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# taz.de -- Psychotherapeutische Versorgung reformiert: Abschied vom Krankenhaus
> Die Krankenhäuser wollen mehr Betten für psychisch Kranke, doch der Senat
> setzt auf eine "integrierte Versorgung". Die ersten Projekte finden
> Zuspruch.
Bild: Behandlungsstau: Psychotherapien sind sehr gefragt.
Herr K. arbeitet in einer Druckerei, täglich von neun bis 17 Uhr, oft
länger. Seit einigen Wochen bricht ihm stets der kalte Schweiß aus, wenn
Aufträge spät reinkommen. In der Brust spürt er einen beklemmenden,
drückenden Schmerz. An einem Morgen wacht er auf, zwei Stunden bevor der
Wecker klingelt. Sein Herz rast. Er fährt zur Arbeit, doch kaum kommt er
an, bleibt ihm die Luft weg. Er atmet schneller, wird panisch und
schließlich bewusstlos. Im Krankenhaus wacht er wieder auf. Diagnose: Herr
K. hat Angst, ist depressiv - Burnout.
Es sind Geschichten wie die von Herrn K., wegen denen in Hamburg 24.000
Menschen jedes Jahr in die Krankenhäuser kommen. Sie leiden an psychischen
Krankheiten, bei denen das Krankenhaus eigentlich die letzte und nicht die
erste Station sein sollte. Doch von der ersten Anfrage bis zum Beginn der
Sitzungen bei einem niedergelassenen Psychotherapeuten vergehen in Hamburg
durchschnittlich fünf Monate, zwei Monate bis zum Erstgespräch sind
ebenfalls Standard. Kein Wunder, dass der Weg ins Krankenhaus oft die erste
Wahl ist. Die Folgen sind überfüllte Krankenhäuser.
Für den Krankenhausplan der Stadt Hamburg forderten daher 13 Kliniken mehr
voll- und teilstationäre Behandlungsplätze für psychisch Kranke - 471
Plätze insgesamt. Im September bewilligte die Stadt 82 davon. Der NDR
berichtete, die Asklepios Kliniken hätten daraufhin eine Klage erwogen.
Laut eigener Auskunft befinden sie sich mit den Behörden allerdings
lediglich "in Gesprächen".
Für Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks greift die Forderung der
Kliniken zu kurz. Psychisch kranke Menschen bräuchten nicht mehr
Krankenhausbetten, sondern bessere Versorgungsmodelle außerhalb des
Krankenhauses und einen schnelleren Zugang zur Therapie, sagte die
Senatorin. "Sobald der Patient aus dem Krankenhaus entlassen wird, muss er
sich alleine durchwursteln." Die Folge: Wer eine 40-stündige Psychoanalyse
durchmacht, wer zwölf Stunden Verhaltenstherapie bekommt, entscheide nicht
die Diagnose, sondern das Angebot vor Ort, kurz: "der Zufall".
Als Hoffnungsträger handelt die Stadt derzeit Modelle der so genannten
integrierten Versorgung. Dabei sollen Krankenkassen nicht mehr
Einzelleistungen wie eine Nacht im Krankenhaus und die Psychotherapie im
Anschluss bezahlen. Stattdessen stellen sie einen Gesamtbetrag zur
Verfügung, auf den ÄrztInnen, PsychotherapeutInnen und stationäre
Einrichtungen zugreifen können.
Ein Beispiel für ein solches Modell ist das "Netzwerk psychische
Gesundheit", das im Juli von der Techniker Krankenkasse (TK) in Hamburg
gegründet wurde. Krankenkassenmitglieder, die an diesem Angebot teilnehmen,
können auf eine Rundum-Versorgung zurückgreifen, samt 24-Stunden-Hotline
und Hausbesuchen. Für die langfristige Behandlung werden dann weitere
Termine bei PsychotherapeutInnen vermittelt.
Die Vernetzung reicht von einem Gespräch mit dem Rufbereitschaftsdienst bis
zum geeigneten Therapieplatz. "Natürlich stehen hinter der Idee auch die
Interessen der Krankenkassen, für die ein stationärer Aufenthalt immer
teuer ist", sagt Kai Gliesmann von der Stiftung Freundeskreis Ochsenzoll,
die entsprechende Räumlichkeiten und Personal stellt. Doch auch das
Universitätsklinikum Eppendorf, das ebenfalls mehr Krankenhausbetten
forderte, ist am Projekt beteiligt. Die Krankenkassen KKH-Allianz, AOK und
Barmer GEK hätten ihre Mitarbeit bereits zugesagt.
Bis zu 4000 PatientInnen sollen so ab 2012 betreut werden können - noch
steckt die InitiatorInnen des Projekts in der Anwerbungsphase. Sie
ermitteln selbst, welche Patienten infrage kommen, und verschicken bei
Interesse zunächst Informationsmaterial. Von etwa 250 Interessierten haben
sich bei der TK bislang 80 Patienten angemeldet. Einen besseren Start habe
es an keinem anderen Standort gegeben, sagt TK-Landeschefin Angelika
Schwabe.
9 Jan 2012
## AUTOREN
Leonie Brand
## TAGS
Klinik
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