehene Institution aber | |
inzwischen so oft einberufen worden, dass Spötter schon von "Dschirgaismus" | |
sprechen. | |
## Es geht um den Verbleib von US-Basen | |
Beim jetzigen Treffen soll über eine Strategie für einen Frieden mit den | |
Taliban sowie über den Verbleib von US-Militärbasen auf afghanischem Boden | |
beraten werden. Gerade das strategische Abkommen über die langfristige | |
Stationierung von US-Militäreinrichtungen in Afghanistan dürfte für heftige | |
Kontroversen sorgen: Viele Afghanen sehen darin eine fortgesetzte | |
Besatzung. | |
Entsprechend sorgte die Loja Dschirga bereits im Vorfeld für Streit. Der | |
einflussreiche Oppositionspolitiker und Karsai-Widersacher Abdullah | |
Abdullah und andere Parlamentsmitglieder erklärten die Versammlung für | |
illegal. | |
Die Delegierten seien nicht über den genauen Inhalt des geplanten | |
Militärabkommens zwischen den USA und Afghanistan informiert worden, | |
kritisierte Abdullah. | |
Die USA möchten nach dem für 2014 vorgesehenen Ende der Nato-Kampfmission | |
am Hindukusch weiter Militärbasen in Afghanistan behalten. Dies ist im | |
Sinne von Präsident Karsai, dessen Macht ohne die Präsenz des Westens kaum | |
Bestand hat. | |
## Parlamentarier fühlen sich übergangen | |
Doch Teile des Parlaments fühlen sich übergangen. Sie kritisieren, dass die | |
Versammlung nur dazu einberufen wurde, um abzusegnen, was Karsai will. | |
Gerüchteweise will der Präsident die Dschirga auch dafür nutzen, sich die | |
Möglichkeit für eine dritte Amtszeit zu sichern. Die ist laut Verfassung | |
ausgeschlossen. | |
"Ihre Ziele sind völlig verwirrend", sagt Oppositionspolitiker Abdullah | |
über die Versammlung. "Es gibt geheime Ziele. Die Entscheidungen, welche | |
auch immer gefällt werden, sind für die Menschen Afghanistans | |
inakzeptabel." | |
Doch auch darüber, was die Dschirga überhaupt zu entscheiden hat, gibt es | |
widersprüchliche Ansichten: Entscheidungen des Großen Rates sind laut | |
afghanischer Verfassung bindend. | |
Doch die diesjährige Dschirga soll aber wohl abweichend davon nur | |
beratenden Charakter haben. Denn Dschirga-Sprecherin Safi Siddiqui | |
erklärte, die Beschlüsse der Delegierten seien "allgemeine Ratschläge" an | |
die Regierung, die schließlich die endgültige Entscheidung dazu treffen | |
werde. | |
Das gilt auch für den anderen heiklen Punkt der Tagesordnung: eine | |
Strategie für Friedensgespräche mit den Taliban. Verhandlungen sollen den | |
Weg für ein Ende des mehr als zehn Jahre währenden Kriegsabenteuers | |
bereiten und die Weichen für den Abzug der Nato-Kampftruppen nach 2014 | |
stellen. Doch die Angelegenheit ist verfahren. | |
Im September war Afghanistans oberster Verhandlungsführer mit den Taliban, | |
Burhanuddin Rabbani, von einem Selbstmordattentäter in seinem eignen Haus | |
in Kabul getötet worden. Selbst Rabbani, ein Religionslehrer und | |
Exstaatspräsident, hatte zum Schluss kaum noch Hoffnung verbreitet, ein | |
Friedensdeal mit den aufständischen Taliban könne erreicht werden. Dass die | |
Dschirga darin viel ändert, ist nicht zu erwarten. | |
16 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Agnes Tandler | |
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