# taz.de -- ZDF-Reportage zu Cybermobbing: Wirklich schlimm, dieses Internet | |
> Die Dokureihe von "37 Grad" (22.15 Uhr, ZDF) nähert sich dem Thema | |
> Cybermobbing unter Jugendlichen - und lässt viele Fragen offen, statt | |
> wirklich mal etwas zu erklären. | |
Bild: Ob virtuell oder im wahren Leben: Mobbing-Opfer brauchen psychologische U… | |
Ninti ist 15, Schülerin, und hat ein Problem: Auf der Internetseite | |
"isharegossip.com" hat jemand über sie geschrieben, sie sei eine Schlampe. | |
Die halbstündige "37 Grad"-Reportage "Rufmord im Internet - Cybermobbing | |
unter Schülern" jazzt ihren Fall zum Beweis für das Existieren von | |
Cybermobbing unter Schülern an, und vermasselt das Thema spektakulär. | |
Zum einen, weil die Reportage ein Dreivierteljahr zu spät kommt. Damals | |
schwelte die Diskussion über die Internetseite "isharegossip.com" - Eltern, | |
Schüler, Lehrer diskutierten aufgeregt, wie man damit umgehen solle, dass | |
dort jeder anonym Schmutz und Gerüchte verbreiten konnte. Heute spricht | |
niemand über die Seite - weil sie seit über fünf Monaten offline und das | |
Thema damit erledigt ist. | |
Ungeachtet dieser Tatsache macht Filmemacherin Karin Wegner "isharegossip" | |
zum zentralen Thema ihres Films und die Seite ist ihr einziges Beispiel für | |
die Existenz von Cybermobbing. Dass auch bei Facebook und anderen "Seiten, | |
wo Schüler über Schüler schreiben", gemobbt werde, erwähnt sie zwar. | |
Beispiele dafür zeigt sie aber nicht. | |
Außerdem scheitert die Reportage - Problem Nummer zwei - an ihrem eigenen | |
Thema. Wie so oft und gern im Journalismus funktionieren auch "37 | |
Grad"-Reportagen nach dem Dreisatzprinzip: Erst drei starke Protagonisten | |
belegen, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt, stehen für | |
unterschiedliche Facetten des Phänomens. Darum erzählt Wegner nicht nur die | |
Geschichte von Ninti, sondern auch die von Sylvia und Tobi. Hässliche | |
Geschichten vom Quälen unter der Dusche, vom Ausgrenzen im Klassenzimmer. | |
Mit Mobbing im Netz haben sie allerdings überhaupt nichts zu tun - auch | |
wenn der Off-Kommentar in einem Nebensatz erwähnt, dass Sylvia "auch per | |
SMS und Internet" diffamiert worden sei. Und so schrappt der Film an seinem | |
eigentlichen Thema vorbei - und schunkelt irgendwo zwischen Mobbing mit und | |
ohne Netz hin und her. | |
## Die Grenzen sind fließend | |
Worin für die Opfer der Unterschied liegt, ob sie nun auf dem Schulhof | |
schikaniert werden oder mit einer theoretisch für jeden im Netz | |
nachlesbaren digitalen Schmiererei? Wo eigentlich die Grenze zu ziehen ist | |
zwischen harmloser Anpflaumerei und verletzendem Mobbing? Ob es heute | |
tatsächlich mehr Cybermobbing gibt - oder das Netz einfach nur mehr Fälle | |
sichtbar macht als früher? Alles Fragen, an denen Filmerin Wegner | |
offensichtlich kein Interesse hat - ihre These ist klar: Schlimm, das | |
alles. | |
Da ist es nur konsequent, dass die Reportage auch daran scheitert, zu | |
zeigen, wie Mobbing-Opfer sich wehren, mit ihrer Lage umgehen könnten. | |
Glaubt man der Reportage, dann ist die erste logische Anlaufstelle für die | |
Pubertierenden das Polizeirevier - dort nämlich beginnt der Film. | |
Da sagt der Polizeibeamte, dem Ninti aufgeregt den Fall schildert: "Das ist | |
ja das Schlimme, wenn jemand so in der ganzen Welt verunglimpft wird." Dann | |
schickt er sie nach Hause - als Minderjährige kann sie ja keine Anzeige | |
erstatten. Betroffener Off-Kommentar: "Die 15-Jährige muss mit den Lügen | |
zunächst allein klarkommen." | |
Erst dann kommt der Schulleiter zu Wort. Belehrt die aufgelöste Schülerin, | |
sie hätte nicht auf die Schmähungen reagieren sollen - und schiebt eine | |
Phrase aus der Pädagogen-Fortbildungsbroschüre hinterher: "Das hinterlässt | |
Spuren im Netz, das ist doch blöd." | |
Gegen Ende des Films darf dann auch Nintis Mutter mal vor die Kamera - die | |
Frau, die eigentlich Nintis erste Anlaufstelle hätte sein müssen. Viel | |
sagen darf sie allerdings nicht - irgendwie verträgt sich ihre unaufgeregte | |
Art nicht mit dem alarmistischen Ton der Reportage. Man kann nur hoffen, | |
dass auf Kinder, die im Netz tatsächlich fertiggemacht werden, empathischer | |
reagiert wird. | |
Cybermobbing-Opfer müssten psychologisch ähnlich betreut werden wie | |
Missbrauchsopfer, schrieb kürzlich die US-Wissenschaftlerin Dannah Boyd, | |
die seit Jahren zu dem Thema forscht. Und wie schlecht Erwachsene die | |
Kommunikationswirklichkeit von Jugendlichen im Netz überhaupt verstehen. | |
Wie wichtig es ist, ihnen in Schule und Elternhaus digitale Medienkompetenz | |
zu vermitteln. | |
Von alldem zeigt die Reportage nichts. Aber wer braucht schon Forschung | |
oder Differenzierung, wenn er eine bestürzte Schlussfolgerung zur Hand hat, | |
bei der die Mehrzahl der Eltern und Pädagogen schockiert nicken werden: | |
"Cybermobbing kann jeden treffen." | |
"37 Grad": "Rufmord im Internet", Dienstag, 6. Dezember, 22.15 Uhr, ZDF | |
6 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Meike Laaff | |
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Schwerpunkt Meta | |
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