# taz.de -- Historiker Diercks über Polizei im NS-Staat: "Widerstand durch Ter… | |
> Eine Ausstellung des Historikers Herbert Diercks nimmt die Rolle der | |
> Hamburger Polizei im NS-Staat ins Visier. Dabei zeigt sich, dass die | |
> normale Schutzpolizei mindestens so brutal war wie die Gestapo. | |
Bild: Sollten Demonstrationen sprengen: Ein "Flitzerkommando" der Hamburger Pol… | |
taz: Herr Diercks, welche Rolle spielte Hamburgs Polizei im NS-Staat? | |
Herbert Diercks: Am wichtigsten war damals sicherlich die Geheime | |
Staatspolizei bzw. Gestapo, die bis zu Hitlers Machtergreifung 1933 eine | |
Unterabteilung der Kriminalpolizei war. Dann wurde sie dort herausgelöst, | |
personell verstärkt und mit einer nationalsozialistischen Führung versehen. | |
Auch Polizisten aus anderen Bereichen wurden zur Gestapo versetzt, um sie | |
zu stärken. | |
Warum geschah das? | |
Weil die Nationalsozialisten befürchteten, dass die sozialistisch und | |
kommunistisch ausgerichtete Hamburger Arbeiterbewegung starken Widerstand | |
leisten könnte. Und diesen Gegner wollte man bezwingen - mit viel Personal. | |
Zu diesem Zweck wurde auch die Kriminalpolizei aufgestockt, die für die | |
"vorbeugende Verbrechensbekämpfung" zuständig war. Außerdem gab es | |
natürlich in den Wohngebieten die Ordnungspolizei, die ab 1934 | |
Schutzpolizei hieß. Sie umfasste die kasernierte Polizei und die | |
Revierpolizei. | |
Wie funktionierte die Arbeitsteilung innerhalb der Polizei? | |
Die Gestapo konzentrierte sich auf den innenpolitischen Gegner - auf | |
Kommunisten und Sozialisten. Später nahm sie auch andere Gruppen ins Visier | |
- Homosexuelle und Zeugen Jehovas etwa. Zudem überwachte sie in Hamburg | |
mehrere Hunderttausend Zwangsarbeiter. Später hat sie die Erfassung der | |
jüdischen Bevölkerung bis hin zu deren Deportation betrieben. Ab 1941 hat | |
die Gestapo die Deportationstransporte dann auch personell begleitet. | |
Und wofür war die Kriminalpolizei zuständig? | |
Zunächst für Verbrechensbekämpfung im Inneren Deutschlands. Sehr bald wurde | |
dies aber auf "vorbeugende Verbrechensbekämpfung" ausgedehnt. Das hieß, | |
dass sie Menschen, die vorbestraft waren, überwachen lassen und vorbeugend | |
inhaftieren bzw. in KZ sperren konnte. Das betraf anfangs nur sogenannte | |
"Berufsverbrecher". Dieser Personenkreis wurde aber laufend erweitert und | |
die Voraussetzungen immer schwammiger. | |
Das heißt? | |
Dass relativ früh auch Sinti als Verbrecher betrachtet wurden, von denen | |
angeblich eine grundlegende Gefahr ausging. Da spielte sicher Rassismus | |
eine Rolle, der auch in der Polizei verbreitet war. Zudem wurden | |
geringfügig vorbestrafte Hamburger Juden in KZ gesperrt - sowie entlassene | |
Straftäter. Auf diese Art sind viele, die ihre Strafe etwa wegen eines | |
Eigentumsdelikts abgesessen hatten, sofort danach in ein KZ gebracht | |
worden. | |
Und was tat die Schutzpolizei? | |
Deren Rolle war wichtiger, als allgemein bekannt. Denn ihre Reviere standen | |
ja in den Wohngebieten. Und unter den Nazis wurde viel denunziert. Diese | |
Anzeigen gingen bei diesen Polizeirevieren ein. Sie lösten dann Fahndungen | |
aus - auch nach entflohenen Zwangsarbeitern und KZ-Häftlingen zum Beispiel. | |
Wenn die Schutzpolizei sie fand, musste sie es der Gestapo melden. Die | |
Hamburger Schutzpolizei war also nicht "harmlos". Sie arbeitete vielmehr | |
mit Kripo und Gestapo zusammen und war eng ins System eingebunden. | |
Die Schutzpolizei unterhielt auch Schlägertrupps. | |
Ja. 1933 wurde das berüchtigte KZBV - das "Kommando zur besonderen | |
Verwendung" - gegründet. Es war ein Rollkommando aus Ordnungs- bzw. | |
Schutzpolizisten, das die Arbeit der Gestapo unterstützte. Hierfür hatte | |
die NS-Polizeiführung gezielt als Schläger bekannte Personen | |
zusammengestellt. | |
Wofür brauchten die Nazis diese Trupps? | |
Es ging 1933 darum, in bestimmten Wohngebieten die überwiegend | |
sozialistische oder kommunistische Bevölkerung einzuschüchtern und durch | |
Terror jeden Widerstand zu zerschlagen. Außerdem wollte man über brutale | |
Misshandlungen möglichst schnell Geständnisse von Verhafteten erzwingen. | |
Welche Polizeiabteilung ging am brutalsten vor? | |
Das lässt sich nicht feststellen. Die Polizei ging arbeitsteilig vor, und | |
neben der Gestapo und der Kripo tat eben auch die Schutzpolizei ihren Teil. | |
Immerhin bestand das Reserve-Bataillon 101, das 1942 im besetzten Polen | |
38.000 Juden erschoss, aus "normalen" Hamburger Schutzpolizisten. | |
Was geschah nach 1945 mit der Polizei? | |
Die britischen Alliierten haben die Strukturen der Polizei systematisch | |
zerschlagen und dezentralisiert, also von der Reichs- zur Ländersache | |
gemacht. Außerdem haben sie sie stark reduziert und entwaffnet. | |
Polizei-Einheiten in Kasernen wurden aufgelöst. Die Briten haben also eine | |
recht konsequente strukturelle Entnazifizierung betrieben und in die | |
Polizeiführung Leute eingesetzt, die 1933 wegen Betätigung für die SPD aus | |
dem Polizeidienst entlassen worden waren. | |
Und die Nazis unter den Polizisten? | |
Sämtliche Polizisten mit NSDAP-Parteibuch sowie alle Gestapo-Angehörigen, | |
die der britischen Besatzungsmacht bekannt waren, sind in den ersten | |
Nachkriegsmonaten verhaftet und in Internierungslager gebracht worden. Zum | |
Beispiel nach Neuengamme. | |
Hat Hamburgs Senat die Reform der Polizeistruktur später fortgeführt? | |
Nein. Er hat vielmehr die Polizeistruktur des vor-nationalsozialistischen | |
Deutschland - der Weimarer Republik - rekonstruiert. Er schuf wieder eine | |
Bereitschaftspolizei und eine kasernierte Polizei. Sie wurde auch wieder | |
bewaffnet. | |
Warum? | |
Um - wie in der Weimarer Republik - mögliche Aufstände im Inneren zu | |
unterdrücken. Beziehungsweise, in den 50ern, die neu geschaffene | |
Bundesrepublik zu verteidigen. Zudem war auch dies eine Parallele zu Weimar | |
- im Hamburg der 50er Jahre wurden kommunistische Organisationen verboten. | |
All das hing natürlich auch mit dem Kalten Krieg zusammen. | |
Wie verfuhr man in den 50er Jahren mit den Ex-Nazis unter den Polizisten? | |
Nach dem Abzug der Briten wurden sie nach und nach aus den | |
Internierungslagern entlassen. Die Zeit im Internierungslager galt im | |
Nachkriegsdeutschland als politische Haft. Wer aus solch einem Lager kam, | |
war also nicht vorbestraft. Und da diese Polizisten Berufsbeamte waren, | |
haben sie dann bei den Personalämtern angefragt, wann sie wieder anfangen | |
könnten. | |
Fühlten sie sich nicht schuldig? | |
Sie versteckten sich hinter dem Hinweis, dass sie nicht bei der Gestapo, | |
sondern nur bei der Schutzpolizei gewesen wären. Und da aus allen | |
Polizei-Abteilungen etliche im auswärtigen Einsatz gewesen waren, wurde | |
nicht weiter nachgefragt. | |
Sie wurden wieder eingestellt? | |
Ja, viele gingen zurück an ihren einstigen Arbeitsplatz und wurden wieder | |
integriert. Wenn sie bekannte Repräsentanten der NS-Polizei gewesen waren, | |
suchte man sie woanders im öffentlichen Dienst unterzubringen. Denn diese | |
Leute hatten laut Grundgesetz ein Recht auf Rückkehr in den Polizeidienst - | |
es sei denn, sie hatten nachweislich Gewaltverbrechen begangen und waren | |
verurteilt worden. | |
Und wenn die Rückkehr nicht bewilligt wurde? | |
Dann musste Hamburg ihnen Versorgungsbezüge zahlen. | |
Was teuer war. | |
Ja. Deshalb haben die Personalämter immer versucht, die Leute | |
unterzubringen. | |
11 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Petra Schellen | |
Petra Schellen | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Nationalsozialismus | |
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