# taz.de -- Debatte Castor und Endlager: Nichts ist gut in Gorleben | |
> Endlagersuche? Alles ist offen! So verspricht es eine schwarz-grüne | |
> Koalition der Protest-Gegner: Doch nicht mal der Atomausstieg ist sicher. | |
Sind die denn nie zufrieden? Der Atomausstieg sei doch beschlossen. Und die | |
Endlagersuche beginne von Neuem. Was wollen diese Demonstranten da im | |
Wendland also eigentlich noch? Solche Töne sind gerade nicht selten in der | |
Debatte um die Proteste gegen den Castor-Transport nach Gorleben. | |
Norbert Röttgen versucht es mit Beteiligungsrhetorik: "Wer jahrelang einen | |
grundlegenden Neuanfang bei der Suche nach einem Endlager fordert, der | |
sollte die einmalige Chance, die es jetzt gibt, nutzen, den Kampf der | |
vergangenen Jahrzehnte zu begraben und das Thema im Konsens zu lösen. Alle | |
gesellschaftlichen Gruppen sollten sich an diesem ergebnisoffenen Prozess | |
beteiligen." | |
Mit der neuen Standortsuche, sagt der Minister, sei "das erreicht worden, | |
was viele der Gorleben-Kritiker jahrelang gefordert haben. Es ist deshalb | |
unverständlich, wenn diese Tatsache ignoriert wird und auf eingefahrenen | |
Wegen weiter demonstriert wird, als sei nichts geschehen." | |
Doch nicht nur Röttgen schlägt in diese Kerbe. Ganz ähnlich äußert sich | |
Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann: "Protest | |
macht jetzt eigentlich keinen Sinn mehr. Beschlossen ist: Deutschland | |
steigt aus der Atomkraft aus." | |
Mit dem Ausstieg sei die Endlagerfrage neu eröffnet worden, da nun bekannt | |
sei, über wie viel Atommüll insgesamt geredet werde. "Alle Bundesländer | |
haben zugestimmt. Deshalb muss man jetzt nicht nur protestieren, sondern | |
auch zusehen, dass es gemacht wird." | |
Vielleicht sollte sich diese schwarz-grüne Koalition der | |
Verständnislosigkeit einfach ein anderes Volk wählen. Denn 68 Prozent der | |
Bevölkerung halten den Castor-Transport nach Gorleben für unverantwortlich. | |
## Nullwert wird passend gedreht | |
Das hat unter anderem damit zu tun, dass die Grenzwerte für die | |
Strahlenbelastung am Zaun des Zwischenlagers im Wendland längst | |
überschritten sind, aber von den zuständigen Behörden so lange | |
runtergerechnet wurden, bis der Wert für die Gammastrahlung bei null | |
angekommen ist. | |
Ja genau: Nach amtlichen Angaben strahlt ein Castor kein bisschen, denn | |
alles, was gemessen wurde, wird einfach als natürliche Hintergrundstrahlung | |
deklariert und abgezogen. Das erinnert fatal an alte analoge | |
Badezimmer-Personenwaagen: Die hatten auch vorne ein Rädchen, mit dem sich | |
der Nullwert beliebig verstellen ließ, je nachdem, wie viel man gerade | |
gegessen hatte. | |
Aber der Protest gegen den Castor hat durchaus grundsätzlichere Beweggründe | |
als die manipulierten Strahlenwerte: Der bis 2022 versprochene Atomausstieg | |
reicht vielen nicht. Sie haben nicht vergessen, dass die | |
Reaktorsicherheitskommission nach Fukushima keinem deutschen AKW gute Noten | |
gegeben hat und dass ein deutlich schnellerer Ausstieg | |
energiewirtschaftlich durchaus machbar wäre. | |
## Die Ausstiegs-Debatte kippt | |
Doch schon acht Monate nach Beginn der japanischen Katastrophe kippt die | |
Debatte hierzulande Schritt für Schritt: Inzwischen ist hauptsächlich | |
Thema, wie teuer der Atomausstieg angeblich für die StromverbraucherInnen | |
wird, wie viele Arbeitsplätze bei Eon verloren gehen und wie lange es | |
dauert, neue Stromtrassen durch die Republik zu bauen; und die Zahl | |
derjenigen wächst, die davor warnen, dass das Ausstiegsdatum 2022 die drei | |
Bundestagswahlen bis dahin nicht übersteht. | |
Mit der weißen Landkarte in der Endlagersuche ist es bei genauem Hinsehen | |
auch nicht weit her: Im Bundeshaushalt 2012 sind 73 Millionen Euro für den | |
weiteren Ausbau des maroden Salzstocks von Gorleben vorgesehen - aber | |
lediglich 3 Millionen Euro für die Suche nach Alternativen. | |
Norbert Röttgen hat den Ex-Vattenfall-Manager Bruno Thomauske, der | |
inzwischen einen von RWE finanzierten Lehrstuhl in Aachen innehat, als | |
"unabhängigen Gutachter" mit einer Sicherheitsanalyse zu Gorleben | |
beauftragt, die nachweisen soll, dass der Standort geeignet ist. Röttgens | |
"ergebnisoffener Prozess" ist eine Schimäre. Und Kretschmann? Der handelt | |
durchaus geschickt nach dem Motto "Erst das Land und dann die Partei". | |
Ihn interessiert nicht, dass die grüne Bundestagsfraktion nach monatelanger | |
Recherche im Gorleben-Untersuchungsausschuss diesen Standort für völlig | |
ungeeignet hält. Ihn kümmert nicht, dass seine Partei kürzlich beschlossen | |
hat, das Gorleben-Projekt solle beendet werden. Kretschmann sagt: "Irgendwo | |
muss das Zeug ja hin." Und er sagt, dass Salz ja nicht generell ungeeignet | |
sei und deshalb Gorleben im Topf bleiben soll. | |
Das ist zwar ungefähr so logisch wie die Argumentation, man könne ja | |
Fliegenpilze in großen Mengen essen, weil Pilze nicht generell giftig | |
seien. Aber er wird damit trotzdem überall zitiert. | |
## Kronzeuge Kretschmann | |
Der erste grüne Ministerpräsident ist längst Kronzeuge für alle, die | |
Gorleben durchsetzen wollen: So hat seine vielgelobte Bereitschaft, auch in | |
Baden-Württemberg nach einem Endlagerstandort zu suchen, paradoxerweise | |
Gorleben eher wahrscheinlicher gemacht. | |
Erinnert sich jemand noch an Jürgen Trittins Aufruf von 2001, in Gorleben | |
nicht zu demonstrieren, nicht "sitzend, stehend, singend, tanzend"? Damals | |
sind dem zu viele nachgekommen, weil sie dachten, der Ausstieg sei ja | |
beschlossen. Erst dadurch wurde der Raum frei für die | |
Laufzeitverlängerungs-Kampagne der Stromkonzerne. Gleiches darf nicht noch | |
einmal passieren. | |
Röttgen führt derweil mit großem Vorsprung die Hitliste der Politiker an, | |
bei denen Worte und Taten am weitesten auseinandergehen. Wenn er nun die | |
DemonstrantInnen von Gorleben zur Besonnenheit mahnt, dann hört sich das | |
vernünftig an, ist aber eigentlich eine bodenlose Frechheit. | |
Seit bald 35 Jahren werden die Menschen im Wendland belogen und betrogen - | |
und noch selten mit solcher Raffinesse wie von Röttgen. So was macht | |
wütend, nicht besonnen. Umso mehr habe ich höchsten Respekt vor allen, die | |
immer wieder auf Straße und Schiene gehen, sich aber nicht provozieren | |
lassen, sondern mutig, gewitzt und mit nicht unterzukriegender Lebensfreude | |
agieren. Sie haben jede Unterstützung verdient. | |
25 Nov 2011 | |
## AUTOREN | |
Jochen Stay | |
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