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# taz.de -- Kolumne Die rätselhafte Welt des Sports: Seltsame Schanzen-Spezies
> Mit einer Eiseskälte erfüllen Skispringer ihren Job als Vielflieger.
> Hinter der vermeintlichen Professionalität steckt ein Hang zum Exzess: es
> wird gesoffen, gekokst und gestrippt.
Bild: Abgehoben: Peter Prevc beim Sprung in Bad Mitterndorf.
Es ist wieder mal Murmeltiertag, in anderen Worten: Vierschanzentournee.
Jedes Jahr um diese Zeit stürzen sich Sportler von vier Schanzen und
versuchen dabei auch noch wie ein V auszusehen. Männer mit bizarren Namen
wie Ronny Hornschuh (aus Zella-Mehlis, dem Holmenkollen der Ex-DDR), Vegard
Sklett aus Norwegen (der gerade mal 59 Kilo wiegt, nomen est omen), der
Pole Majiej Kot (sein Trainer: "Was war das für ein Scheiß-Sprung, Kot?!"),
Roar Ljøkelsøy (der seinen Sohn Sokrates genannt hat! Sokrates Ljøkelsøy -
da haben manche Leute schon von der bloßen Aussprache eine Mandelentzündung
bekommen), die Finnen Heikki Ylipulli (muss eine Woll-Outdoor-Marke aus
Suomi sein) oder Artuu Eemeli Lappi (der dann logischerweise auch an der
Lappland-Universität/Rovaniemi studiert hat), der Japaner Taku Takeuchi
(der immer so schnell außer Atem ist).
Seltsam nur, dass Felix Magath in der Winterpause keinen einzigen dieser
Herren für den VfL Wolfsburg verpflichtet hat … Was all diese Männer eint,
ist die Eiseskälte, mit der sie ihren Beruf ausüben. Nehmen wir mal Janne
Ahonen, den humorlosen Finnen. Der war so nüchtern, so perfekt, dass manche
Kritiker in ihm ein XXXL-Handy von Nokia mit besonders guten
Flugeigenschaften vermuteten.
Doch in seiner Autobiografie (für die sein Manager Jukka Härkönen den
Co-Autor Pekka Holopainen engagierte, das mit den Namen hat also Methode)
deckt Ahonen bzw. Holopainen auf: Bei der Skiflug-WM in Planica habe er
zusammen mit seinem Teamkollegen Risto Jussilainen 24 Dosen Bier geleert
und war am folgenden Tag dennoch 240 Meter weit gesprungen.
## Angst vor Alkoholtest
Das hätte Weltrekord bedeutet, wenn er bei der Landung nicht gestürzt wäre.
Aus Angst vor einem Alkoholtest habe er sich anschließend aber strikt
geweigert, ins Krankenhaus gebracht zu werden. An sein großes Vorbild wird
er dennoch nie hinkommen: Matti Nykänen, die Skisprunglegende der 80er
Jahre. Nach dem Karriereende startete der zunächst recht erfolgreich als
Popsänger durch, für sein erstes Album "Yllätysten yö" ("Nacht der
Überraschungen") mit der Single "V-Tylli" ("V-Stil") bekam er sogar die
Goldene Schallplatte.
Unvergessen sein Schlager "Yy kaa koo nee - vauhti kovenee" ("Eins, zwei,
drei, vier - das Tempo erhöht sich"), vielleicht antizipierte er hier schon
seine kommenden vier Scheidungen und seine Tätigkeit als Stripper.
Autobiografisch wurde es in der Comeback-Nummer "Ehkä otin, ehkä en"
("Vielleicht hatte ich einen Drink, vielleicht nicht").
Da hatte er schon zweieinhalb Jahre im Gefängnis verbracht, weil er einen
Freund im Alkoholrausch nach einem Streit ums Fingerhakeln (!) in einer
Waldhütte in Nokia (!) niedergestochen hatte. Seine Autobiografie heißt
übrigens "Grüße aus der Hölle".
## Mischung aus Barockpuppe und Boskop-Apfel
Dort befand sich auch ganz kurzfristig Andi Goldberger, der österreichische
Skispringer. Der Bauernbub, der mit seinen gelockten blonden Haaren und
roten Backen immer wie eine Mischung aus Barockputte und Boskop-Apfel
aussah, war im Wiener Nachtleben mit Kokain "angezuckert" worden (oder wie
man in Wien sagt: Geh, Burli, ziag da des a amol eini"). Angeblich nur ein
einziges Mal, weswegen ihm ganz Sport-Österreich seinen Ausflug in den
Schnee tränenreich verzieh.
Der Norweger Lars Bystøl dagegen stürzte im Vollrausch 2003 ins Osloer
Hafenbecken, gewann dann 2006 die Goldmedaille in Turin, um 2008 wegen
Cannabis-Konsums gesperrt zu werden. Skispringer haben auf Gras auch nichts
verloren. Und dann war da ja noch der englische Bauarbeiter Michael
Edwards, der erste britische Skispringer, kurzsichtig wie eine Spitzmaus,
übergewichtig, mutig, aber untalentiert, er wurde immer Letzter und fiel
vom Schanzentisch wie ein nasser Boxsack. Oder Harri Olli aus Rovaniemi,
der das volle Programm abzog: Alkoholexzesse, Vizeweltmeister, Gruppensex,
suspendiert, Stinkefinger.
Fest steht: Dieser Sport ist etwas für Exzentriker und Ausgestoßene unserer
Gesellschaft: Alkoholiker, Kurzsichtige, Österreicher, Stripper. Auch
morgen werden wieder - wie immer - die Österreicher gewinnen, da half
selbst eine telefonische Intervention von Bundespräsident Christian Wulff
bei den Veranstaltern für das deutsche Team nichts. Das war jetzt übrigens
frei erfunden (nicht dass Wulff gleich wutentbrannt bei der taz anruft).
4 Jan 2012
## AUTOREN
Achim Bogdahn
## TAGS
Ski
Skispringen
Schwerpunkt Fußball-EM 2024
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