# taz.de -- Porträt Christian Lindner: Der Spieler | |
> Er war die letzte Hoffnung der FDP. Der überraschende Rücktritt des | |
> jungen Generalsekretärs beendet die Krise der Partei nicht, er vergrößert | |
> sie. | |
Bild: Sie nannten ihn "Bambi": Christian Lindner. | |
BERLIN taz | Er lächelt. Ausgerechnet in dem Moment, in dem Christian | |
Lindner vor der eilig versammelten Hauptstadtpresse seinen Rücktritt vom | |
Posten des FDP-Generalsekretärs erklärt, lächelt er. | |
Die steile Berliner Karriere der letzten, nicht diskreditierten | |
Nachwuchshoffnung seiner Partei endet vorerst nach nur zwei Jahren - doch | |
Lindner wirkt wie befreit. Nicht die Zukunft des 32-Jährigen erscheint an | |
diesem grauen Dezembermorgen ungewiss, sondern die der FDP. | |
Lindners Rücktritt kommt überraschend. Zwar ist seine Partei seit | |
Regierungsantritt vor mehr als zwei Jahren in der Dauerkrise, und | |
gewohnheitsmäßig macht sich parteiinterner Unmut über den Vorsitzenden oft | |
Luft an dessen rechter Hand, dem Generalsekretär. Auch ist der Unmut an der | |
Basis groß darüber, wie die Parteiführung mit dem umstrittenen | |
Mitgliederentscheid zur Eurorettung umgegangen ist. | |
So erklärte Lindner - wie Parteichef Philipp Rösler - bereits vor Ablauf | |
der Frist, das Ansinnen des Finanzpolitikers Frank Schäffler, den | |
Eurorettungsschirm abzulehnen, sei gescheitert. Aber nicht gegen Lindner | |
richtete sich die Wut vieler Freidemokraten, sondern gegen den überfordert | |
wirkenden Rösler. | |
Der Rücktritt des Generalsekretärs ist dessen letzter Dienst für seinen | |
angeschlagenen Chef, der die Partei in sechs Monaten im Amt nicht aus ihrem | |
Drei-Prozent-Tief hat führen können. Doch der Druck auf Rösler wird | |
bleiben. Sein Sturz ist nicht weniger wahrscheinlich als zuvor. | |
## Die Boygroup | |
Lindner hingegen hat zum letzten Mal die Rolle des Parteisoldaten gegeben, | |
der die Sache über sich stellt. Damit hat der Taktiker sich vom immensen | |
Druck befreit, eine Politik erklären zu müssen, die ihre Macher selbst | |
nicht mehr verstehen. Was auf den ersten Blick wirkt wie eine Niederlage | |
für den studierten Politologen, ist in Wahrheit seine Chance auf eine | |
politische Wiederkehr. | |
Denn von nun an geht es im FDP-internen Machtkampf nur noch darum, ob | |
Philipp Rösler sich halten kann, oder ob der ganz anders gestrickte | |
Fraktionsvorsitzende Rainer Brüderle kommissarisch die Parteiführung | |
übernimmt. | |
Lindner aber hat die Chance gewahrt, nach einer Entscheidung in die erste | |
FDP-Riege zurückzukehren. Der Jüngste aus der "Boygroup" - Rösler, | |
Gesundheitsminister Daniel Bahr und er - hat die Machtverhältnisse genauer | |
und früher erkannt als seine Konkurrenten, und er hat daraus die richtigen | |
Schlüsse gezogen. So, wie er es in seiner ganzen bisherigen Karriere getan | |
hat. | |
Lindner war stets zur rechten Zeit am rechten Ort. Als Mitte der 90er Jahre | |
Guido Westerwelle der behäbig gewordenen Kanzler-Wahl-Partei FDP ein neues | |
Image verordnete, stieß der Teenager in eine Personallücke. Nach dem | |
Koalitionswechsel der FDP 1982 von der SPD zur CDU war eine ganze | |
Generation davor zurückgeschreckt, der "Umfallerpartei" beizutreten. Es gab | |
jede Menge Platz und Posten für clevere Halbwüchsige wie Rösler, Bahr und | |
Lindner. Letzterer wuchs gar auf im größten FDP-Bezirks- und Landesverband. | |
Doch selbst politische Gegner halten Lindner zugute, dass er seine Karriere | |
auch seiner außerordentlichen Intelligenz verdankt. Noch als Gymnasiast | |
gründete er eine kleine Werbeagentur und stieg rasch bei den Jungen | |
Liberalen auf. Später wurde er Mitgründer eines kurzlebigen | |
Internetunternehmens, das wenige Monate nach seinem Rückzug insolvent ging. | |
## Spitzname "Bambi" | |
Im Jahr 2000 zog Lindner mit 21 Jahren als jüngster Abgeordneter in den | |
nordrhein-westfälischen Landtag. Auf die Abgeordnetenbank gespült hatte ihn | |
das überraschend gute FDP-Abschneiden unter dem Spitzenkandidaten Jürgen | |
Möllemann. Dieser versah den jungen Mann auch mit dem zählebigen Spitznamen | |
"Bambi", der ihn bis nach Berlin begleiten sollte. | |
Gefördert aber hat Lindner stets der langjährige Parteichef Guido | |
Westerwelle, ebenfalls ein Rheinländer. Schon früh wurde klar, dass Lindner | |
mehr kann, als die ewig gleiche Forderung "Steuern runter macht Deutschland | |
munter" nachzubeten. Seine Reden schmückte der Lehrersohn gern mit Zitaten | |
des Soziologen Ralf Dahrendorf und des früh verstorbenen FDP-Vordenkers | |
Karl-Hermann Flach. Der parteipolitisch organisierte Liberalismus in | |
Deutschland sollte nach Lindners Willen endlich wieder ein theoretisches | |
Fundament erhalten. | |
Nachdem Westerwelle die Nachwuchshoffnung vor genau zwei Jahren zum | |
Generalsekretär machte, arbeitete Lindner deshalb intensiv an einem neuen | |
FDP-Grundsatzprogramm. Dieses sollte den marktradikalen Klang und die Kälte | |
der seit 1997 gültigen "Wiesbadener Grundsätze" hinter sich lassen. In | |
sechs sogenannten Grundsatzwerkstätten spielte der Generalsekretär seine | |
größte Stärke aus: seine Lust am intellektuellen Spiel, am Argumentieren | |
und Kräftemessen. | |
So schaffte der erst 32-Jährige, was vor ihm nur wenigen wie Heiner Geißler | |
in der CDU gelang: Dem Generalsekretär erwuchs der Ruf eines von seinem | |
Vorsitzenden unabhängigen politischen Kopfs. | |
## Zwei Lager | |
Daher schwächte selbst der quälend zähe Rücktritt Westerwelles vom | |
Parteivorsitz Lindners Position kaum. Stattdessen beteiligte sich der | |
Junior gar am Sturz des Seniors, ohne politischen Schaden zu nehmen. | |
Als die Partei über ihre Zustimmung zum dauerhaften Eurorettungsschirm ESM | |
debattierte, stellte sich auch Lindner aufs Podium. Bei Diskussionen in | |
Lübeck und München erlebte er, dass das Interesse der Basis an | |
theoretischen Debatten nahe null liegt. Stattdessen bekam er die geballte, | |
aus Ratlosigkeit gespeiste Wut der orientierungslosen Parteimitglieder ab. | |
Bald war Lindner klar: Selbst wenn der Mitgliederentscheid scheitert, | |
könnte er die inhaltliche Neuausrichtung der Partei für lange Zeit | |
vergessen. Anstatt einen neuen Kurs zu setzen, würde er auf Jahre damit | |
beschäftigt sein, Löcher im Rumpf zu stopfen. | |
Heute ist die FDP in zwei zunehmend feindlich gesinnte Lager gespalten. | |
Dort der Brüderle-Flügel der mittelständischen Unternehmer, die von ihrer | |
Führung handfeste Steuererleichterungen einfordern. Hier die zu früh an die | |
Macht gekommenen Mittdreißiger, die ihre Partei thematisch verbreitern | |
wollen, aber selbst nicht recht wissen, was das heißen soll. Für den | |
intellektuellen Spieler Lindner gab es in diesem Machtkampf nichts mehr zu | |
gewinnen, aber viel zu verlieren. | |
Sein Rücktritt schwächt die Rösler-Fraktion, statt Druck von ihr zu nehmen. | |
Bis zur Wahl in Schleswig-Holstein im Mai wird die parteiinterne Macht des | |
Fraktionschefs Brüderle zunehmen. Spätestens wenn die Partei auch bei der | |
einzigen Landtagswahl 2012 ein Desaster erlebt, sind Röslers Tage als | |
Parteichef gezählt. Was dann noch von der FDP übrig ist, darf Brüderle | |
zusammenfegen. Wenn es so kommt, wird Brüderle auch ein gewisses Talent aus | |
dem größten Landesverband einbinden müssen. | |
Als Lindner seine zweiminütige Rücktrittserklärung vor der Presse beendete, | |
blickte er auf, sagte "Auf Wiedersehen". Und lächelte. | |
14 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Matthias Lohre | |
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