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# taz.de -- Traditions-Buchladen in Paris: Heiligtum der Literaturfreunde
> Shakespeare and Company ist ein wunderbares Refugium, das mitten in
> Frankreichs Hauptstadt zum Schmökern einlädt.
Bild: Rast bei Shakespear and Company in Paris.
Winter in Paris. Rund um Notre-Dame pfeift ein kalter Wind, an der Seine
braust der Feierabendverkehr. Statt zu flanieren scheinen sich die
Passanten schnell an irgendwelche warmen Orte zu flüchten. Beispielsweise
in den Buchladen Shakespeare and Company. Dort, am linken Seineufer, steht
vor der Tür ein Tisch mit zwei Stühlen und einer Rotweinflasche. Ist das
ein ernst gemeintes Angebot zum Verweilen? Den Hintergrund bilden ein
überdachtes Bücherregal, handbeschriebene Tafeln und vollgepfropfte
Auslagen eines Buchladens.
Was wohl passieren würde, wenn ich mich jetzt hier niederlassen, die
Flasche öffnen und einen kräftigen Schluck zu mir nehmen würde?
Wahrscheinlich würde es keinen erstaunen, denn bei Shakespeare and Company
sind noch ganz andere Dinge möglich. Der Laden ist keine normale
Buchhandlung oder ein Antiquariat, wie es viele von ihnen im Pariser
Quartier Latin gibt. Er ist eine Institution. Ein ebenso liebenswürdiges
und skurriles Relikt aus früheren Zeiten, das auf wundersame Weise in der
kommerzialisierten Seine-Metropole überlebt.
Als ich den Laden betrete, werde ich nicht wie anderswo in Paris von
geschulten Augen auf meine Kaufkraft hin gescannt. Nein, es nimmt gar
keiner Notiz von mir. Ich kann mich unbehelligt in den verschachtelten
Räumlichkeiten umsehen, Bücher aus den Regalen ziehen, in handsignierten
Exemplaren blättern, mir zwischendurch an einem Tisch Notizen machen. Und
es würde sich wohl auch keiner daran stören, wenn ich zwischendurch auf
einer alten Schreibmaschine, die dort in einem Verschlag steht, ein paar
Zeilen hacken, mir in einer der Kaffeemaschinen ein heißes Getränk brauen
und kurz die Beine hochlegen würde.
Statt sich auf die Kunden zu stürzen, scheinen alle schwer beschäftigt zu
sein. Eine junge Frau beugt sich über einen Computer, andere vertiefen sich
in Bücher oder suchen nach irgendeinem Titel - eine hochkonzentrierte
Atmosphäre. Die vielen Bücher, die die Wände der höhlenartigen Raumfluchten
füllen, Schlucken jegliche Hektik der Großstadt. Noch die kleinste Lücke
unter den Holzdecken ist mit englischsprachigen Druckwerken gefüllt.
Da findet sich Hemingways „The Old Man and the Sea“ neben „Ten Lost Plays…
von Eugene ONeill, Fotobände von Jazzlegenden, englische Parisführer oder
auch die neue Biografie von Steve Jobs. Zwischen Kronleuchtern und einem
Klavier flattern Schriftstücke an Pinnwänden, im Entree steht ein üppiges
Blumenbouquet, in der oberen Etage befinden sich abgewetzte Sofas. Nicht
umsonst hat Besitzer George Whitman als Motto für seinen Laden den
altenglischen Ausspruch ausgegeben: „Do not be inhospitable to strangers,
lest they be angels in disguise - sei nicht ungastlich zu Fremden, es
könnten verkleidete Engel sein.“
Ursprünglich hatte die Amerikanerin Sylvia Beach 1919 in der Rue de lOdéon
die englischsprachige Buchhandlung Shakespeare and Company eröffnet. Die
wurde bald zum Treffpunkt der Lost Generation mit Vertretern wie Hemingway,
Fitzgerald und T. S. Eliot. Die Besitzerin gab sogar James Joyce „Ulysses“
heraus. Doch als Paris von den Nazis besetzt wurde, musste sie 1941 ihren
Laden schließen - weil sie sich weigerte, einem deutschen Offizier ein Buch
zu verkaufen. Später sollte ihr Lebenswerk an anderer Stelle wieder
aufblühen: Der aus Massachusetts stammende Weltenbummler George Whitman,
der in Paris Französisch lernte und dabei Unmengen von Büchern sammelte,
gründete 1951 in der Rue de la Bûcherie die Buchhandlung Le Mistral, die er
anschließend in Shakespeare and Company umbenannte.
Wo sich um 1600 ein Kloster befand, hat er im Lauf von Jahrzehnten drei
kleine Läden und drei Wohnungen auf drei verschiedenen Stockwerken zu einer
Art Gesamtkunstwerk zusammengeführt. Doch mehr als der Rahmen beeindruckt
das Innenleben: Ein wahres Heiligtum für Leser, Schriftsteller,
Intellektuelle hat Whitman aus seinem Bookstore gemacht. Viele berühmte
Menschen aus aller Welt sollen den Laden besucht haben, darunter Anaïs Nin,
Lawrence Durrell, Alan Ginsberg und Henry Miller, der ihn als „Wunderland
der Bücher“ bezeichnete.
Noch heute ist Shakespeare and Company ein Ort des lebendigen Austauschs,
der Debatten, wo Ideen und Utopien für eine bessere Welt gehandelt werden.
Es gibt Lesungen, zum Teil auch Konzerte und Schreibworkshops. Darüber
hinaus nimmt man sich junger Literaten an: Sie dürfen schon mal umsonst auf
einer der Liegen im oberen Stockwerk nächtigen, wenn sie ein bisschen im
Laden mithelfen und jeden Tag etwas zu Papier bringen.
Dieses Konzept hat den Menschenfreund Whitman selber lange Zeit jung
gehalten. Am 14. Dezember ist der 98jährige verstorben. „Wenn ich auf meine
fünfzig Jahre als Buchhändler in Paris zurückblicke, scheint alles wie ein
nicht enden wollendes Stück von Shakespeare, wo die Romeos und Julias immer
jung sind, während ich selber ein Achtzigjähriger wie König Lear geworden
bin, der langsam seinen Verstand verliert“, hatte er noch vor einigen
Jahren resümiert.
Heute führt seine Tochter Sylvia das Geschäft. Und die Legende Shakespeare
and Company lebt weiter. Ohne ausgeklügeltes Marketingkonzept behauptet sie
sich als Besuchermagnet im immer teureren Quartier Latin. „Wenn ich
verschwinde“, sinnierte Whitman einmal, „hinterlasse ich keine großen
Besitztümer, nur ein paar alte Socken und Liebesbriefe, und meine Fenster
mit dem Blick auf Notre-Dame, den ihr alle genießen könnt.“
7 Jan 2012
## AUTOREN
Ulrike Wiebrecht
## TAGS
Reiseland Frankreich
Roman
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