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# taz.de -- Drogenerzählungen im Fernsehen: Der Stoff, aus dem die Serien sind
> Ohne Drogen hätte man in vielen Serien nichts zu gucken. In "The Wire",
> "Boardwalk Empire" oder "True Blood" bieten sie einen wunderbaren
> Erzählstoff.
Bild: Profitiert von der Illegalität der Drogen: Enoch Thompson (Steve Buscemi…
Ein paar Straßenzüge tragen in der US-amerikanischen Fernsehserie "The
Wire" den Spitznamen Hamsterdam. Die zweistöckigen Reihenhäuser im Western
District von Baltimore stehen leer, nur in einem wohnt eine alte
Afroamerikanerin. Viele Fenster sind vernagelt, die Gegend macht einen
heruntergekommenen Eindruck.
Die innerstädtische Verwahrlosung ist nicht nur in der Fiktion, sondern
auch in der Wirklichkeit ein Kennzeichen der Stadt im US-Staat Maryland;
sie offenbart sich hier in ihrer ganzen Härte. Zugleich findet in
Hamsterdam ein soziales Experiment statt. Drogen können frei gehandelt
werden, die Polizei schreitet nicht ein, wenn die Dealer ihren Kunden Crack
oder Heroin zustecken.
Verantwortlich für dieses Experiment zeichnet ein Polizeimajor namens
Colvin (Robert Wisdom). Er steht kurz vor der Pensionierung. Der Druck des
Bürgermeisters, die hohe Verbrechensrate in Baltimore zu senken, hat andere
hochrangige Polizisten dazu getrieben, die Statistiken zu schönen. Colvin,
die ehrliche Haut, hat stattdessen lieber Hamsterdam erfunden.
Seine Vorgesetzten hat er nicht informiert, seine Untergebenen machen
widerwilig mit. Aber die Methode hat Erfolg. Die Zahl der Verbrechen sinkt
um 14 Prozent, die Sozialarbeiter sind zufrieden, denn in Hamsterdam können
sie sterile Spritzen und Kondome verteilen, also die negativen Folgen von
Drogenhandel und -konsum lindern.
## Unerreichte Virtuosität
Für eine Fernsehserie wie "The Wire" ist das ein wunderbarer Rohstoff. Auf
der einen Seite steht das Ideal einer drogenfreien Welt, dem sich so gut
wie alle Gesetzeshüter und Durchschnittsbürger verpflichten. Mit aller
Macht und unter hohen Kosten versuchen sie es zu erkämpfen; sie erreichen
es nie.
Auf der anderen Seite steht der Pragmatismus Colvins, der erkennt, dass
Drogen nicht aus der Welt zu schaffen sind, und deshalb versucht, Wege zu
finden, wie alle besser damit leben können. Die beiden Positionen liegen
miteinander im Clinch, und weil sich bis zur letzten Folge der Staffel
keine ganz durchsetzt, geht der dramatische Treibstoff nicht aus.
"The Wire", von David Simon konzipiert und für den Bezahl-Sender HBO
produziert, ist bei weitem nicht die einzige US-amerikanische Fernsehserie,
in der Drogen eine zentrale Rolle spielen. In ihrer epischen Ausdehnung und
ihrer virtuosen Erfassung des städtischen Raums bleibt sie unerreicht, ein
Solitär. Was wiederum nicht heißt, dass sich "Breaking Bad" (für den
Kabelsender AMC produziert), "True Blood" oder "Boardwalk Empire" (beide
HBO) nicht auch sehen lassen könnten.
Auf je eigene Weise tragen sie Substanzielles zum Umgang mit illegalen
Substanzen bei. Nicht zu vergessen sind die Figuren in "Mad Men", die um 10
Uhr morgens einen doppelten Whisky intus haben und rauchen, als wären ihre
Kapillaren zu teerende Feldwege.
## Sphären, für die Normalsterbliche Drogen brauchen
In "True Blood" ist es das sogenannte V, das Blut der Vampire, das die
begehrte Substanz darstellt, und auch auf vielen anderen Ebenen der von
Alan Ball entwickelten Fantasy-Serie geht es um Kicks und Thrills, um
rauschhaftes Erleben und das Spiel mit der Gefahr, das den Rausch noch
besser macht (Sex mit einem Vampir gehört hier, anders als in der prüden
"Twilight"-Saga, unbedingt dazu).
Je mehr Folgen der Serie man sieht, umso besser versteht man, dass in dem
fiktiven Südstaatenkaff Bon Temps ohnehin niemand ganz normal ist - in fast
jeder Figur steckt entweder ein Vampir, eine Fee, ein Werwolf, ein Shape
Shifter oder ein Hexer, fast jeder Akteur steht mit einem Bein in dem
Reich, das sich der Tagesrationalität entzieht, hat also Zugang zu den
Sphären, für die Normalsterbliche Drogen brauchen.
Von der Konfrontation unterschiedlicher Sphären weiß einiges zu erzählen,
wer "Breaking Bad" schaut. Die Serie, für die Vince Gilligan verantwortlich
zeichnet, bezieht ihren Reiz zunächst einmal daraus, dass sie einen 50
Jahre alten, etwas spießigen Chemielehrer in die Welt der Produzenten,
Dealer und Konsumenten von Crystal Meth versetzt. Bei Walt White (Bryan
Cranston) wird Lungenkrebs diagnostiziert; um seine jüngere Frau Skyler
(Anna Gunn), den 15 Jahre alten Sohn Walter jr. (RJ Mitte) und das noch
nicht geborene Baby finanziell abzusichern, beginnt er Crystal Meth
herzustellen; Schauplatz ist Alburquerque, New Mexico.
Das Hin und Her zwischen dem überschaubaren, geregelten Suburbia-Alltag und
den Drogenhöhlen und Gangsterquartieren reibt den Protagonisten auf; was
die komödiantische Seite von "Breaking Bad" anbelangt, hat man es mit einer
typischen Diener-zweier-Herren-Konstellation zu tun, auf einer tiefer
liegenden Ebene der Serie aber passiert etwas anderes: Walt White fällt aus
seinem bisherigen Leben heraus, einmal schleicht er sich nachts ein und
beobachtet heimlich, durch eine halb geöffnete Tür seine Frau und seinen
Sohn in der Küche, er ist ein Fremder im eigenen Haus.
## Gesetzeshüter und Gesetzesbrecher
Aber sind die Sphären wirklich so klar voneinander abgegrenzt? "Breaking
Bad" vollzieht eher zwei parallele Bewegungen: In dem Maße, wie Walt aus
seinem geregelten Umfeld herausrutscht, erweist sich das Umfeld als gar
nicht mehr so geregelt. Walts Schwager Hank (Dean Norris) etwa arbeitet für
die DEA, doch in seiner Garage braut er Bier und ist dabei ähnlich verzückt
von den chemischen Prozessen wie Walt, wenn er im Wohnmobil in der Wüste
mit Methylamin hantiert.
"The Wire" treibt die Parallelisierung von Gesetzeshütern und
Gesetzesbrechern noch weiter, insofern die Verfasstheit der Polizeieinheit
rund um McNulty, Bunk und Gregg immer wieder in der Verfasstheit des
Drogenrings rund um Avon Barksdale und Stringer Bell gespiegelt wird.
Mit der Legalität und der Illegalität ist es sowieso so eine Sache. In
einer Folge von "Breaking Bad" schaut der DEA-Mann tief in sein Whiskyglas
und sinniert darüber, wie willkürlich das alles doch ist: Vor 70, 80 Jahren
war der Alkohol verboten, während Methylamphetamin noch im Vietnamkrieg als
Aufputschmittel verwendet wurde.
## Der Segen der Prohibition
Dazu passt "Boardwalk Empire", eine in den späten 20ern, zu
Prohibitionszeiten angesiedelte Serie, in der Whisky die verbotene Substanz
ist. Für den Kingpin von Altantic City, Enoch "Nucky" Thompson (Steve
Buscemi), ist die Prohibition ein Segen, kann er doch ihretwegen mit dem
Whiskyschmuggel beste Geschäfte machen. Von einer rigiden Politik
profitieren zuallererst die, die mit der illegalisierten Substanz Handel
treiben. Diese Doppelmoral erschließt sich in so schönen Szenen wie der, in
der Thompson bei einer Versammlung von Temperenzlerinnen auftritt und mit
Verve wider den Teufel Alkohol wettert.
Wenn aus der Reibungszone von Illegalität und Legalität eine Triebkraft für
die Serien entsteht, dann hat dies eine Entsprechung in der Frage, wie sich
die Drogenringe organisieren. Auf der einen Seite steht eine kriminelle,
beinahe kriegerische Logik, auf der anderen das Streben nach
Professionalisierung, und dazwischen gibt es viel Bewegung.
Stringer Bell, einer der wesentlichen Drahtzieher in "The Wire" (Idris
Elba), studiert nicht zufällig Wirtschaftswissenschaften, und obschon seine
Bande militärisch straff verfasst ist (die Straßendealer werden "soldier",
ihre unmittelbaren Hintermänner "lieutenant" genannt), übt er sich in
Verhandlungslogik, wenn er auf die konkurrierenden Organisationen zugeht,
weil man ohne zu morden möglicherweise die besseren Geschäfte macht.
Doch die Verhandlungsrunden scheitern regelmäßig an schwelenden Fehden,
ungesühnten Morden, unverziehenen Ehrabschneidungen. In einer Figur wie
Omar Little (Michael K. Williams), die sich als unabhängiger Einzelkämpfer
behauptet, fließen die kriegerische und die ökonomische Logik zusammen: Je
nach Blickwinkel ist er ein Freischärler im Drogenkrieg oder ein Freelancer
in der Drogenökonomie von Baltimore.
## Höhepunkte und schale Augenblicke
Bleibt die Frage, warum Serien ein so gutes Medium sind, um von Drogen zu
sprechen. Vielleicht, weil sie selbst süchtig machen. Als wir "The Wire"
schauten, nannten wir die von Freunden geborgten, auf Vorrat gehorteten
DVDs "stash", benutzten also das Wort, das die Dealer in der Serie für ihre
versteckten Drogenvorräte verwenden. Bei "True Blood" fieberte ich dem
Moment des Tages entgegen, in dem ich den großartigen Vorspann endlich
wiedersehen, Jace Everetts Song "Bad Things" hören, mich von diesen Bilder
der Verzückung, der Ekstase, der Verwesung, des pulsierenden Blutes in Bann
schlagen lassen würde.
Und wie bei jeder Form süchtigen Konsums gibt es die Höhepunkte, aber auch
die schalen Augenblicke, die gerade eben die Entzugserscheinungen lindern,
die Überdosierungen und den Überdruss: Müssen sich Walt White und sein
Partner in Crime Jesse Pinkman (Aaron Paul) jetzt schon wieder so
anschreien? Können die auch mal normal miteinander reden?
Dabei ist Seriengucken eine harmlose Sucht, ein perfektes Beruhigungsmittel
für Leute, die sich nach anderen Exzessen vielleicht noch sehnen, dafür
aber zu früh aufstehen müssen. Man leidet nicht unter Nebenwirkungen, außer
ein bisschen Müdigkeit am nächsten Morgen, wenn einen das Ganze mal wieder
bis zwei Uhr nachts wachgehalten hat.
Die Figuren bezahlen ihre Eskapaden deutlich teurer - man denke nur an den
Informanten namens Tortuga aus "Breaking Bad", den der coole,
narbengesichtige Danny Trejo in einem Gastauftritt spielt. Irgendwann
bewegt sich sein Kopf, auf den Panzer einer Schildkröte geschnallt, durch
den Wüstensand New Mexicos. Und dann dauert es auch schon nicht mehr lange,
bis er explodiert.
30 Dec 2011
## AUTOREN
Cristina Nord
## TAGS
Serie
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