# taz.de -- Starke Frauen in Argentinien: Don't cry for me | |
> Schicksalsschläge bedeutender und umstrittener Frauen in Argentinien | |
> haben das Volk stets bewegt. Und auch zum politischen Erfolg manches | |
> beigetragen. | |
Bild: Geliebt, gehasst, an Hauswänden verewigt: Evita Perón. | |
Argentiniens Präsidentin Cristina Kirchner ist an Schilddrüsenkrebs | |
erkrankt. Bei einer Routineuntersuchung wurde auf dem rechten Lappen der | |
Schilddrüse ein Karzinom entdeckt. Sie ist nicht die erste wichtige Frau | |
des Landes, die vom Schicksal hart geprüft wird. | |
Auf die Frage, welche drei Frauen in Argentinien für ihn die wichtigsten | |
sind, antwortete kürzlich der bekannte Historiker Felipe Pigna: Victoria | |
Ocampo, Eva Perón und die Präsidentin. Die Schriftstellerin Victoria Ocampo | |
war 1979 im Alter von 88 Jahren an Kehlkopfkrebs gestorben. Eva Perón, | |
genannt Evita, unterlag 1952 im Alter von 33 Jahren dem | |
Gebärmutterhalskrebs. | |
Der frühe Tod Evitas ist weltweit bekannt, nicht zuletzt durch das | |
gleichnamige Musical. In Argentinien ist Evitas Leiden und Sterben vor | |
allem der älteren Generation in lebendiger Erinnerung. Eva Perón | |
unterstützte die Forderung nach dem Frauenwahlrecht, gründete die | |
feministisch-peronistische Front, forderte Bezahlung für Hausarbeit, sah | |
den entstehenden Kult um ihre Person gern und beteuerte gleichzeitig immer | |
wieder, dass sie alles nur für ihr geliebtes Argentinien und ihren | |
geliebten Mann tue, für den sie sich auch opfern würde. Sie selbst leitete | |
das Regierungsbüro für Arbeit und Wohlfahrt, und nach ihr war eine Stiftung | |
benannt, die ebenfalls Geld verteilte: Die "Descamisados" (Hemdlosen), die | |
Armen, waren die Nutznießer dieser Wohltätigkeit. | |
## Nie wurde eine Frau so geliebt und gehasst wie Evita | |
Hunderttausende standen Schlange, um ihr nach ihrem Tod einen letzten Blick | |
zuzuwerfen: Sie defilierten weinend an dem gläsernen Sarg vorbei, in dem | |
Evita, der "Engel der Armen", aufgebahrt war. Doch Evita spaltete die | |
Gefühlswelt der ArgentinierInnen. Nie zuvor wurde eine Frau so geliebt und | |
so gehasst wie Eva Perón. Als ihre Krebserkrankung bekannt wurde, | |
schmierten Unbekannte "Viva el cancer - Lang lebe der Krebs" an eine | |
Hauswand. Doch während der Hass heute Geschichte ist, lebt der Mythos Evita | |
weiter. "Evita vive - Evita lebt" ist noch immer auf vielen Mauern und auf | |
Transparenten bei Demonstrationen zu lesen. | |
Als 2008 die Bauern und Großgrundbesitzer auf die Barrikaden gingen und die | |
Landstraßen blockierten, als die Ober- und Mittelschicht auf den Straßen | |
der Städte auf die Kochtöpfe schlug, weil Cristina die Sojaexportsteuer | |
anheben wollte, da schimmerte auch wieder Hass durch. Bewies sein latentes | |
Vorhandensein. Dann starb völlig überraschend ihr Ehemann und Expräsident | |
Néstor. | |
## Schmerz versöhnt die Schichten | |
"Es ist der traurigste Moment meines Lebens, nicht der schwierigste", sagte | |
eine um Fassung ringende Präsidentin in ihrer ersten Fernsehansprache nur | |
wenige Tage nach dem Tod. Die trauernde Witwe bekam Mitgefühl auch aus den | |
Schichten, die ihr feindlich gesonnen waren. Cristina versöhnte auf ihre | |
Weise die Gefühlswelt der ArgentinierInnen. Aus diesem | |
schichtenübergreifenden Mitgefühl kamen einige der 54 Prozentpunkte, mit | |
denen sie als bisher einzige Frau in Lateinamerika ihre Wiederwahl zum | |
Staatsoberhaupt schaffte. | |
Und jetzt hat Cristina Krebs und die ganze Nation ist geschockt. Doch die | |
Zeiten sind andere, Cristina ist heute 58 Jahre alt. Ihre Heilungschancen | |
stehen sehr gut, sagen die Ärzte. Sie wird ihre zweite Amtszeit vollenden, | |
und dann wird politische Bilanz gezogen. | |
29 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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