# taz.de -- Buch zur Lage der Weltwirtschaft: Wider den staatsfreundlichen Zeit… | |
> Der amerikanische Politologe Ian Bremmer sieht "Das Ende des freien | |
> Marktes" heraufdämmern. Er will den Wohlstand gegen den | |
> "Staatskapitalismus" verteidigen. | |
Bild: Bedrohen staatskapitalistische Konzerne wie Gazprom die Weltwirtschaft? | |
Dieses Buch ist gegen den Zeitgeist geschrieben. Mit dem "Ende des freien | |
Marktes" hat der New Yorker Politologe und Politikberater Ian Bremmer eine | |
220-seitige Warnung vor zu viel Staat und der Beschränkung des freien | |
Weltmarktes verfasst. | |
Aufmerksamkeit ist ihm damit gewiss. Nach vier Jahren Finanzkrise denken ja | |
viele Bürger das Gegenteil: Es sei an der Zeit, die Märkte, Banken und | |
Investoren mal ordentlich zu regulieren. Aus dieser Haltung speist sich die | |
Occupy-Bewegung. Sogar Kanzlerin Angela Merkel will den "Primat der | |
Politik" gegenüber der Wirtschaft wiedererrichten. Und Frankreichs | |
Präsident Nicolas Sarkozy sagte 2009: "Die herausragende Eigenschaft dieser | |
Krise ist die Rückkehr des Staates, das Ende der Ideologie von seiner | |
Ohmacht." | |
## Wohlstandverluste für alle | |
Diesen Zeitgeist, von dem sich Bremmer abgrenzen will, versteht er nicht | |
nur als westliches, sondern als globales Phänomen. Mit dem Erstarken des | |
Staatskapitalismus meint Bremmer den wachsenden Einfluss von | |
Staatskonzernen aus Rohstoff- und Schwellenländern wie Russland, | |
Saudi-Arabien, China oder Brasilien. | |
Diese würden die politische Herrschaft autoritärer Regierungen verbreiten, | |
den freien Handel einschränken und einem Protektionismus Vorschub leisten, | |
dem auch manche westliche Regierung unter dem Druck ihrer Wählerschaft | |
zuneige. | |
Ian Bremmer, Jahrgang 1969, leitet die Eurasia Group, eine Beratungs- und | |
Forschungseinrichtung mit Sitzen in New York, Washington und London. Das | |
britische Wirtschaftsmagazin Economist sieht ihn als aufsteigenden Stern. | |
Beim Weltwirtschaftsforum in Davos dirigiert Bremmer eine Gruppe über | |
geopolitische Risiken. | |
Insgesamt müsse sich der Einfluss des Staates in engen Grenzen halten, | |
argumentiert Bremmer mit argwöhnischem Blick auf Staaten wie China. | |
Staatliche oder halbstaatliche Unternehmen wie die chinesischen Öl-Konzerne | |
CNPC und Sinopec strebten im Gegensatz zu westlichen Firmen nicht nur | |
ökonomische Macht und lohnende Rendite an, sondern missbrauchten den | |
Weltmarkt auch dafür, politische Ziele der Regierung in Peking | |
durchzusetzen. | |
Beim russischen Gaskonzern Gazprom und dem brasilianischen Unternehmen | |
Petrobras sei das ähnlich - staatskapitalistische Firmen agierten zunehmend | |
als einflussreiche Handlager ihrer jeweiligen Regierungen. | |
Diese hätten damit die Möglichkeit, politisches Wohlverhalten anderer | |
Länder mit ökonomischem Druck zu erzwingen. Auch das wirtschaftliche | |
Wachstum falle geringer aus, weil die Staatskapitalisten dazu tendierten, | |
den Welthandel auf die Interessen ihres Staates hin zu kanalisieren. Der | |
neue Protektionismus sei dem freien Austausch von Waren und | |
Dienstleistungen abträglich und führe schließlich zu Wohlstandsverlusten | |
für alle. | |
## Die Reichtumsverteilung verschiebt sich | |
Was ist von dieser Argumentation zu halten? Bremmer stützt seine These vom | |
zunehmenden Einfluss der Staatskapitalisten unter anderem auf die | |
Forbes-Liste, die die 2.000 wichtigsten Unternehmen der Welt verzeichnet. | |
Zwischen 2004 und 2008 seien über 100 Konzerne aus Schwellenländern neu auf | |
dieser Liste aufgetaucht, während über 200 aus den alten Industrieländern | |
in die zweite Liga abstiegen. | |
So betrachtet verschiebt sich die Reichtumsverteilung in der | |
Weltwirtschaft. Aber bedeutet das aus der Sicht Europas und der USA auch | |
eine Gefahr? Schließlich stammen nur 16 der aktuell 100 wichtigsten | |
Konzerne der Welt aus China, Russland, Mexiko, Saudi-Arabien und Brasilien. | |
Die alte westliche Firmenelite mit JP MorganChase, General Electric, Exxon, | |
Citigroup, AT&T, Allianz, VW und wie sie alle heißen, ist immer noch | |
weitgehend unter sich. | |
Was die Staatsfonds betrifft, sieht die Sache allerdings anders aus. In | |
Finanzkonglomeraten wie der China Investment Corporation oder der Abu Dhabi | |
Investment Authority sammeln die Rohstofflieferanten und neuen | |
Exportnationen Hunderte Milliarden Dollar, mit denen sie weltweit auf | |
Einkaufstour gehen. Auf den ersten zehn Plätzen dieser Liga steht mit dem | |
norwegischen Government Pension Fund gerade einmal ein Unternehmen der | |
alten Industrieländer. | |
## Wechselseitige ökonomische Abhängigkeit | |
Hier macht Bremmer einen Punkt. Infolge der in der vergangenen Dekade | |
deutlich gestiegenen Rohstoffpreise verschieben sich die globalen Gewichte | |
an dieser Stelle eindeutig. Während China & Co. Geld sammeln, sind Europa & | |
Co. verschuldet. | |
Muss man sich aber Sorgen machen, dass etwa Peking seine wachsende | |
ökonomische Macht in politische Forderungen übersetzt? Dass derartige | |
Ansprüche bestehen, bejaht Hanns Günther Hilpert von der Berliner Stiftung | |
Wissenschaft und Politik. Von Europa verlange Peking beispielsweise, als | |
Marktwirtschaft anerkannt zu werden, Zugang zu europäischen Waffenexporten | |
zu erhalten und mehr Stimmrechte beim Internationalen Währungsfonds zu | |
bekommen. | |
Und in Washington setze sich China dafür ein, beim Zugang seiner Waren zum | |
US-Markt nicht behindert zu werden. "Was aber kann der Gläubiger gegenüber | |
dem Schuldner tatsächlich durchsetzen?", fragt Hilpert bezüglich Hunderter | |
Milliarden Dollar, die China in US-Staatsanleihen investiert hat. Auch für | |
Europa ist die Frage relevant, denn hier hofft man auf chinesische | |
Finanzhilfe bei der Bewältigung der Schuldenkrise. Es bestehe "eine | |
wechselseitige ökonomische Abhängigkeit", antwortet Hilpert. | |
Das heißt: Falls die chinesische Regierung und ihre Staatsfonds zur | |
Durchsetzung politischer Ziele damit drohten, US-Staatsanleihen in großen | |
Mengen zu verkaufen oder keine neuen zu erwerben, wäre das nicht sehr | |
glaubwürdig. Schließlich müssen die chinesischen Investoren ihr Kapital | |
irgendwo anlegen. Eine Alternative zu US-Dollar-Anleihen sei kaum in Sicht. | |
## Mit der Analyse von Risken Geld verdienen | |
Und wie steht es mit Bremmers Argument, die Staatskapitalisten würden Teile | |
des Weltmarktes abschotten und so dem freien Welthandel schaden? Die | |
Washingtoner Forschungseinrichtung Peterson Institut for International | |
Economics kam 2010 zu dem Ergebnis, dass sich chinesische Rohstoffkonzerne, | |
die Lagerstätten in aller Welt ausbeuten, auch nicht viel anders verhalten | |
als westliche Unternehmen wie BHP Billiton oder Rio Tinto. | |
Entgegen oft geäußerten Meinungen würden die Chinesen gefördertes Öl und | |
Erz nicht komplett zur eigenen Versorgung ins Heimatland verfrachten, | |
sondern durchaus auf dem Weltmarkt anbieten. Der Grund: Auch chinesische | |
Staatsunternehmen stünden unter Renditedruck und würden sich deshalb an | |
marktwirtschaftliche Grundregeln halten. | |
Hanns Günther Hilpert von der Stiftung Wissenschaft und Politik fasst | |
zusammen: "Grundsätzlich besteht die Gefahr der Segmentierung des | |
Weltmarktes und des Protektionismus, aber sie manifestiert sich gegenwärtig | |
nicht." Bremmers Ansatz erscheint bedenkenswert, aber doch dem Interesse | |
des Risikoforschers geschuldet, Risiken aufzudecken und an ihrer Analyse | |
Geld zu verdienen. | |
Bleibt die an die Adresse westlicher Regierungen ausgesprochene Warnung des | |
Buchautors, in der Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise und aus Angst vor | |
den Staatskapitalisten nicht selbst in einen neuen Protektionismus zu | |
verfallen. An Gelegenheiten dafür besteht angesichts der mangelnden | |
Wettbewerbsfähigkeit vieler US-Unternehmen und der hohen Arbeitslosigkeit | |
tatsächlich kein Mangel. Manchem Gewerkschafter wäre es lieber, wenn die | |
billigen chinesischen Importprodukte außerhalb der US-Grenzen blieben. | |
Die Forderung nach einer besseren Regulierung der Finanzwirtschaft | |
vereinnahmt der Autor allerdings zu Unrecht in seiner Kritik des | |
ökonomischen Zeitgeistes. Der Occupy-Bewegung und vielen Bürgern geht es | |
zwar auch um einen stärkeren Staat, aber nicht zum Schutz nationaler | |
Unternehmen. | |
Sie plädieren für die Selbstbehauptung des Gemeinwesens gegenüber den | |
partikularen Interessen der Banken und Investoren. Diesen | |
staatsfreundlichen Zeitgeist wirft Bremmer in einen Topf mit dem Wunsch | |
nach nationaler Abschottung gegenüber äußeren Feinden - eine Polemik, die | |
der notwendigen Regulierung der Finanzmärkte abträglich ist. | |
8 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Hannes Koch | |
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