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# taz.de -- Debatte Deutschland und Europa: Mein Albtraum Angela
> Die Bundeskanzlerin zerstört mit ihrem deutsch-nationalistischen
> Krisenmanagement die Europäische Union. Dabei braucht Europa genau jetzt
> eine gemeinsame Lösung.
Bild: Augen zu und durch? Merkel in der Eurokrise.
Das Vereinigte Europa ist mein Traum. Angela Merkels Europa wird zu meinem
Albtraum. Wie die meisten Abgeordneten im Europäischen Parlament versuche
ich die gemeinsamen Institutionen zu stärken und auszubauen. Angela Merkel
hat einige hundert Meter weiter im Ratsgebäude der europäischen Regierungen
in wenigen Stunden die politische und ökonomische Spaltung Europas
eingeleitet.
In Deutschland wird Angela Merkel nach dem jüngsten Gipfel in Brüssel fast
wie eine Wiederkehr des Eisernen Kanzlers gefeiert. In nahezu jedem
Kommentar liest man anerkennend, sie habe sich "durchgesetzt". In
angelsächsischen Medien heißt es hingegen, die Kanzlerin habe dem Rest
Europas das deutsche Stabilitätsmodell "aufgezwungen". Die deutsche
Inflationsangst wird als eine Art historisch-genetischer Defekt begriffen.
In Frankreich kündigt der sozialistische Präsidentschaftskandidat
Widerstand gegen die deutsche Schuldenbremse an.
In ganz Europa verliert Deutschland über Jahrzehnte mühsam aufgebaute
Sympathien. Man spricht nicht gern gezwungenermaßen deutsch in unseren
Nachbarländern. Es ist bezeichnend, dass der britische Premier David
Cameron in den heimischen Medien genauso gefeiert wird wie Angela Merkel
hierzulande, weil er sich ihrem Diktat verweigert hat.
## Briten ließen sich mit aktiver Geldpolitik einbinden
Aus gutem Grund, nämlich aus historischer Erfahrung, hat deutsche
Europapolitik in der Vergangenheit immer Geben und Nehmen verbunden.
Niemals haben wir unsere ökonomische Macht zur einseitigen Durchsetzung
unserer Ziele eingesetzt, fast immer haben wir Geld gegeben und Anerkennung
bekommen. Nur so konnte die deutsche Exportindustrie Europa erobern.
Auch in der aktuellen Krise besteht die Möglichkeit zum europäischen
Kompromiss. Deutschland könnte für die Zustimmung der Partner zu einer
langfristig verbindlichen Stabilitätsunion kurzfristig effektive Hilfe für
die südeuropäischen Staaten bei der Lösung ihrer Refinanzierungskrise
leisten. Auch die Briten, denen nicht die Furcht vor Inflation, sondern vor
Depression in den Knochen sitzt, ließen sich mit einer aktiven Geldpolitik
der EZB einbinden.
Der harte Kurs der Kanzlerin hat eine solche Einigung unmöglich gemacht und
erschüttert nun die Grundfesten Europas. Denn Angela Merkel hat auf dem
Gipfel eine faktische Aufhebung wesentlicher Elemente der EU-Verträge
durchgesetzt.
Seit Lissabon können und sollen Staatengruppen vertiefte Zusammenarbeit
praktizieren. Aber nach einer gemeinschaftlichen, vertraglich geregelten
Methode, die Kommission und Parlament beteiligt. So ist gesichert, dass die
Zusammenarbeit der einen nicht die anderen ausgrenzt und Europa spaltet.
Angela Merkel hat sich darüber leichtfertig hinweggesetzt. David Cameron
sagt mit Recht, die Institutionen der EU gehören der EU.
## Gezielte Entdemokratisierung
Das kann darauf hinauslaufen, dass alle Sanktionsmechanismen, die Angela
Merkel über Europäische Kommission und Gerichtshof durchsetzen will,
rechtlich angreifbar und nichtig sind. Das spaltet Europa und stürzt seine
Institutionen in eine existenzielle Krise. Ein Europaparlament, das nichts
mehr zu sagen hat, ist verzichtbar.
Dieser Prozess der Entdemokratisierung ist nicht nur erschreckend, sondern
auch gefährlich für den Einigungsprozess. Ohne eine demokratische Kontrolle
seiner Entscheidungen ist der vorgesehene Super-Kommissar mit
Durchgriffsrechten auf nationale Haushalte der absehbare Buhmann jedes
nationalen Populisten. Die Summe der 27 (oder weniger) nationalen
Parlamente kann nicht ein mit dem Rat gleichberechtigtes und direkt
gewähltes Entscheidungsgremium ersetzen.
Ob Märkte, Ratingagenturen und Ökonomen, niemand ist der Ansicht, dass mit
Schuldenbremsen und Strafen allein die Refinanzierungsprobleme Spaniens
oder Italiens verschwunden sind. Allenfalls langfristig mag eine Rückkehr
zu den Kriterien von Maastricht einen Beitrag zu mehr Vertrauen leisten.
Kurzfristig ist zu befürchten, dass die Zinsen für den italienischen und
spanischen Staat weiter steigen und die erzwungene Austerität Europa in
eine Rezession stürzt.
## Letzter Rettungsanker EZB
Was Europa jetzt braucht, ist eine europäische Lösung des Schuldenproblems.
Alles, was dazu geeignet ist, wurde von Angela Merkel mit eiserner Faust
niedergehalten. Schon vor einem Jahr hat Eurogruppenchef Jean-Claude
Juncker den Vorschlag gemacht, gemeinsame Staatsanleihen in Form von
Eurobonds auszugeben.
Hätten wir das letzte Jahr genutzt, um sie einzuführen, und die deutsche
Zustimmung an die jetzt erzwungene Stabilitätsunion gekoppelt, wir hätten
die Schuldenkrise gelöst und wären einen riesigen Schritt in der
europäischen Einigung vorangekommen. Es war allein die deutsche Politik,
die das verhindert hat.
Und warum das alles? "Wir zahlen nicht für eure Krise", haben die deutschen
Gewerkschaften den Bankern entgegengeschleudert. Das war eine Illusion, wir
sitzen mit den Finanzakrobaten der Welt in einem Boot und können nur um den
Preis des Ertrinkens aussteigen. Angela Merkel hat die Deutschen im Glauben
gelassen, sie müssten nicht für die Krise der Italiener, Griechen und
Spanier zahlen. Auch das ist eine Illusion, wir können den Rest Europas nur
um den Preis eines Absturzes unserer Exportwirtschaft mit sich allein
lassen.
Die Milliarden, für die wir mittlerweile bürgen, sind aber schlecht
angelegt, weil sie uns immer weiter in Zahlungsverpflichtungen treiben und
gleichzeitig immer weiteren Kredit kosten. Selbst Barack Obama hat die
Kanzlerin offen für ihre Rezessionspolitik kritisiert. Ökonomisch nichts
gewonnen, Sympathien von Freunden verspielt - und politisch die Axt an die
europäischen Institutionen gelegt, das ist die bedrückende Bilanz der
Angela Merkel.
Besonders grotesk ist aber, dass die politisch richtige, weil europäisch
konsensfähige Lösung auch ökonomisch besser wäre. Die EZB ist die einzige
Institution, die uns aus der aktuellen Refinanzierungskrise lotsen kann.
Sie muss dafür nur europäisch handeln dürfen, nicht deutsch.
6 Jan 2012
## AUTOREN
Franziska Brantner
## TAGS
Muss Europa deutsch werden?
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