# taz.de -- Nordkoreas Diktator Kim Jong Il: Die Sonne ist untergangen | |
> Er förderte die Massengymnastik, rüstete atomar auf und schickte | |
> Störenfriede in Arbeitslager. Nun hat sein Herz versagt. In TV-Bildern | |
> schreien verzweifelte Bürger. | |
Bild: Ob diese Trauer echt ist, ist schwer zu überprüfen: Volk in Pjöngjang. | |
PEKING taz | Zwei Tage lang hielten Nordkoreas Machthaber den Tod ihres | |
höchsten Führers Kim Jong Il geheim. Dann verkündete gestern Mittag eine | |
schluchzende TV-Ansagerin in schwarzer Tracht die Nachricht: Der 69-Jährige | |
war am Sonnabend früh um 8.30 Uhr auf einer Zugfahrt im Dienste seines | |
Volkes gestorben. | |
Sein Herz habe die "großen mentalen und körperlichen Anstrengungen" nicht | |
ausgehalten, die seine "ununterbrochenen Bemühungen für den Aufbau einer | |
blühenden Nation" ihm bereitet hätten, hieß es. Eine Autopsie habe | |
bestätigt, dass sein Herz versagt habe. Die Nordkoreaner müssten "ihre | |
Trauer nun in Stärke verwandeln", erklärte die Sprecherin. | |
Der Tod des Mannes, der sich mit Ehrentiteln wie "Sonne des 21. | |
Jahrhunderts" oder "Großer Führer Genosse General" überhäufen ließ, kam | |
überraschend. Allerdings hatte der Politiker, der im Ausland wegen seines | |
merkwürdigen Auftretens mit Hochfrisur, großer Sonnenbrille und | |
Plateauabsätzen oft verspottet worden war, schon seit Jahren gekränkelt. | |
Nach einem Schlaganfall im Jahr 2008 war er wochenlang ganz aus der | |
Öffentlichkeit verschwunden. | |
Doch in den vergangenen Monaten schien er zu seiner alten Form | |
zurückgefunden zu haben: Auf den Fotos, die ihn fast täglich in den Medien | |
als unermüdlichen Landesvater beim Besuch von Entenfarmen, Glasfabriken, | |
Armeeeinheiten und Wohnviertel zeigten, wirkte er zuletzt wieder rundlich | |
und gekräftigt. | |
Nun ist die Sonne der Nordkoreaner untergegangen. Das nordkoreanische | |
Fernsehen zeigt Bilder von verzweifelten Bürgern, die ihre Trauer | |
herauszuschreien schienen: "Wie konnte er uns verlassen", klagte ein | |
Parteimitglied, "was sollen wir jetzt tun!?" | |
## Nachbarn in Sorge | |
Wie echt die Trauer über den Tod Kims ist, ist vorerst kaum zu ergründen. | |
Nur so viel ist klar: Mit dem Tod des Diktators beginnt nicht nur eine neue | |
Periode großer Unsicherheit für das Regime und für die 23 Millionen Bürger | |
des Landes. Auch die Nachbarn China, Südkorea, Japan und Russland blicken | |
nun mit äußerster Sorge auf die Ereignisse in Nordkorea. | |
Kim Jong Il hinterlässt einen Staat, der sich seit mehr als einem halben | |
Jahrhundert von der Außenwelt abgeschottet hat - und dessen Bürger von | |
Kindheit an dazu erzogen wurden, die herrschende Kim-Dynastie als | |
gottähnliche Retter der Nation vor ausländischen Feinden zu verehren. Der | |
Hauptgegner sind seit dem Ende des Koreakriegs (1950-1953) die USA. | |
Die Schuld an der Hungersnot Mitte der neunziger Jahre, als vermutlich mehr | |
als eine Million Menschen starben, schoben Kim und seine Generäle | |
Naturkatastrophen und den Amerikanern in die Schuhe - nicht etwa der | |
rigiden Planwirtschaft, die bis heute die Bevölkerung über ein | |
Verteilungssystem mit Waren versorgen soll. Wirtschaftliche Hilfen, mit | |
denen China, die UNO und die EU, Südkoreaner und Amerikaner das Land | |
bislang vor dem Zusammenbruch retteten, wurden offiziell als Geschenke des | |
"Lieben Führers" an sein Volk verkauft. | |
Nordkoreas politisches und wirtschaftliches System ist in der Welt | |
einzigartig - eine Mischung aus Kollektivismus, Konfuzianismus und | |
religiöser Überhöhung der Herrscherfamilie, deren Geschichte von Legenden | |
und Mythen durchwirkt ist. Als Kim Jong Il geboren wurde, erschienen | |
angeblich zwei Regenbogen über dem heiligen Berg Paektu, und die Medien des | |
Landes fanden später auch nichts dabei, dem Volk zu erklären, dass ihr | |
Geliebter Führer beim Golfen alle 18 Löcher mit einem Schlag geschafft | |
habe. | |
## Grausames System von Sippenhaft | |
Die Kims erwiesen sich freilich im Alltag als wenig göttlich, sondern als | |
eisenhart: Mithilfe der Armee, der Polizei und eines riesigen Heers von | |
Spitzeln ersticken sie jeden Widerstand im Innern. Dazu trägt ein grausames | |
System von Sippenhaft bei: Auch die Familien von Kriminellen oder politisch | |
unliebsamen Landsleuten müssen büßen. Hunderttausende Nordkoreaner werden | |
derzeit in den Arbeitslagern festgehalten. | |
Gleichzeitig vermittelten die heimischen Medien, Filme und der | |
Schulunterricht den Nordkoreanern lange Zeit den Eindruck, in einem | |
paradiesischen Land zu leben, das sich von allen anderen grundsätzlich | |
unterscheidet und von einem Geist behütet wird: Der 1994 verstorbene | |
Staatsgründer Kim Il Sung regiere bis heute aus dem Jenseits als "Präsident | |
auf ewig". | |
Vor dem Tode des Staatsgründers war Kim Jong Il zwei Jahrzehnte lang auf | |
seine Rolle als Nachfolger an der Spitze Nordkoreas vorbereitet worden. | |
Obwohl er nie in der Armee diente, machte der Senior ihn früh zum General | |
und übertrug ihm die Propagandaarbeit in der Koreanischen Arbeiterpartei. | |
Studienkollegen an der Universität in Pjöngjang, wo Kim Jong Il in den | |
sechziger Jahren Wirtschaftsvorlesungen besuchte, beschreiben ihn als | |
"hochintelligent, interessiert, politisch bestens informiert". | |
## Intelligenz und Machtversessenheit | |
"Er hatte eine besonders schnelle Auffassungsgabe", berichtet ein | |
chinesischer Nordkoreaexperte. "Er sprach gut Russisch und kam häufig zu | |
uns ausländischen Studenten, um mit uns zu diskutieren." | |
Seine Intelligenz paarte sich mit Machtversessenheit, Skrupellosigkeit und | |
der Liebe zum schönen Leben: Er ließ Filmstudios bauen und führte selbst | |
Regie. Er verbot Jazzmusik, förderte die Massengymnastik und ließ perfekte | |
Paraden organisieren. Er ließ südkoreanische Filmstars und junge Japaner | |
entführen und schickte seine Söhne in die Schweiz zur Schule. Nach Angaben | |
von Nordkoreaspezialisten soll er insgesamt elf Kinder von fünf Ehefrauen | |
und drei Geliebten haben. | |
Auf sein Konto geht auch eine Reihe von Attentaten - unter anderem eine | |
Bombenexplosion, bei der im Jahr 1983 zahlreiche Angehörige der | |
südkoreanischen Regierung in Birma ums Leben kamen, sowie der Anschlag auf | |
ein südkoreanisches Passagierflugzeug im Jahr 1987, bei dem alle 115 | |
Passagiere starben. | |
Kim gelang es aber immerhin, sein Land trotz der jahrelangen Embargos in | |
den Kreis der Atomstaaten zu hieven. Seither ist er nicht nur Vorbild für | |
sein eigenes Volk, sondern auch für viele andere Diktatoren dieser Welt. Am | |
29. Dezember soll er neben seinem Vater begraben werden. | |
19 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Jutta Lietsch | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Beisetzung von Kim Jong Il: Sogar Eulen heulen um Kim | |
Am Mittwoch wird der verstorbene Machthaber Kim Jong Il beigesetzt. Sein | |
Sohn und Nachfolger versucht die Macht zu konsolidieren. | |
Nordkorea nach Kim Jong Ils Tod: Nachbarn beraten über den Neuen | |
Die Position des neuen Staatschefs Kim Jong Un festigt sich. Er ist nun | |
Oberbefehlshaber der Armee und Parteichef. Japan und China tauschen sich | |
über Stabilität auf der koreanischen Halbinsel aus. | |
Nordkorea nach Kim Jong Ils Tod: Machtwechsel in Zeiten der Aufrüstung | |
Chinas Führung signalisiert auch mit der Anteilnahme am Tod des Diktators | |
Kim Jong Il ihre Unterstützung für den neuen Machthaber Kim Jong Un. Doch | |
Peking ist auch besorgt. | |
Kim Jong Un: Abbild seines Vaters | |
Er hat noch nie öffentlich gesprochen, ihm fehlen Reife und Netzwerk. Kim | |
Jong Un übernimmt Nordkorea. Entspannung ist auch von ihm nicht zu | |
erwarten. | |
Kommentar Kim Jong Il: Pufferstaat Nordkorea | |
Nordkorea liegt zwischen mächtigen Nachbarn, die einander nicht über den | |
Weg trauen. Für sie ist jeder Kim das kleinere Übel. Reformen sind so nicht | |
zu erwarten. |