# taz.de -- Drogenerfahrungen mit liberalen Eltern: "Du aber nicht, oder?" | |
> Die unausgesprochene Abmachung mit den Eltern war: Tu, was du willst, | |
> aber lass dich besser nicht erwischen. Doch am Ende wurde es mehr als nur | |
> ein Zeitvertreib. | |
Bild: Motto: "Kiffen ja, alles andere nein." | |
Über das Leben meiner Eltern als Spätjugendliche weiß ich nicht viel. | |
Würden sie mir von ihren Eskapaden erzählen, müssten sie wahrscheinlich | |
enorme Autoritätsverluste befürchten - ich glaube, sie waren Punks. Deshalb | |
war auch ihre Erziehung in Bezug auf Drogen so schlicht wie fundiert. | |
"Kiffen ja, alles andere nein." | |
Das bedeutet für Mädchen im lernfähigen Alter so viel wie: "Tu, was du | |
willst, aber lass dich besser nicht erwischen." Drogen und Sex standen auf | |
einer Stufe: Ich tat, was ich wollte, und redete nicht viel drüber. So | |
ersparten wir uns gegenseitig die Stellungnahmen. | |
Meine Drogenkarriere begann mit dem ersten Silvester am Gymnasium. Vier | |
frühreife Mädchen, die durch eine selbstgebaute Bong Gras rauchten und die | |
ganze Nacht kicherten. Obwohl ich so tat, als ob, merkte ich nichts, | |
wahrscheinlich ging es den anderen auch so - wir fanden uns so cool und | |
unsterblich. | |
Wir gehörten zur Schul-AG "gegen rechts" und machten alles mit. Ich lernte, | |
schnell viel Bier zu trinken und wie man Tüten baut, Bong raucht und dass | |
nur Nazis und andere dumme Menschen Chemozeug nehmen. Dieses Credo hält | |
sich bis heute. | |
## Rauchen konnte nur altersgemäß sein | |
An meinem fünfzehnten Geburtstag lud ich alle potenziellen Partyfreunde zu | |
mir nach Hause ein, meine Eltern stellten die Regeln auf. Jeder Gast durfte | |
zwei Bier kriegen, alles andere sollen sie selbst mitbringen. Und um zwölf | |
sind meine Eltern zum Gratulieren wieder zu Hause. So weit die Abmachung. | |
Gegen acht brachte jemand Engelstrompete zum Rauchen mit. | |
Das war ja keine chemische Droge, sie zu rauchen konnte nur altersgemäß | |
sein. Während ich also besonders cool und lässig rauchte, erzählte mir | |
jemand die Geschichte des Mannes, der eines Nachts das Gleiche tat. Er ging | |
in seinen Schuppen, schmiss die Motorsäge an und hackte sich den Arm ab. | |
Der Abend war gelaufen. | |
Meine Freunde sangen das Ständchen auf dem Klo, meine Mutter hielt mir die | |
Haare. Die Nacht wurde nie wieder thematisiert. Bis heute denken meine | |
Eltern, ich hätte kalten Glühwein getrunken. Ihnen die Wahrheit zu sagen, | |
hätte weitreichende Konsequenzen haben können. Womöglich hätten sie mich | |
für süchtig gehalten und mich noch mehr kontrollieren wollen. | |
## Ein bisschen legal | |
Lange Zeit dachte ich, dass dieser kindische Quatsch irgendwann automatisch | |
ein Ende hätte. So wie bei meinen Eltern eben. Und deshalb kiffte ich viel | |
und noch mehr, bevor es zu spät sein würde. Ich fand, dass Alkohol und | |
Cannabis im Prinzip eins sind, nur dass das eine ganz und das andere ein | |
bisschen legal ist. | |
Anders als mit meinen Kiffkumpanen habe ich diese Ansicht noch nie mit | |
meinen Eltern diskutiert. Und solange mir nichts passiert, reicht es ihnen | |
auch, bei dramatischen Geschichten aus dem Umfeld Zeigefinger und | |
Augenbrauen zu heben und "Du aber nicht, oder?" zu fragen. Mir jedenfalls | |
reicht es. Wieder. | |
Dieses jugendliche stille Genießen hätte ewig so weitergehen können. Ich | |
lernte gute Menschen kennen, führte seichte und tiefe Gespräche, hörte die | |
immergleiche Musik. An den Wochenenden, in stressigen Zeiten, während des | |
Abiturs, in unstressigen Zeiten, wenn ich unendlich verknallt war oder als | |
Zeitvertreib zwischendurch - wenn was da war, rauchte ich es, wenn nicht, | |
dann machte ich mich auf die Suche. | |
## Gras fürs Gassigehen | |
Nach der Schule aus meiner Heimatstadt rauszukommen, entfachte meine | |
postgymnasiale, jugendliche und sommergetränkte Fantasie und ich malte mir | |
ein neues, endlich sorgenfreies Leben mit meinem sorgenvollen Freund in | |
meiner ersten Wohnung aus. Der Typ, der über uns wohnte, hatte drei | |
herausragende Eigenschaften: Er konnte Haare schneiden, besaß einen Hund | |
namens Angel und er war bereit, mich fürs Gassigehen mit Gras zu entlohnen. | |
Ich ließ mir also die Haare immer kürzer schneiden, begann eine Romanze mit | |
dem Hund und hatte immer genug Zeug zu Hause, um in einem sehr einfachen | |
Rhythmus zu leben. Vormittags tat ich, als studierte ich, die Nachmittage | |
verbrachte ich mit Angel, und abends kifften wir uns in den Schlaf. Mama | |
und Papa waren weit weg, die kriegten nicht mit, wenn ich über Wochen | |
völlig breit ins Bett ging. Und ich kriegte nicht mit, wie aus dem schönen | |
Zeitvertreib ein Katalysator für meine ohnehin nicht wenigen Probleme | |
wurde. | |
Am Ende des ersten Winters in der neuen Stadt war ich fest davon überzeugt, | |
dass mein Leben langweilig und wertlos sei, Angel und ich dringend nach | |
Israel auswandern müssten und dass meine regelmäßigen Panikattacken | |
frühkindlichen Defiziten entspringen. | |
Meine Eltern kamen als Nothaken nicht infrage, sie hätten mich ja sonst für | |
süchtig gehalten und noch mehr kontrollieren können. Ich fand mich | |
erwachsen genug, auf keinen Fall sollten sie mich in meinem schwächsten | |
Moment für schwach halten. Kiffen wurde zum Zuckerersatz. Es brachte mich | |
auf einen erträglichen Pegel, aber wenn die Wirkung nachließ, hatte ich | |
noch weniger Glückshormone als vorher. Und um die wahren Probleme | |
anzugehen, dafür war ich zu paralysiert. | |
## Die Rettung war die WG | |
Der Weg nach draußen dauerte fast ein Jahr und war voller Rückfälle. Ich | |
machte eine Therapie, zerstritt mich bis zum eisigen Schweigen mit meinen | |
Eltern, trennte mich von meinem Freund, versuchte immer wieder mit dem | |
Rauchen aufzuhören, hielt mich mit Süßigkeiten über Wasser und | |
konzentrierte mich, so gut es ging, auf mein Studium. | |
Die Rettung war eine WG. Dort fand ich Freunde, die bereit waren, Abende | |
mit Krisensitzungen zu verbringen und die praktischerweise wegen Asthmas | |
nicht kiffen wollten. Mit ihnen habe ich getanzt. Wir zogen durch die | |
Clubs, und ich eroberte nachts die Schönheit des Lebens zurück. Heute rede | |
ich glücklicherweise wieder mit meinen Eltern. | |
Aber nicht übers Kiffen. Es war damals zwar nicht der Grund für meine | |
Traurigkeit, aber sicher einer der Auslöser. So habe ich es mir | |
zusammengebastelt. Ich befürchte, meine Eltern könnten mir dieses Konstrukt | |
kaputtmachen. Also sage ich nichts. Ich frage sie ja schließlich auch nicht | |
nach ihren Drogenerfahrungen. | |
31 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Hanna Maier | |
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