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# taz.de -- Occupy will nicht aufgeben: Sie benutzen ihre Badewannen
> Die Aufmerksamkeit für die Occupy-Bewegung schwindet langsam weltweit,
> Polizisten bereiten sich auf die Räumung der Besetzer vor. Ein vielleicht
> letzter Besuch.
Bild: Noch stehen die Zelte der Occupy-Bewegung.
LONDON taz | Von Osten sieht man gar nichts: Die immer noch ziemlich frisch
gesandstrahlte St. Pauls Cathedral steht mächtig rum, die Blumegärtchen
davor sind schärfstens abgezäunt und "closed to the public", es wird gebaut
und gebuddelt. Erst an der Schokoladenseite, wo der Kirchenhaupteingang
stolz die Fleet Street hinunterblickt, kommt OccupyLSX in Sicht.
"Wie hutzelig", sagt ein Typ im Anzug zu seinem Kumpel, mit dem er in der
Mittagspause Protestlergucken macht. "Von wegen", sagt Ned, der schon seit
gut drei Woche dabei ist, es passten einfach nicht mehr Zelt drauf.
Stimmt: Was das bisschen gepflasterte Erde an der Nordwestseite der Kirche
hergibt, ist fast komplett mit Zelten besetzt. Wäscheklammern oben am
Zelteingang sollen eigentlich anzeigen, wo noch ein Schlafplatz zu haben
ist, doch seit die City of London Corporation am Mittwochnachmittag um drei
einfach frech ihre „Eviction Notices“ an die Klamern gehängt hat, sind die
meisten verschwunden.
## Die Constables diskutieren gern mit den Protestlern
Verschwinden sollten eigentlich auch die Zelte, bis zum Abend des 17. um
sechs Uhr Londoner Zeit, doch "da kann die Corporation lange warten", heißt
es trotzig bei Occupy London. Auf den jetzt folgenden Prozess sind beide
Seiten vorbereitet: die City of London, diese eigene, kleine
Stadtverwaltung für das Bankenviertel, die zusammen mit der City of
Westminster das ausmacht, was gemeinhin "London" genannt wird, wie die
Protestler.
Am Freitag werden die Stadtbeamten zum High Court marschieren, der dürfte
in den nächsten Woche entscheiden, ob überhaupt geräumt werden kann.
Derweil diskutieren die Constables der ebenfalls eigenen City of London
Police am Rande anscheinend ganz gern mit den Protestlern.
Nur wenn man sie drauf anspricht, drehen sie sich schnell weg. Doch die
„Bust Cards“ die im Infozelt ausliegen und die Campaigner über ihre Rechte
beim Kontakt mit der Polizei aufklären – „sag: 'Kein Kommentar!' zu allen
Fragen der Polizei“ - scheinen etwas übertrieben, noch jedenfalls. Der Mann
mit den Eviction Notices ist wieder weg. In der Sonne auf den Stufen vor
der Kirche sitzen ein paar JournalistInnen und langweilen sich.
Ihre Kamerastative haben sie gleich am Rand der kleinen Zeltstadt stehen
gelassen, daneben nimmt sich Kaya Mars Arbeitsgerät etwas seltsam aus. Doch
auch der Porträtmaler und seine Staffellei sind heute wieder dabei. Bunte
Kugelzelte vor St. Pauls in Öl, nur der kleine Mickerbaum mittenmag ist
Mars etwas üppig geraten. Der Künstler selbst schüttelt ob soviel
Reporterignoranz den Kopf: "Der Baum wächst und wächst auf meinem Bild, als
Zeichen der Hoffnung, dass sich jetzt wirklich etwas ändert".
## Keine abgehalfterten Berufsprotestler
CHANGE, Veränderung, steht auf fast jedem Plakat in der Zeltstadt, hinten
dampft die Küche, es wird um Essenspenden gebeten, "vor allem Bananen und
Tomaten". Der am Mittag verabreichte Schlabber sieht jedenfalls recht
rötlich aus, Ned gibt seinen Teller ab und muss weiter, das nächste Meeting
ruft. Wieder einmal geht es daraum sich dem Bild zu widersetzen, dass hier
nur abgehalfterte Individuen und Berufsprotestler Krawall machen, bevor der
Herbst gar zu kalt wird.
Anfang der Woche hatte Londons konservativer Oberbürgermeister, der die
Protestler "Crusties", Verkrustete, nennt und selbst von der Presse
liebevoll beim Vornamen "Boris" gerufen wird, noch Öl ins Feuer gegossen:
Das ganze Rumprotestieren gegen den Kapitalismus sei "ärgerlich", und nun
sehe die Welt "eine Stadt, wo ihr Protestler das Recht habt, eure Meinung
zu sagen", brabbelte Boris Johnson ausgerechnet bei einem Charity-Dinner,
"bis ein Richter die Eier hat, gerichtlich festzustellen, dass ihr nunmal
tatsächlich den Highway blockiert". Und der, das weiß jeder Brite, der
seine Magna Charta gelesen hat, müsse immer freibleiben wie der Gang im
Reisebus.
"Egal was ihr über Sozialhilfeerschleicher, desillusionierte
Oberschichtskinder und Berufsaktivisten gelesen habt: In diesem Zelt
arbeiten Mütter, Heiler und Mitarbeiter des National Health Service (NHS)"
steht am Erste Hilfe-Zelt. "Wir, wie ihr, denken, dass ein System, dass
seine Leistungen für Ältere, Kinder und Behinderte kürzt, anstatt von
Unternehmen und ihren Vorständen einen fairen und angemessenen Beitrag zu
verlangen, einfach reformiert werden muss."
## Die smarte Seite des Protests
Auch Alan meint, dass er gar nichts gegen Kapitalismus habe, schließlich
arbeitet er selbst "in Financial Services", wie er sagt: "Aber dieser
Kapitalismus ist außer Kontrolle und muss wieder eingefangen werden". Ganz
ohne Grund gejagt fühlen sich auch die Mitarbeiter der Londoner Börse.
Das eigentlich Ziel des Protests liegt – unerreichbar für Occupy – hinter
dem Paternoster Square, auf rein privatem Land, das seit Wochen abgesperrt
ist. "Wir wollen mit ihnen diskutieren, das ist alles", sagt Allan. Aber
die meisten Schlipsträger hasten schnell weiter.
Doch die Occupy-Bewegung mit den üblichen Mittelchen als komische Spinner,
Drogensüchtige und langhaarige Bombenleeger abzutun, wird auch in London
nicht verfangen. Occupy ist die smarte Seite des Protests.
Und seit dem "Crusties" Bonmot von Boris Johnson betonen auch alle, wie
sauber sie sind: "Ich bin in Mittelklasse-Protestler, ich fahre jeden Abend
heim zu Frau, Kindern und meiner Badewanne", ruft ein mittelalter Mensch im
Anzug ins Megafon. Und auch der "selbstständige Unternehmer" mit dem
Fensterputzerladen, der dann spricht, sagt zum Schluss, er wohne dagegen
seit zwei Wochen "hier im Camp – aber auch ich bade täglich".
17 Nov 2011
## AUTOREN
Steffen Grimberg
## TAGS
Schwerpunkt Occupy-Bewegung
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