# taz.de -- Expansion in USA: Wildwest bei Siemens | |
> Sein neues Gasturbinenwerk hat der Konzern in North Carolina gebaut. Der | |
> Grund: Dort sind wenige Arbeiter in Gewerkschaften organisiert und die | |
> Löhne sehr niedrig. | |
Bild: Lästige Lohnkosten: In North Carolina muss Siemens weniger zahlen. | |
CHARLOTTE taz | "Einer der niedrigsten gewerkschaftlichen | |
Organisationsgrade der Nation" - so wirbt die Handelskammer von Charlotte | |
auf ihrer Website. Weitere Standortvorteile in North Carolina seien die im | |
US-Vergleich niedrigen Löhne sowie die "zweithöchste Produktivität aller | |
Bundesstaaten". | |
Diese Argumente, verstärkt durch Millionen Dollar schwere Subventionen für | |
Neuansiedlungen haben Hunderte Unternehmen nach North Carolina gelockt, | |
darunter auch die Siemens AG aus München. | |
Im November hat der deutsche Konzern ein Gasturbinenwerk mit 700 | |
Arbeitsplätzen in Charlotte eröffnet. Von dem Ort an der Ostküste aus will | |
Siemens bei der bevorstehenden Runderneuerung des maroden Kraftwerkparks in | |
den USA mitspielen und den Rest der Welt beliefern. | |
Vor der Eröffnung hat Siemens seine Gasturbinenfabrik in Hamilton in Kanada | |
geschlossen. 550 Arbeiter, die meisten gewerkschaftlich organisiert, hatten | |
die Wahl zwischen Entlassung oder einem Umzug in das knapp 1.000 Kilometer | |
weiter südlich gelegene Charlotte. Mehrere Dutzend Beschäftigte zogen um. | |
Auch einige der Maschinen, die Siemens in Kanada demontiert hat, stehen | |
jetzt in der neuen Fabrik. | |
Bei ihrer Eröffnung, zu der Siemens Journalisten aus Europa und den USA | |
eingeflogen hat, zählt Spitzenmanager Roland Fischer viele Argumente für | |
den neuen Standort auf. Die "Gewerkschaftsfreiheit", sagt er, "war ein | |
Kriterium." Den Ausschlag habe der US-Markt gegeben. Der sei "mit 20 | |
Prozent des weltweiten Energiekonsums weiterhin der größte Einzelmarkt". | |
## Konkurrenz politisch gut vernetzt | |
Laut Fischer können Gaskraftwerke dort für "Netzwerkstabilität" sorgen, wo | |
es Nachschubengpässe bei erneuerbaren Energien gibt. Doch attraktiv ist das | |
Gasturbinengeschäft in den USA - insbesondere im Verhältnis zu | |
Kohlekraftwerken - erst durch das Fracking geworden. | |
Der massive Einsatz der umstrittenen Gasfördertechnologie des | |
unterirdischen hydraulic fracturing hat die USA binnen wenigen Jahren von | |
einem Gasimport- in ein Gasexportland verwandelt und die Preise gesenkt. | |
"Ohne das Schiefergas wäre die wirtschaftliche Dimension anders", so | |
Fischer. | |
Auf dem Weltmarkt für Gasturbinen hat Siemens den Abstand zu seinem | |
Hauptkonkurrenten General Electrics in den vergangenen Jahren verringert. | |
Aber um zusätzliche Aufträge im Heimatland des politisch gut vernetzten | |
General Electrics zu bekommen, sei eine Produktionsstätte in den USA nötig | |
geworden, erklärt Fischer. | |
## Spezielle Subventionen für Siemens | |
Gemeinde, Kreis und Bundesstaat unterstützen Siemens mit einem großzügigen | |
"Anreizpaket". Wird das Werk wie geplant ausgebaut, erhält der Konzern 45 | |
Millionen Dollar aus der öffentlichen Hand, erklärt die | |
Wirtschaftsverwaltung im County Mecklenburg. | |
Die Subventionen setzen sich zusammen aus speziell für Siemens konzipierten | |
Trainingsprogrammen, Steuernachlässen, Infrastrukturmaßnahmen und als | |
direkte Zahlungen. Attraktiv für die Münchner sind auch die Löhne in | |
Charlotte. Für Arbeiter in der Fabrik von Siemens liegen sie bei | |
durchschnittlich 40.000 Dollar im Jahr. Das entspricht dem regionalen | |
Schnitt. | |
In der US-Hauptstadt kommentiert der Sprecher der Gewerkschaft Electrical | |
Workers Union (UE) die Fabrikeröffnung in North Carolina als "nicht mehr | |
neuen Trend". Chris Townsend: "Die Unternehmen gehen in die in jeder | |
Hinsicht rückschrittlichsten Bundesstaaten der USA, wo sich kein Arbeiter | |
trauen würde, einen Gewerkschaftsbutton zu tragen. Leider gilt das auch für | |
Unternehmen, die in ihren Heimatländern stolz auf ihre Mitbestimmung sind." | |
12 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Atomkraft | |
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