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# taz.de -- Lettland ohne Finanzaufsicht: Haushalt saniert, Menschen ruiniert
> Lettland gilt als Vorbild für Budgetsanierung. Gespart wurde
> hauptsächlich bei den Armen. Aber dem Ansehen des Staates bei
> Finanzinvestoren hat das wenig genützt.
Bild: Protest gegen den Sparkurs in Lettland. Die Kassen sind "tukšs": leer.
STOCKHOLM taz | Mission erfüllt. Lettland ist wieder "souverän" und darf in
Zukunft allein über seine Staatsfinanzen bestimmen. Am 22. Dezember endete
die dreijährige Überwachungsperiode, unter der das Land seit Ende 2008
gestanden hatte. Zwischenzeitlich hatten in Riga keine Budgetentscheidungen
getroffen werden können, ohne dass IWF und EU diese vorab absegnen mussten.
Das war eine Bedingung dafür, dass sie damals das Land mit Krediten in Höhe
von 7,5 Milliarden Euro - einem Drittel des jährlichen Bruttosozialprodukts
- vor dem drohenden Staatsbankrott gerettet hatten.
Und nun könnten sich alle europäischen Länder von Lettland eine Scheibe
abschneiden, lobte beispielsweise der deutsche Wirtschaftsminister Philipp
Rösler Anfang Dezember: Das Land sei ein leuchtendes Beispiel für einen
erfolgreichen Reform- und Budgetsanierungsprozess.
Es lassen sich Zahlen finden, die dafür zu sprechen scheinen. Das fast
zweistellige Staatsdefizit wurde auf 6 Prozent des BIPs abgebaut und soll
im kommenden Jahr bei unter 3 Prozent landen.
Das Wirtschaftswachstum, das 2009 mit einem Fünftel eingebrochen war, hat
in diesem Jahr erstmals wieder positive Vorzeichen. Die Zahl der
Pkw-Neuzulassungen stieg in den ersten elf Monaten diesen Jahres um über 80
Prozent gegenüber dem Vorjahr an.
Solche Konsumfreuden sind auf einen kleinen Teil der Bevölkerung
beschränkt. Die Arbeitslosenrate liegt offiziell bei 11,5, im Osten des
Landes bei 19,7 Prozent. Tatsächlich wird sie auf das Doppelte geschätzt.
Weniger als ein Drittel der Arbeitslosen hat überhaupt Anspruch auf
Arbeitslosenunterstützung, so dass es eine hohe Dunkelziffer gibt.
Lettland hat laut letzter Eurostat-Statistik den höchsten Anteil Armer in
der EU, und viele Sozialämter warten immer sehnsüchtig auf die
Lebensmittelhilfspakete aus Skandinavien.
## An der falschen Stelle gespart
Lettland hat sich aus der Krise gespart. Und das vorwiegend an den falschen
Stellen. Ursprünglich war verkündet worden, man wolle zwei Drittel der
notwendigen Einsparungen durch Kürzungen und ein Drittel durch staatliche
Einnahmesteigerungen erreichen.
Die Bilanz nach drei Jahren: Es wurde vor allem über Steuermehreinnahmen
saniert, die schwache Bevölkerungsgruppen überproportional trafen: Erhöhung
der Mehrwertsteuer, Abschaffung des ermäßigten Mehrwertsteuersatzes für
Elektrizität, Erhöhung des Arbeitnehmeransteils bei den Sozialabgaben.
Die Einkommensteuer, die vor allem Besserverdienende traf, wurde
tatsächlich erst erhöht und dann schnell wieder gesenkt. Nur massiver Druck
von IWF und EU führten auch zur Einführung einer Grundsteuer.
## Negative Bewertung
Und gekürzt wurde nicht beim aufgeblähten Staatsapparat, sondern vor allem
im Sozialbereich. Viele Schulen wurden geschlossen, LehrerInnen entlassen.
Der Gesundheitssektor wurde besonders schwer getroffen. Anfang des Jahres
hatten Studenten, Lehrer und Polizisten protestiert.
Und wie weit dieser Sparkurs trägt, ist fraglich. Im November misslang es
Riga, zehnjährige Staatsanleihen zu platzieren, und Mitte Dezember stufte
die Ratingagentur Fitch die Kreditaussichten des Landes herunter.
Trotz eines Arbeitskostenniveaus von weniger als einem Drittel des
EU-Durchschnitts ist es schwer, Investoren ins Land zu locken. Die
verbreitete Korruption spielt dabei keine unwesentliche Rolle.
22 Dec 2011
## AUTOREN
Reinhard Wolff
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