Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Bundespräsident in Erklärungsnot: Der Wulff in uns
> Der Bundespräsident gerät in die Kritik, weil er einen Privatkredit in
> Anspruch nahm. Warum eigentlich? Er tat nur das, was viele von uns tun:
> sparen, tricksen, feilschen.
Bild: Bundespräsidentenpaar Bling Bling: Christian Wulff küsst seine Gattin B…
Na, auch schon mal einen Flug billiger bekommen? Ein Auto oder ein sündhaft
teures Designermöbelstück? Für das Ferienhaus an der Cote dAzur gern ein
Drittel weniger bezahlt? Ins Konzert kostenlos gegangen und für ein Buch
keinen einzigen Cent hingelegt? Herzlich willkommen im Klub der
Mitnahmementalität.
Presserabatte, Preisvorteile, Geschenke - wer greift da nicht gern zu. Ganz
sicher nicht nur Christian Wulff. Der Bundespräsident stolpert gerade über
einen 500.000-Euro-Privatkredit, den er 2008 als niedersächsischer
Ministerpräsident von der Ehefrau eines befreundeten Unternehmers in
Anspruch nahm - für weniger Zinsen, als er bei einer Bank hätte zahlen
müssen. Sauerei, empören sich viele.
Allen voran JournalistInnen. Nun ist es oberste Aufgabe von
MedienarbeiterInnen, solche Sauereien aufzudecken und sie zu bewerten.
Bislang kann man Wulff aber politisch nicht so richtig ans Zeug flicken -
also schwingen alle die große Moralkeule.
"Das tut man nicht, Herr Präsident", maßregelt die Süddeutsche Zeitung.
"Kredit und Würde" fordert die Frankfurter Rundschau. Die FAZ bangt gar um
die Regierung: "Vorwürfe gegen Wulff erfüllen Koalition mit Sorge." Die
Internet-Plattform Machtelite fordert schon Wulffs Rücktritt.
## Portal für Bestechlichkeiten aller Art
Da möchte man den KollegInnen am liebsten zurufen: Kommt mal wieder runter.
Und man möchte sie fragen: Seid ihr selbst so sauber, wie ihr das von
anderen fordert? Müssen wir nicht, antworten sie, wir bekleiden kein Amt,
an das solch hohe moralische Anforderungen geknüpft sind.
Aber mal ganz ehrlich: In jedem von uns steckt doch ein Christian Wulff. In
jeder Ärztin, in jedem Sozialarbeiter, in jedem Pfarrer. Vor allem in uns
JournalistInnen. Wir haben sogar ein Portal für Bestechlichkeiten aller
Art: [1][www.presserabatte.com]. Es gibt KollegInnen, die schauen mehrmals
am Tag nach, was so Neues reinkommt.
Es sind ausgerechnet eben JournalistInnen, die im Fall Wulf die Messlatte
der moralischen Integrität jetzt so verdammt hochhängen, dass nur noch
Engel höchste politische Ämter bekleiden dürften. Christian Wulff hat nicht
heimlich ein Kind gezeugt, keinen Unterhalt unterschlagen und auch kein
Verhältnis mit einer 16-Jährigen. Er hat nicht geklaut, nicht
abgeschrieben, nicht gelogen. Aber er war empfänglich für finanzielle
Vorteile. Oder anders gesagt: Er war habgierig.
Habgier ist laut Wikipedia das "übersteigerte Streben nach materiellem
Besitz, unabhängig von dessen Nutzen". Der Nutzen dürfte sich für Christian
Wulff jetzt allerdings in Grenzen halten. Zwar steht der ästhetische
Angriff in Form des Klinkerbaus noch, den das deutsche Staatsoberhaupt mit
der geborgten halben Million bezahlt hat. Aber der politische Schaden ist
weitaus größer.
## Habgier ist menschlich
Er hätte damit rechnen müssen, dass irgendwann auffliegt, wenn er sich als
ein hochrangiger Politiker bei engen Freunden einen finanziellen Vorteil
verschafft, statt ganz offiziell eine Bank zu beleihen. Andere
PolitikerInnen sind über geklaute Lippenstifte, vom Parlament bezahlte
Friseurrechnungen und über Bonusflugmeilen gestürzt.
Man kann davon ausgehen, dass Christian Wulff diese Fälle bekannt sind. Man
kann auch davon ausgehen, dass Christian Wulff weiß, was passiert, wenn er
in solche Fälle verstrickt ist. Aber nein, er er hat sich hinreißen lassen:
Er hat das günstige Geld genommen, er hat billig Urlaub gemacht, er hat
sich im Flugzeug kostenlos von der zweiten in die erste Klasse umbuchen
lassen. Ja, ein solches Verhalten ist habgierig. Aber es ist vor allem
politisch unklug.
Der "Fall Wulff" ist einer von vielen in der politischen Klasse. Das
schmückt keine Demokratie. Kann man Vorteilsnahme eindämmen? Wohl kaum.
Denn Habgier ist auch menschlich. Sie kann jedem passieren.
PolitikerInnen wie JournalistInnen.
15 Dec 2011
## LINKS
[1] http://www.presserabatte.com
## AUTOREN
Simone Schmollack
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kredit-Affäre des Bundespräsidenten: Druck auf Wulff nimmt zu
Es wird eng für den Bundespräsidenten. Möglicherweise kam das
500.000-Euro-Darlehen direkt von seinem Unternehmerfreund Egon Geerkens.
Wulff weist dies über seine Anwälte zurück.
Wulffs Kreditaffäre: Bedauern mit etwas Verspätung
Bundespräsident Wulff erklärt sich: "Es wäre besser gewesen" den
Privatkredit der befreundeten Unternehmergattin Geerkens nicht zu
verschweigen.
Bundespräsident über seinen Kredit: Wulff zeigt Reue
Nach Tagen des Schweigens meldet sich Bundespräsident Wulff nun zu Wort:
"Ich erkenne an, dass hier ein falscher Eindruck entstehen konnte. Ich
bedauere das."
Privatkreditaffäre des Bundespräsidenten: Buddy-Affäre in Bellevue
Die Kanzlerin stellt sich in der Kreditaffäre hinter Wulff - doch intern
ist man in der Union entsetzt. Ihm scheint das Gespür für die Würde des
Amtes zu fehlen.
Bundespräsident Wulff in der Bredouille: Ein Freund, ein guter Freund
Gemeinsame Zeiten in Niedersachsen verbinden: FDP-Chef Rösler springt
Christian Wulff in der Debatte um dessen Finanzgebaren zur Seite. Die
Grünen sehen die ganze Affäre nicht so locker.
Kommentar Kredit für Bundespräsidenten: Wiederholungstäter Wulff
Bei dieser Affäre geht es nicht um die formale Korrektheit der Annahme
eines Privatkredits. Hier geht es um moralische Integrität, denn Wulff ist
kein Bürokrat, sondern Präsident.
Verdacht auf Täuschung des Landtages: Bundespräsident Wulff in Erklärungsnot
Wulffs Glaubwürdigkeit ist angekratzt. Während er in Kuwait weilt, kommen
weitere Details über den 500.000 Euro-Privatkredit ans Licht. Die Grünen
fühlen sich getäuscht.
Verdacht auf Täuschung des Landtages: Wulffs 500.000-Euro-Problem
Das Ehepaar Wulff soll sich eine halbe Million Euro von einem Unternehmer
geliehen haben. Vor seiner Wahl bestritt er die Geschäftsbeziehungen. Nun
tauchten Dokumente auf.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.