# taz.de -- Hamburg verhandelt über umstrittenes Flüchtlingslager: SPD will F… | |
> In der Opposition hatte sich die Hamburger SPD vehement gegen das | |
> umstrittene Flüchtlingslager Nostorf/Horst ausgesprochen. Jetzt sitzt sie | |
> selbst im Senat - und verhandelt über einen neuen Vertrag. | |
Bild: Für sie gibt es hier keine Möglichkeit zum Schulbesuch: Flüchtlingskin… | |
HAMBURG taz | Die Nachricht im September war unmissverständlich: Ab Ende | |
2012 sollten keine Hamburger Flüchtlinge mehr im umstrittenen Lager im | |
mecklenburgischen Nostorf/Horst untergebracht werden. Den Vertrag mit | |
Hamburg hatte Mecklenburg-Vorpommern gekündigt. Da dort nämlich die | |
Flüchtlingszahlen seit Jahren kontinuierlich steigen wie überall in | |
Deutschland, meldete das Land Eigenbedarf an. Doch nun verhandeln nach | |
taz-Informationen beide Länder über einen neuen Vertrag - und zwar schon | |
seit Wochen. | |
Hamburg werden Ende 2012 etwa 400 Plätze in Flüchtlingsunterkünften fehlen. | |
Dort aber herrscht Wohnungsnot, auf dem Wohnungsmarkt ebenso wie bei der | |
öffentlichen Unterbringung, beispielsweise von Obdachlosen. Mit anderen | |
Worten: Für Flüchtlinge bleibt in der Stadt wenig Platz. Eine Kooperation | |
mit Mecklenburg-Vorpommern käme dem Senat da gelegen. Damals wie heute | |
(siehe Kasten). | |
Doch im Laufe der letzten sechs Jahre wurde die Kritik am Lager immer | |
lauter. Zeitungen schrieben über Horst, Flüchtlingsorganisationen | |
demonstrierten vor dem Tor. 2010 traten die Bewohner in Hungerstreik, Worte | |
wie "menschenunwürdig" und "Knast" fielen. Das Lager liegt - drei Kilometer | |
hinter der alten DDR-Grenze - in einer ehemaligen Kaserne, umgeben von | |
Brachflächen und Maisfeldern. Keine Schule weit und breit. Bereits der | |
schwarz-grüne Senat hatte sich im Koalitionsvertrag gegen eine | |
Unterbringung von Familien mit schulpflichtigen Kindern in Horst | |
ausgesprochen: Dennoch wohnen derzeit 48 Kinder in Horst, die eigentlich | |
zur Schule gehen müssten. Wie die taz berichtete, unterliegen nämlich auch | |
Flüchtlinge der Schulpflicht, so steht es im Hamburger Schulgesetz. | |
"Diesen Hinweis haben wir uns auch zu Herzen genommen", sagt Ksenija | |
Bekeris, sozialpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion. Bei einem neuen | |
Vertrag werde man für einen entsprechenden Unterricht sorgen. Wenn nicht an | |
einer öffentlichen Schule, dann wenigstens in Form von Deutschunterricht im | |
Lager selbst. In Hamburg habe man keine Unterkünfte gefunden, sagt Bekeris. | |
Auch Verhandlungen mit anderen Ländern seien ins Leere gelaufen. Ist Horst | |
also ohne Alternative? "Ich bin keine notorische Horst-Gegnerin", sagt | |
Bekeris. "Eine gute Lösung kann es auch in Horst geben." Anfang des Jahres | |
sollen die Verhandlungen zum Abschluss kommen. | |
"Die SPD macht sogar schlechtere Flüchtlingspolitik als Schwarz-Grün", sagt | |
Franz Forsmann vom Hamburger Flüchtlingsrat. Und: "In Horst kann es keine | |
Verbesserung der Zustände geben." Das Lager sei zu isoliert, die | |
Flüchtlinge würden nicht beraten. Wer aufgrund seiner Flucht nach | |
Deutschland traumatisiert sei, bekomme schlicht Schmerzmittel verabreicht. | |
Einen Dolmetscher gebe es nicht. In der Antwort des Senats auf eine Anfrage | |
der Linkspartei heißt es dazu nur lapidar: "In der Regel können sich die | |
Bewohner (…) den Mitarbeitern der Verwaltung hinreichend verständlich | |
machen." Forsmann glaubt, die Unterbringung im abgelegenen Horst sei vom | |
Senat bewusst kalkuliert: Wer gerade am Anfang nicht beraten werde, habe | |
sehr schlechte Chancen auf ein erfolgreiches Asylverfahren - und | |
protestiere in der Regel nicht gegen eine Ablehnung. | |
2006 waren die Kosten eines der Hauptargumente für Horst. Sie sollten um | |
die Hälfte auf zwei Millionen Euro im Jahr sinken. Laut aktueller | |
Vereinbarung, die der taz vorliegt, zahlt Hamburg derzeit 22,27 Euro pro | |
Person und Tag an Mecklenburg-Vorpommern. Bei 179 Menschen, die derzeit in | |
Horst untergebracht sind, ergeben sich Kosten von etwa 1,5 Millionen Euro | |
jährlich. 2010 waren es nur 1,3 Millionen. | |
Ralf Göttlicher vom Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern will aus dem | |
dortigen Innenministerium vernommen haben, das Land habe den Vertrag nur | |
"pro forma" gekündigt, um die eigene Verhandlungsbasis zu stärken. Da das | |
Land mehr Plätze selbst auslastet, kann es jetzt von Hamburg mehr Geld | |
fordern. Das Innenministerium selbst wollte der taz dies so nicht | |
bestätigen. Aber, sagt Sprecherin Marion Schlender, man sei natürlich | |
"offen für Angebote". | |
Und die Hamburger Innenbehörde? Die taz hatte seit Wochen mehrere Male den | |
Senator Michael Neumann angefragt, mit der Bitte um ein Gespräch zum Lager | |
in Horst. Bis Redaktionsschluss am Donnerstagnachmittag wollte er sich | |
nicht äußern. Er wird wissen, warum. | |
29 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Emilia Smechowski | |
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