# taz.de -- Protest gegen Neonazis: "Hier hätten 100.000 sein müssen" | |
> Über 3.000 Linke versammeln sich am Samstag zur jährlichen | |
> Silvio-Meier-Demo. Es ist die erste große Demo nach der Mordserie der | |
> Thüringer Neonazis. | |
Bild: Block blieb fast unter sich: Antifa bei der Silvio-Meier-Demo. | |
Utz Eckenfelder hat sich ein Schild umgebunden. "Empörung. Der Staat mordet | |
mit." Empörung, sagt Eckenfelder, sei seine erste Reaktion gewesen, als er | |
von der jahrelangen Mordserie dreier Thüringer Neonazis erfahren habe. | |
"Dass so etwas in diesem Staat passieren kann! Dass da 13 Jahre lang Rechte | |
untertauchen und morden - und keiner weiß was davon." Eckenfelder schüttelt | |
den Kopf, immer wieder. "Das kann nicht sein." | |
Der 68-Jährige mit dem weißen Schnauzer und der Lederkappe schiebt sein | |
Fahrrad inmitten all der Schwarzgekleideten. Er sei auf die Demo der Antifa | |
gekommen, weil sonst gerade keiner was mache, sagt Eckenfelder. "Ich kann | |
doch nach sowas nicht allein zu Hause sitzen." | |
Es gibt nicht viele wie Eckenfelder am Samstagnachmittag auf dem | |
Silvio-Meier-Protestzug. Die Antifa-Szene bleibt weitgehend unter sich. | |
Rund 3.000 sind gekommen, laut Veranstalter gar bis zu 5.000, um wie jedes | |
Jahr dem vor 19 Jahren von Neonazis ermordeten Hausbesetzer zu gedenken - | |
und diesmal auch den neun migrantischen Opfern der Thüringer | |
Rechtsterroristen. Der Zug führt von Friedrichshain nach Lichtenberg, zu | |
einem rechten Treffort in der Lückstraße, und wieder zurück. | |
Gleich hinter dem Fronttransparent tragen Teilnehmer die Bilder der neun | |
Ermordeten. "Mit Unterstützung des Verfassungsschutz?", steht fragend auf | |
den Schildern. Für eine Rednerin zeigt die Mordserie erneut, dass der Staat | |
"kein Verbündeter" im Kampf gegen Neonazis sei. Die linke Szene werde | |
aufwändig ausgeforscht, beispielsweise nach den Anti-Nazi-Blockaden in | |
Dresden. Militante Rechte würden dagegen über V-Männer mit Staatsgeldern | |
aufgebaut. "Wir müssen die antifaschistische Organisierung intensivieren!", | |
schallt es aus dem Lautsprecherwagen. Sonst bleibt's bei den üblichen | |
Ritualen: viel schwarzer Block, rotes Leuchtfeuer auf dem Dach neben dem | |
geräumten einstigen Hausprojekt Liebig14, "Alerta"-Sprechchöre, vereinzelte | |
Steinwürfe auf Polizeiautos. | |
Die Morde hätten schon einen "gewissen Schock" in der Szene hinterlassen, | |
sagt Markus, seit den Neunzigern bei der Friedrichshainer Antifa aktiv. | |
Dass Neonazis aber vor Gewalt nicht zurückschrecken, sei keine neue | |
Erkenntnis, betont der kurzhaarige Anfangdreißiger, der es bei seinem | |
Vornamen belässt. "Das ergibt sich schon aus ihrem menschenfeindlichen | |
Weltbild." Markus verweist auf zahlreiche Brandanschläge auf linke Häuser | |
in den vergangenen Jahren, auf die 150 Mordopfer von Rechtsextremen seit | |
1990. "Darauf haben wir immer hingewiesen. Aber irgendwann wirst du als | |
ewiger Mahner abgestempelt." | |
Weiter hinten in der Demo haben drei junge Frauen die Namen der Mordopfer | |
auf ein weißes Transparent geschrieben und daneben: "Keine Schweigeminute, | |
ein lebenslanger Antifa-Widerstand". Die migrantische Community sei mit der | |
Mordserie allein gelassen worden, kritisieren sie. "Was wir jetzt brauchen, | |
ist eine Diskussion über Rassismus in der Gesellschaft, nicht nur über eine | |
Terrorgruppe." Ein 30-Jähriger mit Kapuzenjacke wirft ein, zuerst mal müsse | |
der Thüringer Verfassungsschutz "entnazifiziert" werden. | |
Auch Kemal Salis schimpft. "Ich dachte immer, der Staat schützt seine | |
Bürger. Aber er hat versagt, komplett. Das hätte ich nicht für möglich | |
gehalten." Dass Neonazis morden hingegen schon. Für den 50-jährigen | |
Gastronom aus Kreuzberg ist es ist nicht die erste Demo gegen rechts. Was | |
ihn besonders ärgert: "Dieses Gerede von ,Döner-Morden'. Es geht hier um | |
Menschen!" | |
"Verfassungsschutz-Verbot jetzt", fordert ein hellblaues Transparent. So | |
weit würde er nicht gehen, sagt Dirk Behrendt, Grüne Parlamentarier aus | |
Kreuzberg, der weiter hinten mitläuft. "Aber ob wir wirklich 16 Landesämter | |
für Verfassungsschutz brauchen, sollte man diskutieren." Offenbar sei bei | |
der Behörde ja "einiges schief gelaufen". Dies gelte es jetzt aufzuklären, | |
fordert Behrendt. "Und zwar vollständig." | |
Als die Demo nach drei Stunden am Boxhagener Platz endet, ist Utz | |
Eckenfelder immer noch dabei. Er hätte sich mehr Demonstranten gewünscht, | |
mehr Bürgerliche, sagt er. Es könne doch nicht sein, dass nach den | |
ungeheuerlichen Morden nichts passiere. "Eigentlich hätten hier heute doch | |
100.000 Leute sein müssen." | |
20 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Konrad Litschko | |
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