# taz.de -- Debatte Deutschland und die Eurokrise: Sehnsucht nach Großmacht | |
> Wer das Gerangel um den Euro verstehen will, muss die Geschichte der | |
> letzten siebzig Jahre mitdenken – vor allem die Sehnsucht der deutschen | |
> Eliten, wieder Großmacht zu sein. | |
Bild: Sehnsucht nach Bedeutung: Außenminister Westerwelle bei der UN in New Yo… | |
Vom Ausland her betrachtet haben die Deutschen gute Gründe, den Euro nicht | |
zu mögen – nicht zuletzt deswegen, weil er ihnen von außen, genauer gesagt | |
von François Mitterand, aufgenötigt wurde. Denn ohne Euro keine Zustimmung | |
Frankreichs zur Wiedervereinigung. Ein großes, ungebundenes Deutschland im | |
Herzen Europas – das war zu viel für einen Präsidenten der altehrwürdigen | |
französischen Republik. | |
Der Euro also als Zwangsjacke, als etwas jedenfalls, das Deutschland in | |
Europa fest und unwiderruflich verankert; und zudem konnte man in | |
Deutschland den aufgezwungenen Euro durchaus auch als letzten Ausfluss der | |
Niederlage im Zweiten Weltkrieg sehen, der Abschiedsgruß der alten | |
Weltordnung 1945 ff. an die neue 1989 ff. | |
Die Abneigung gegen die Gemeinschaftswährung verläuft in Deutschland | |
deswegen auch durch alle sozialen Schichten. Die erste Nachkriegsgeneration | |
geht ja schon in Rente, und nicht nur sie fragt sich verständlicherweise, | |
was sie noch mit Ereignissen zu tun hat, die mehr als sechzig Jahre | |
zurückliegen. | |
Aber Mitterands Sorgen waren so unberechtigt nicht, denn eine Sache ist, | |
wie sich eine Bevölkerung entwickelt, eine andere, was die Eliten vorhaben; | |
und die leiden oft an Größenwahn. Dafür stehen im Ausland immer noch Namen | |
wie Friedrich II. von Preußen, Bismarck - und heute auch Angela Merkel. | |
## Die Eliten wollen Deutschland in den Kreis der Großmächte hieven | |
Während die deutsche Bevölkerung mit der Rolle Deutschlands in der Welt | |
ganz zufrieden ist, verfolgen die gesellschaftlichen Eliten – und zwar | |
parteiübergreifend – unbeirrt das Ziel, Deutschland wieder in den Kreis der | |
Großmächte zu hieven. Was wesentlich bedeutet, die Ergebnisse des Zweiten | |
Weltkriegs zu revidieren. | |
Ein Beleg dafür ist der bisher erfolglos gebliebene, aber hartnäckig weiter | |
verfolgte Versuch, Deutschland einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu | |
verschaffen. Ein anderer ist die Eile, mit der die Osterweiterung der EU | |
vorangetrieben wurde, um sich ein politisch und ökonomisch abhängiges | |
Hinterland zu sichern. | |
Die Nachkriegsordnung hier aufs Parkett zu bringen, mag manchem | |
anachronistisch erscheinen. Aber die Wirkung der großen Kriege ist nun mal, | |
dass sie lange nachhallen. Japan und Deutschland sind wirtschaftlich weit | |
mächtiger als Frankreich, verfügen aber über keine Atomwaffen; in beiden | |
Ländern sind tausende US-Soldaten stationiert. | |
Bis zum Ausbruch der Subprime-Krise 2007 und dem Zusammenbruch von Lehman | |
Brothers 2008 waren Berlins Großmachtträumen aber enge Grenzen gesetzt, und | |
zwar sowohl in Europa als auch in den USA. Jetzt aber sind die Karten neu | |
gemischt. | |
Die deutschen Eliten sehen die USA als unwiderruflich geschwächt an. Ob | |
diese Analyse nun stimmt oder nicht, ist nicht die Frage. Jedenfalls hat | |
man sich in Deutschland zum Verteidiger eines "gesunden", nämlich auf | |
industrieller Basis fußenden Kapitalismus aufgeschwungen, im Gegensatz zum | |
"entarteten" angelsächsischen Finanzkapitalismus. | |
## Deutsche Lehren für die Welt | |
Im Ausland erinnert das an die alte teutonische Angewohnheit, aller Welt | |
Lehren erteilen zu wollen. Auch die Weigerung Angela Merkels, am | |
Nato-Einsatz gegen Libyen teilzunehmen (auch dem Irakkrieg hatte man sich | |
verweigert, damals zusammen mit, bei Gaddafi jedoch gegen Frankreich) kann | |
als Beleg gelten für dieses neue deutsche Selbstbewusstsein in der | |
internationalen Politik. In den 1980er Jahren hätte Berlin nicht gewagt, | |
Washington die Gefolgschaft zu verweigern. | |
2010 brach dann die sogenannte Schuldenkrise aus. Und den deutschen Eliten | |
dämmerte, dass diese Krise ihnen ganz gut zupasskam. Was gedacht war, um | |
Deutschland an die Kette zu legen – die gemeinsame Währung –, erwies sich | |
nun als die mächtigste Waffe überhaupt, um doch noch die | |
politisch-ökonomischen Ziele zu erreichen, die man die letzten zwanzig | |
Jahre verfolgt hatte. So jedenfalls liest man in den Washingtoner | |
Thinktanks das deutsche Management der europäischen Krise. | |
In der New York Times hieß es denn auch, Deutschland habe alles Interesse | |
an einer Eskalation der Krise gehabt, damit Frankreich die Einschränkung | |
seiner staatliche Souveränität habe hinnehmen müssen ("to hand over"). Doch | |
wie einst die deutschen Generäle merkten, dass sie nicht genug auf die | |
Reserven geachtet hatten, als die Blitzkriegstrategie einmal gescheitert | |
war, so birgt auch die deutsche Krisentaktik enorme Risiken. | |
Wenn etwa Chinas Wachstum sich verlangsamt, stürzt das ganze Kartenhaus der | |
drakonischen Austeritätspolitik in sich zusammen. Wenn die europäischen | |
Hauptabnehmer deutscher Waren erst mal voll in der Rezession angekommen | |
sind, deren Import deutscher Waren immer hin ein Fünftel des deutschen BIP | |
ausmacht, dann wird klar werden, wie Deutschland beständig am Ast sägt, auf | |
dem es sitzt. | |
## Krisen als "proxy wars" | |
Ein anderes – auch für Deutschland typisches und ebenso in seiner | |
Geschichte verwurzeltes – Risiko ist es, die anderen Player auf der | |
Weltbühne zu unterschätzen. Die USA sind noch lange nicht am Ende ihrer | |
globalen Vorherrschaft. Vom Ende des amerikanischen Imperiums ist schon | |
seit den sechziger Jahren die Rede; und noch 1994 meinte der Historiker | |
Giovanni Arrighi, Japan würde die USA binnen zwei Jahren als Vormacht | |
ablösen. | |
Ausgerechnet Japan, das die USA dann mittels der Asienkrise 1997-99 | |
endgültig aus dem Kreis der potenziellen Weltmächte hinauskatapultierten. | |
Davon hat sich Japan nie mehr erholt. | |
Während des Kalten Krieges bekämpften sich die Supermächte in sogenannten | |
Stellvertreterkriegen, "proxy wars". In der Ära der Globalisierung | |
erscheinen die gleichen Konflikte in Form von Finanzkrisen. In den1990ern | |
traf es die asiatische Sphäre, die die Spesen bezahlen musste für den Sieg | |
der USA über die japanischen Großmachtallüren. | |
Heute könnten alle Europäer die Spesen zahlen müssen für das endgültige | |
Ende einer Epoche, die vor 70 Jahren begann. Und alle Deutschen können | |
sicher sein: Auch ihnen wird die Rechnung präsentiert werden. | |
Aus dem Italienischen: Ambros Waibel | |
30 Dec 2011 | |
## AUTOREN | |
Marco D'Eramo | |
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