# taz.de -- Frauen in Afghanistan: Gulnaz hofft auf Gnade | |
> Afghanische Mädchen, die vergewaltigt werden, landen nicht selten im | |
> Knast – außerehelicher Sex ist verboten. Der Fall Gulnaz sorgte für | |
> internationales Aufsehen. | |
Bild: Um ihre Ehre zu retten müssen vergewaltigte Frauen in Afghanistan oft ih… | |
KABUL taz | Gulnaz sitzt im Gefängnis, weil sie vergewaltigt wurde. Die | |
heute 21-Jährige war zu einer Haftstrafe verurteilt worden, nachdem sie | |
2009 im Alter von 18 Jahren vom Mann ihrer Cousine vergewaltigt und | |
geschwängert worden war. Das Kind, ein Mädchen, brachte Gulnaz im | |
Badhambagh-Gefängnis in Kabul zur Welt. | |
Die erschreckende Geschichte von Gulnaz ist kein Einzelfall in Afghanistan. | |
Doch sie hat international für Aufsehen gesorgt, nachdem die EU einen | |
geplanten Dokumentarfilm über ihr Schicksal auf Eis legte. Im Jahr 2010 | |
hatte die EU der Filmemacherin Clementine Malpas den Auftrag erteilt, einen | |
Dokumentarfilm über den Umgang der afghanischen Justiz mit weiblichen | |
Gewaltopfern zu drehen. | |
Gulnaz sowie eine weitere inhaftierte Afghanin hatten zugestimmt, ihre | |
Geschichten vor der Kamera zu erzählen. Als der Film mit dem Titel | |
"In-Justice" (Un-Gerechtigkeit) fertig war, verbot die EU jedoch, ihn zu | |
zeigen, und drohte Malpas rechtliche Schritte an: Eine Ausstrahlung des | |
Films gefährde das Leben der Frauen, hieß es als Begründung. Doch Kritiker | |
vermuteten vielmehr, die EU fürchte Ärger mit den afghanischen Behörden. | |
Gulnaz Vergewaltiger begrüßte gegenüber Journalisten die Haltung der EU. | |
Die Kontroverse half immerhin, den Fall Gulnaz bekannt zu machen. Kritiker | |
sagten, die EU sei vor der afghanischen Regierung eingeknickt. Eine | |
Internetpetition an Präsident Karsai zur sofortigen Freilassung Gulnaz hat | |
inzwischen über 5.000 Unterschriften gesammelt. Gulnaz Anwälte hoffen, dass | |
eine Begnadigung nicht nur Gulnaz die Freiheit bringen wird, sondern auch | |
zum Vorbild für andere Frauen in ihrer verzweifelten Lage werden kann. | |
## Letzte Chenace: den Vergewaltiger heiraten | |
Gulnaz ist eine von hunderten Frauen, die in Afghanistan wegen | |
"Sittenverbrechen" oft drakonische Strafen verbüßen müssen. Es ist nicht | |
ungewöhnlich, dass die Familien in Afghanistan in solchen Fällen verlangen, | |
dass die Frau ihren Vergewaltiger heiratet, um die Ehre und das Ansehen bei | |
Verwandten und Nachbarn wiederherzustellen. Außerehelicher Sex gilt als | |
Schande und ist nach islamischem Recht untersagt. | |
Auch Gulnaz wurde vor die Wahl gestellt, ihren Vergewaltiger zu heiraten, | |
doch bislang lehnte sie das ab. Ein Gericht verurteilte die Frau zunächst | |
zu zwei Jahren Haft, später erhöhten die Richter das Strafmaß auf zwölf | |
Jahre. In der letzten Woche wiederum wurde ihre Haftzeit auf Antrag auf | |
drei Jahre verkürzt. | |
Der Rechtsbeistand von Gulnaz sieht es als gutes Zeichen an, dass die | |
Haftstrafe nur noch drei Jahre beträgt und dass die Richter nicht mehr | |
verlangen, dass die junge Mutter den Täter heiratet. Zudem stimmt es die | |
Anwälte positiv, dass der Stab von Präsident Karsai Informationen bei der | |
Staatsanwaltschaft über den Rechtsfall hat einholen lassen. Eine | |
Begnadigung zu Nowruz, dem auch in Afghanistan gefeierten persischen | |
Neujahrsfest, könnte somit in Frage kommen. Ein Präsidentensprecher deutete | |
an, ihr Gesuch werde geprüft. | |
Der Fall Gulnaz zeigt, dass auch zehn Jahre nach dem Sturz des brutalen | |
Taliban-Regimes Ungerechtigkeit, Gewalt und Unterdrückung immer noch Alltag | |
für viele afghanische Frauen sind. Die paar Dutzend Frauenhäuser, die das | |
Land hat, erzählen Geschichten von Brutalität und Grausamkeit, die kaum mit | |
anzuhören sind. | |
## Nase und Ohren abgeschnitten | |
Etwa das entstellte Gesicht der Kinderbraut Bibi Aisha: Ihr Ehemann hatte | |
ihr als Strafe Nase und Ohren abgeschnitten, nachdem das Mädchen | |
weggelaufen war, um in einem Schutzheim in Kabul Zuflucht zu finden. Ihr | |
Bild auf dem Titelblatt des amerikanischen Time Magazine im August 2010 | |
erregte Aufsehen in der ganzen Welt. | |
Die Statistik zeigt ein düsteres Bild: Kinderehen sind in Afghanistan bei | |
allen ethnischen Gruppen weit verbreitet. Laut der | |
UN-Frauenentwicklungsorganisation Unifem und der Afghanischen | |
Menschenrechtsorganisation ist bei 57 Prozent aller Hochzeiten im Land | |
einer der Partner jünger als 16 Jahre. Ein Großteil Frauen werden bereits | |
im Alter zwischen 10 und 13 Jahren verheiratet. In vielen Gemeinschaften | |
dürfen Frauen und Mädchen das Haus nie verlassen. Arbeit, Schulbesuch oder | |
selbst eine Behandlung im Krankenhaus sind damit oft unmöglich. | |
Die systematische Isolation von Frauen ist in der Kultur Afghanistans tief | |
verwurzelt. Es ist schwer, das zu ändern. Der Westen und die westlichen | |
Medien setzen diese brutalen Restriktionen oft ausschließlich mit dem | |
Taliban-Regime gleich. Und es diente als ein willkommenes und populäres | |
Argument, um den Krieg des Westens in Afghanistan mit zu rechtfertigen. | |
"Vor dem 11. September haben Frauenrechte in Afghanistan keine Rolle | |
gespielt", sagt Samira Hamidi, Leiterin der Organisation "Afghan Womens | |
Network". Menschenrechtsaktivisten wie Hamidi fürchten, dass sich die Lage | |
wieder verschlimmert, wenn die Nato 2014 ihre letzten Kampftruppen vom | |
Hindukusch abzieht. | |
2 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Agnes Tandler | |
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