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# taz.de -- Am Ende der Welt auf Rügen: Im wasserdichten Zeitalter
> Gerade so wild, wie wir es zulassen, so zahm scheint uns die Natur in
> diesem Land. Dabei kann sie jederzeit gefährlich werden, wie gerade auf
> der Insel Rügen.
Bild: Die Gefahr von Abbrüchen am Kreidefelsen auf Rügen besteht weiterhin. J…
Aaaaaaaaaaaaaaah, Wiiiiiiiiind! Maximales Gebläse und Getöse, das die
Goretex-Jacke zu einem Brett plättet und den eigenen stoßenden Atem wieder
zurück in den Rachen drückt. Tosender Wind, weiter Blick, wütender Lärm des
Meeres. Derlei Geworfensein in die Elemente sucht, wer an einem stürmischen
Wintertag am Kap Arkona wandern geht.
Nach Tagen der weihnachtlichen Hitze, nach schweren Braten und brennenden
Schnäpsen, nach stundenlanger Familienumarmung endlich raus an die Küste,
ans Ende der Welt. Vor sich die wilde Ostsee, unter sich der nasse Sand und
über sich … die Klippe.
Diese Klippe, das Kap Arkona am nördlichsten Ende der Insel Rügen, ist
wunderschön. Dreiundvierzig Meter ragt sie fast senkrecht in den Himmel, je
nach Jahreszeit reflektiert die Steilwand aus Sand und Sedimenten das
Licht. Sagenhafte 800.000 Besucher kommen Jahr für Jahr ans Kap, um hier
spazieren zu gehen und sich vom Ostseewind durchpfeifen zu lassen.
Am Montag hat solch ein Spaziergang für eine Familie ein sehr trauriges
Ende genommen. Eine Mutter und ihre beiden Töchter sind von abbrechenden
Erdmassen fortgerissen worden; das zehnjährige Mädchen ist wohl tot, von
ihr fehlt jede Spur. Die Rettungskräfte mussten am Dienstag ihre Arbeit
abbrechen, zu gefährlich war die Situation für die Helfer geworden - im
nassen Kalk hatten sich zwei neue Risse gezeigt.
## "Vielleicht ein anderes Verhältnis zur Natur gewinnen"
Nun ist das Gebiet um die Unglücksstelle abgeriegelt. Die schwerverletzte
Frau wird in einem Krankenhaus behandelt, ihre vierzehn Jahre alte Tochter
ist leicht verletzt. Und die Gemeinde Putgarden, zu der Kap Arkona, dieses
einmalige Naturdenkmal, gehört, hat ihr traditionelles Silvesterfeuerwerk
für die touristischen Massen abgesagt. Man müsse, so der Bürgermeister,
"vielleicht ein anderes Verhältnis zur Natur gewinnen".
Wer je hoch oben auf dem Kap stand, wer dort die Leuchttürme und den
Peilturm bestaunt hat, einen Grog getrunken und im Schutz der
Sanddornhecken nach Atem gerungen hat, der steigt meist auch hinab zum
Wasser. 230 Stufen hat die Königstreppe, 1833 hatte Preußens König
Friedrich Wilhelm III. sie bauen lassen. Sie führte zu einem
Schiffsanleger, der die Ausflügler ans Kap brachte - schon damals also war
der Ort ein touristischer Hotspot, "übernutzt" würden Regionalplaner heute
sagen.
## Verwunderlich, dass sich nicht viel mehr verletzen
Es verwundert, dass hier nicht viel öfter Menschen verletzt wurden. Wer
unten an der Wasserkante steht, den Kopf weit in den Nacken gelegt,
kapiert, was Schwerkraft bedeuten kann. Dass man selbst hier und heute
nicht ihr Opfer wird, kann man allenfalls hoffen. In den zurückliegenden
sechs Jahren hat es sieben Abbrüche allein auf Rügen gegeben, 2005 kam eine
Frau im Südosten der Insel zu Tode.
Dass wir Menschen an stürmischen Regentagen unterhalb einer nassen,
schweren Sandwand herumlaufen, ist möglicherweise ein Zeichen dafür, wie
entfremdet wir der Natur sind. In unseren Goretex-Jacken und den
wasserdichten Stiefeln, die Fließmütze auf den Ohren und das Bienenwachsgel
auf den Lippen meinen wir, mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts vor Wind
und Wetter, größeren Kräften überhaupt und, ja, dem Zufall selbst geschützt
zu sein. Zumindest irgendwie dagegen versichert.
In einem Land, das zugepflastert ist mit Warn-, Verbots- und
Gebotsschildern erscheint es uns ein Ding der Unmöglichkeit, dass wir an
diesem Ort, diesem saugefährlichen Stück Natur, für uns selbst
verantwortlich sein könnten. So ist es aber.
27 Dec 2011
## AUTOREN
Anja Maier
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