# taz.de -- Skurille Urteile: Geschenke von Oma | |
> Meist ging es bei den Klagen, die seit der Einführung von Hartz IV | |
> eingereicht wurden, um wenige Euro. Manchmal aber auch um Luxus. Eine | |
> Bestandsaufnahme. | |
Bild: In den vergangenen sieben Jahren durften sich Deutschlands Sozialrichter … | |
BERLIN taz | Manchmal geht es um eine kaputte Hose. So wie bei dem Fall, | |
der im Jahr nach der Einführung von Hartz IV vor dem Sozialgericht Koblenz | |
verhandelt wurde. Einem Empfänger des Arbeitslosengelds II wurden die | |
Bezüge gekürzt, weil er nicht zu Terminen bei seinem Arbeitsvermittler | |
erschienen war. | |
Bei seiner einzigen Hose sei der Reißverschluss kaputt gewesen, versuchte | |
sich der Mann vor Gericht zu rechtfertigen. Ein ALG-II-Empfänger muss auch | |
mit offener Hose aus dem Haus, urteilte das Gericht dann im Juni 2006. | |
Das mag einer der skurrilsten Fälle der Hartz-IV-Rechtsprechung sein. Aber | |
in den vergangenen sieben Jahren durften sich Deutschlands Sozialrichter | |
mit vielen Dingen des täglichen Lebens herumschlagen – von | |
Weihnachtsgeschenken der Oma, Essen bei Muttern bis hin zu teurem | |
Sanitärbedarf. | |
Meist ging es bei den zigtausend Klagen, die seit der Einführung von Hartz | |
IV eingereicht wurden, um wenige Euro. So wollte etwa ein Darmstädter | |
erreichen, dass per Eilantrag über eine Erhöhung seiner Unterkunftskosten | |
um 1,38 Euro entschieden wird. Das Sozialgericht lehnte zwar das | |
Eilverfahren mit der Begründung ab, 1,38 Euro seien nicht | |
existenzbedrohend. Mit dem Anliegen selbst mussten sich die Richter aber | |
befassen. Eine Bagatellgrenze für Hartz-IV-Klagen gibt es nicht. | |
## Kürzung der Bezüge | |
Weil die Hartz-Gesetze mit wenig präzisen Begriffen wie "angemessen" um | |
sich werfen, lehnen die Jobcenter immer wieder Anträge ihrer Klienten ab. | |
Was angemessen ist, wird dann im Gerichtssaal entschieden. So ist es einem | |
ALG-II-Empfänger etwa zuzumuten, einen Baumarkt-Duschschlauch selbst zu | |
installieren. Den Monteur zahlt die Behörde nicht. | |
Immer wieder zur Klage kam, ob ALG-II-Empfänger aufs Auto verzichten | |
müssen. Nein, sagen die Gerichte, mahnen aber zur Bescheidenheit. Ein Audi | |
A6 oder BMW 5er ist für ALG-II-Empfänger zu dick und wird aufs Einkommen | |
angerechnet. | |
Ebenfalls zum Einkommen gehören die Geschenke von der Oma – zumindest wenn | |
sie allzu spendabel ausfallen. Einige hundert Euro ließ eine sächsische Oma | |
ihren Enkeln zukommen. Mehr als 50 Euro, so das zuständige Gericht, werden | |
aber aufs Einkommen angerechnet und die Hartz-IV-Bezüge entsprechend | |
gekürzt. | |
Post mortem musste das Sozialgericht Dortmund 2009 dem Willen einer | |
Verstorbenen Einhalt gebieten. Die hatte ihrem langzeitarbeitslosen Sohn | |
240.000 Euro vermacht und gleichzeitig verfügt, dass ihr zweiter Sohn dem | |
Erben das Geld so zuteilen solle, dass es nicht auf die Hartz-IV-Leistungen | |
angerechnet wird. Das Gericht sah den Sozialstaat hier nicht zuständig und | |
strich die Hartz-IV-Leistungen. | |
Dafür dürfen sich ALG-II-Empfänger zumindest zum Mittagessen bei Mutti | |
einladen - Klöße und Rotkohl werden nicht vom Grundbedarf abgezogen. | |
Urteile fielen seit 2005 auch darüber, ob Hartz-IV-Empfänger Anspruch auf | |
Privatfernsehen haben und Diätkosten erstattet werden, ob ein Lottogewinn | |
die Bezüge schmälert und wie viel Wasser ein Arbeitsloser verbrauchen darf. | |
Die Entscheidungen: nein, ja, ja und 108,5 Liter pro Tag. | |
11 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Manuela Heim | |
## TAGS | |
Sozialgericht | |
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