# taz.de -- Präsidentschaftswahl in Taiwan: Die gespaltene Republik | |
> Taiwan wählt eine neue Regierung und streitet über das Verhältnis zu | |
> China. Und darüber, was Taiwan eigentlich ist. Ein Machtwechsel könnte | |
> beides verändern. | |
Bild: Anhänger der Herausfordererin Tsai Ing-wen. | |
TAIPEH taz | "Nein, ich habe kein Geld auf den Ausgang der Wahl gesetzt", | |
schwört der Kassierer der Genossenschaftsbank an der "Straße des | |
Vertrauens" im Zentrum von Taipeh. "Aber", gibt er zu, "einige meiner | |
Bekannten haben mitgemacht." | |
In Taiwan gehören Geldwetten auf alles und jedes zum Alltag - und nun ist | |
die Gelegenheit für einen schnellen Kick besonders gut: Denn in zwei Tagen, | |
am 14. Januar, werden die 23 Millionen Taiwaner nicht nur ein neues | |
Parlament wählen, sondern auch darüber entscheiden, ob der 61-jährige | |
Präsident Ma Ying-jeou nach vierjähriger Amtszeit weiterregieren darf oder | |
seine Herausforderin Tsai Ing-wen an die Macht kommt. Ein dritter Bewerber, | |
James Soong, hat keine Chancen. Der Ausgang ist offen - deshalb sollen die | |
Wettquoten hoch sein. | |
Nur so viel ist sicher: Die junge Demokratie Taiwan, die noch bis in die | |
achtziger Jahre unter Militärrecht stand und seither verzweifelt versucht, | |
sich an der Seite ihres mächtigen chinesischen Nachbarn als sympathische | |
Alternative zur kommunistischen Volksrepublik zu behaupten, ist politisch | |
tief gespalten. Der Riss geht durch die gesamte taiwanische Gesellschaft. | |
Dabei streiten die Bürger mit jeder Wahl immer wieder neu über die Frage, | |
wie eng Taiwan mit China zusammenarbeiten darf - und, grundsätzlicher, was | |
Taiwan eigentlich ist: ein eigenständiger Staat mit einer eigenen Kultur, | |
wie viele Anhänger der 55-jährigen Oppositionskandidatin Tsai von der | |
Demokratischen Fortschrittspartei (DPP) glauben? Oder ist die Insel Teil | |
der chinesischen Nation - getrennt nur durch einen historischen Unfall, als | |
die Kommunisten Mao Tse-tungs 1949 die Truppen der Nationalisten besiegten? | |
So denkt nicht nur die KP auf dem Festland, so denkt auch die | |
Nationalpartei Kuomintang von Präsident Ma. | |
## Flucht aufs Festland | |
Die Eltern vieler ihrer Mitglieder flüchteten nach verlorenem Bürgerkrieg | |
vom Festland auf die Insel. Ihren Anspruch, auf das Festland zurückzukehren | |
und das wahre China zu repräsentieren, sobald die Volksrepublik | |
demokratisch ist, hat die Partei nicht aufgegeben. | |
Als der 61-jährige Ma, ein Jurist, promoviert in den USA, gestern früh im | |
Wahlbüro seiner Kuomintang-Partei im weißen Polohemd vor die internationale | |
Presse tritt und im fließenden Englisch die Fragen beantwortet, stellt er | |
sich als Garant der Sicherheit und Stabilität dar, der sich vor allem darum | |
bemüht, gute Beziehungen zu China zu schaffen - zum Nutzen Taiwans und der | |
ganzen Region: "Wir bauen den Frieden", sagt er. | |
Tatsächlich hat er in den letzten vier Jahren viel erreicht. Das Verhältnis | |
zu Peking ist besser geworden - auch wenn die KP nach wie vor mit einem | |
Militärschlag droht, sollten sich die Taiwaner für "unabhängig" erklären. | |
Touristen aus der Volksrepublik dürfen seit 2008 Taiwan bereisen, | |
chinesische Studenten auf der Insel studieren. Mehr als 500 Direktflüge | |
wöchentlich erleichtern Geschäfte und Besuche, rund 200.000 Taiwaner leben | |
und arbeiten in China. | |
## Angst vor den Kommunisten | |
Oppositionskandidatin Tsai, 55, hat wie Ma in den USA Jura studiert - und | |
stammt wie er aus einer gutsituierten Familie. Doch sie hat sich früh auf | |
die andere Seite geschlagen - aus Furcht, dass die Kommunisten die Insel | |
irgendwann mit ihrer wirtschaftlichen Kraft und ihren Investitionen einfach | |
schlucken könnten. | |
Im Fall ihres Wahlsiegs, fürchten viele Taiwaner - aber auch die Regierung | |
in Peking -, könnte sie die Annäherung an China wieder stoppen. Ihre | |
Demokratische Fortschrittspartei macht sich in diesem Wahlkampf vor allem | |
für soziale Themen stark, sie kritisiert die wachsende Kluft zwischen Arm | |
und Reich und verspricht, Renten und Sozialhilfen zu steigern. | |
Um ihre Verbindung zum einfachen Volk zu zeigen, hat die Partei vor ihrem | |
Wahlbüro einen Triumphbogen aus Plastiksparschweinchen errichtet - das Geld | |
aus diesen Sparbüchsen hatten Anhänger für den Wahlkampf gespendet. | |
Die Pekinger Regierung hat sich in diesem Wahlkampf mit öffentlichen | |
Bemerkungen sehr zurückgehalten, um nicht in den Verdacht zu geraten, sich | |
einmischen zu wollen. Doch es ist ein offenes Geheimnis, dass sie auf einen | |
Sieg Mas hofft. | |
13 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Jutta Lietsch | |
## TAGS | |
Tarifvertrag | |
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