# taz.de -- Anti-Rechts-Konzerte in der Provinz: Scheißgegend, coole Menschen | |
> Konzerte gegen Rechts - das belächelt man in Großstädten gerne als linke | |
> Aktion von Gutmenschen. Aber vielleicht bringen sie tatsächlich etwas. | |
> Ein Ortstermin. | |
Bild: "In Limbach ist es hart als Punk. Da wirst du an jeder Ecke angepöbelt. … | |
LIMBACH-FROHNA taz | Den Kopf in den Sand zu stecken, während das | |
Hinterteil schon brennt, das macht Oberbürgermeister Hans-Christian | |
Rickauer von der CDU nicht mehr. "Vogel-Strauß-Politik" hatte ihm die | |
Lokalzeitung noch vor einem Jahr vorgeworfen - für seinen Umgang mit | |
Neonazis. | |
Aber Rickauers Politik steht jetzt für Flamingos. Im Oktober eröffnet im | |
sächsischen Limbach-Oberfrohna ein "Flamingoland" für fünfzehn rosarote | |
Vögel. 320.000 Euro gibt die Kleinstadt am Rande des Erzgebirges dafür aus. | |
Den ersten Spatenstich hat Rickauer vor kurzem getan. Endlich einmal andere | |
Nachrichten als die Schlagzeilen über eingeworfene Scheiben, Überfälle, | |
einen Brandanschlag, bei dem ein alternativer Jugendklub ausbrannte - | |
verantwortlich dafür: Rechtsextreme. | |
Zu allem Überfluss liegt Zwickau nicht mal 50 Kilometer entfernt, wo es | |
eine starke Kameradschaftsszene gibt, wo auch die Mörder der Terrorgruppe | |
NSU wohnten. Limbach-Oberfrohna hat mit der Stadt Zwickau das | |
Autokennzeichen gemeinsam, und wenn man einem Stadtrat glaubt, dann | |
"unterhalten die rechten Jugendlichen aus Limbach gute Verbindungen zur | |
Landes-NPD", die seit Wochen ihrerseits versucht, ihre Verbindungen zur NSU | |
kleinzureden. | |
Hierher hat das Musiklabel Audiolith, bekannt für die Verbindung von | |
elektronischer Musik mit Politik, die Bands Egotronic, Supershirt und Feine | |
Sahne Fischfilet zum Konzert an einem Samstagabend entsandt. Konzerte gegen | |
rechts, Musiker aus den Metropolen kommen aufs Land, man kennt das, für | |
viele Medien aus eben diesen Metropolen ist das kaum noch ein Thema. | |
## | |
## Hübsches Rathaus, hübsche Stadthalle, hübsche Grünanlagen | |
Bei der Ankunft in Limbach-Oberfrohna ist alles hübsch. Hübsches Rathaus, | |
hübsche Stadthalle, hübsche Grünanlagen. Dazwischen eine Baustelle - der | |
abgefackelte Jugendklub. Es gibt auch eine Lücke, die war auch mal ein | |
Jugendklub. Der wurde abgerissen, als sich herausstellte, dass der | |
Brandstifter von dort zu seiner Tat aufgebrochen war. | |
Für die Lücke wird gerade im Stadtzentrum Ersatz ausgebaut. Dort soll es | |
ausdrücklich "keinen Platz für Extremisten" mehr geben. Als sich der | |
Oberbürgermeister vor Kurzem von den Fortschritten der Bauarbeiten | |
überzeugte, machte die Presse ein Foto von ihm. Vermutlich ohne es zu | |
wissen, posierte er zusammen mit zwei Jugendlichen, von denen einer schon | |
bei Nazi-Aktionen aufgefallen war. | |
Das Jugendhaus, in dem das Konzert stattfindet, liegt am Rand der Stadt und | |
sieht aus wie eine alte Dorfschule. Außen kleben Sticker eines Online-Shops | |
für rechtsextreme Musik an den Regenrinnen ("Komm zu uns. Oder ist dir | |
deine Zukunft egal?"). | |
Seit ihr Jugendklub abgebrannt ist, müssen sich die Jugendlichen für | |
Konzerte bei der Stadt einmieten. Einer der Veranstalter, Robert Weis, | |
erzählt von den Schwierigkeiten im Vorfeld: "Ohne den Druck der Presse | |
hätten wir das städtische Jugendhaus nie für so eine Sache mieten können. | |
Es gab auch schon Ablehnungen. Da hieß es dann, bei Punkkonzerten wird eh | |
nur gesoffen." | |
Es ist ja auch nicht so, dass sich nichts geändert hätte in | |
Limbach-Oberfrohna. Vor dem Brand konnten die meisten Stadtpolitiker und | |
vor allem die Polizei ein "rechtsextremes Problem nicht erkennen". Danach | |
sagte Oberbürgermeister Rickauer der Lokalzeitung: "Natürlich hat die Stadt | |
ein Problem mit Rechtsextremismus." | |
## Die Nazis trauen sich viel | |
Langsam kommen die Gäste. Ein Auto nach dem anderen rollt auf den Hof. Es | |
wurde noch ein zusätzlicher Parkplatz um die Ecke eingerichtet. Das Wetter | |
ist ekelhaft, der Klub schlecht gelegen, viele Gäste kommen von außerhalb. | |
Aber auch die Limbacher wollen an so einem Abend nicht zu Fuß durch die | |
Stadt, aus Angst vor rechten Übergriffen. Manche lassen sich sogar von | |
ihren Eltern herfahren. Die Veranstalter beruhigen: "Heute trauen sich die | |
Nazis nichts." | |
Weil sich die Nazis hier sonst sehr viel trauen, begannen einige Limbacher | |
Bürger sich vor zwei Jahren gegen rechte Übergriffe, auch auf ihre eigenen | |
Kinder, zu wehren und gründeten ein Bürgerbündnis. Fast gleichzeitig | |
stellten CDU und FDP ebenfalls ein Bündnis auf die Beine. Seitdem | |
existieren zwei Anti-Nazi-Gruppen im Ort, die nicht zusammenarbeiten. | |
Denn während das eine Bündnis sich eindeutig gegen "Fremdenfeindlichkeit | |
und Rassismus" positioniert, möchten die CDU-nahen Aktivisten nicht nur | |
Rechtsextreme, sondern auch "linksextremistische Umtriebe" bekämpfen. | |
CDU-Stadtrat Jan Hippold bedauert die mangelnde Kooperation: "Es spricht | |
aus meiner Sicht nichts dagegen, wenn die Ziele die gleichen sind." Aber | |
als das alternative Bürgerbündnis vor zwei Monaten den Sächsischen | |
Förderpreis für Demokratie gewann, wurde das im Amtsblatt der Stadt nicht | |
einmal erwähnt. | |
Die Jugendlichen, die heute Abend das Konzert organisieren, sind vor Kurzem | |
aus dem Jugendarbeitskreis der Stadt ausgetreten. Dort sollte jeder eine | |
"Demokratieerklärung" unterschreiben, eine Spielart der im Berliner | |
Familienministerium erfundenen "Extremismusklausel". Weil sie sich unter | |
Generalverdacht gestellt fühlten, traten die Jugendlichen aus. | |
## "Wo Linke sind, sind Rechte nicht weit." | |
Als sie in diesem Jahr ein Fest veranstalteten, wurde eine Anwohnerin in | |
der Zeitung zitiert: "Es ist doch Provokation, so etwas direkt in der | |
Innenstadt durchzuführen und in Limbach-Oberfrohna ist es nun mal so: Wo | |
Linke sind, sind Rechte nicht weit." | |
Um 8 Uhr beginnt das Konzert mit der Band Feine Sahne Fischfilet. Die | |
Zuschauer stehen gedrängt, mit 200 Besuchern ist der Saal voll. Als sich | |
der Frontsänger der Band ins Publikum stellt, grölen viele mit, vor allem | |
die Parolen gegen Nazis. Die Scheiben beschlagen. Draußen Schneeregen, | |
drinnen Dampf. | |
In der Pause sagt ein 13-Jähriger aus dem Nachbarort Burgstädt: "In Limbach | |
ist es hart als Punk. Da wirst du an jeder Ecke angepöbelt. Morgen nach dem | |
Konzert ist hier wieder alles wie vorher." Ein Limbacher hält dagegen: "So | |
ein Konzert ist superwichtig, finanziell, aber auch psychologisch." | |
Dann kommt der Höhepunkt des Abends, die Band Egotronic. Zerrende Sounds | |
vom Umhängekeyboard durchschneiden den Saal. Hämmernde Beats, zappelnde | |
Menschen. Schon nach dem zweiten Song schubst sich der halbe Saal im Pogo. | |
Die andere Hälfte singt jeden Song der Berliner Band mit. Mit kurzen | |
Moderationen heizt der Frontsänger Torsun die Stimmung weiter an: "So coole | |
Leute in so einer Scheißgegend." | |
## Hysterisch ausgelassene Stimmung | |
Von oben kommen Bierduschen, die kurz Abkühlung bringen. Die Stimmung ist | |
fast schon hysterisch ausgelassen. Irgendwann springen vier Menschen | |
gleichzeitig von der Bühne und lassen sich auf den ausgestreckten Armen | |
durchs Publikum tragen. In dieser Nacht wird es keine rechtsextremen | |
Übergriffe geben. Die Polizei bewacht die Straßen mit mehreren | |
Einsatzwagen. | |
Ja, manches verändert sich hier tatsächlich, wenn auch langsam. Es gibt | |
Präventionswochen in den Schulen. Beim Volkstrauertag musste die NPD ihren | |
Kranz erstmals abseits der übrigen Parteien ablegen. Die Regionalzeitung | |
Freie Presse schreibt häufiger über rechte Gewalt. Einzelne Täter, wie der | |
Brandstifter vom Jugendklub, wurden festgenommen und verurteilt. Es ist ein | |
Anfang. Für die meisten, die hier tanzen, ist es zu wenig. | |
Die Band Egotronic widmete am Schluss dem CDU-Oberbürgermeister noch ihren | |
Song "Raven gegen Deutschland", nicht ohne die bissige Bemerkung, das | |
Problem seien nicht nur die Nazis. "Das Problem sind viele Deutsche." | |
13 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Carsten Janke | |
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