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# taz.de -- Interview mit taiwanischer Ministerin: "Sie sind klüger geworden"
> Die taiwanische Ministerin für das Festland, Lai Shin-yuan, spricht kurz
> vor den Wahlen über die Beziehung zwischen Taiwan und China. Es gibt eine
> Annäherung, aber wenig Kooperation.
Bild: Chinas Politiker haben erkannt, dass Taiwan nicht freundlich gesonnen ist…
taz: Frau Lai, nach vielen Jahren der Drohungen und des Säbelrasselns
scheint es zwischen China und Taiwan ruhiger geworden zu sein. Was hat die
Pekinger Führung milder gestimmt?
Lai Shin-yuan: Beide Seiten haben erkannt, dass die Konfrontation niemandem
nützte. Die frühere Regierung Taiwans unter dem damaligen Präsidenten Chen
Shui-bian verhielt sich sehr provokativ, er nutzte den Konflikt mit China,
um Wählerstimmen zu gewinnen.
Chen erklärte, dass Taiwan und China zwei unterschiedliche Länder sind …
… und Peking reagierte darauf sehr harsch. Die Situation hätte leicht in
einen Krieg münden können.
Hat Peking diesmal versucht, die Wahlen zu beeinflussen?
Ich denke nicht, und ich wäre wohl die Erste, die davon erfahren hätte. Ich
glaube, dass Chinas Politiker klüger geworden sind: Sie haben erkannt, dass
die Taiwaner ihnen gegenüber umso weniger freundlich gesonnen sind, je
härter Peking reagiert. Wir sind eine Demokratie.
Aber die früheren politischen Spannungen hatten Taiwans Geschäftsleute
nicht daran gehindert, in China zu investieren?
Geschäft ist Geschäft. Bereits unter der früheren Regierung wurde China im
Jahr 2003 der größte Absatzmarkt für Taiwan. Es war nötig, Regeln zu
schaffen, um die Interessen unserer Unternehmen in China zu schützen. Unter
der früheren Regierung gab es keinerlei Abkommen, keine Verhandlungen
darüber, wie Geschäftskonflikte gelöst werden könnten. Da herrschte das
Gesetz des Dschungels. Ohne rechtlichen Schutz waren unsere Unternehmen
immer im Nachteil, weil China keine Demokratie ist. Bis heute hat Taiwan
bereits über 200 Milliarden US-Dollar in China investiert. Der Handel
zwischen beiden Seiten erreichte im vergangenen Jahr um die 150 Milliarden
Dollar. Inzwischen haben wir uns in den letzten dreieinhalb Jahren bereits
siebenmal auf hoher Ebene getroffen und 16 Abkommen verhandelt, um die
Interessen der Menschen zu schützen.
Die Opposition in Taiwan fürchtet, dass sie wirtschaftlich zu eng mit China
verflochten sind und deshalb leicht "geschluckt" werden könnten.
Im Gegenteil, wir werden gestärkt. Taiwans Wirtschaft ist seit fünfzig
Jahren auf Export ausgelegt, die ihre Waren in alle Teile der Welt
verkauft. Wir achten darauf, nicht nur von einem Markt abhängig zu sein.
Das neue friedlichere und stabilere Klima hat mehr ausländische
Geschäftsleute nach Taiwan gelockt, die hier handeln oder investieren. Der
Anteil unseres China-Geschäfts an der gesamten Wirtschaft geht sogar
zurück. Die Angst, geschluckt zu werden, ist daher unbegründet.
Aber China will doch immer noch eine möglichst baldige Wiedervereinigung
mit Taiwan?
Das ist weiterhin ihr nationales Ziel. Aber sie haben erkannt, dass sie
doch mit uns zusammenarbeiten müssen, so wie wir mit ihnen arbeiten müssen.
Die Basis dafür ist der "Konsens von 1992", der nach dem Jahr benannt ist,
in dem er erstmals erdacht wurde.
Was steckt dahinter?
Es bedeutet, dass es ein China gibt - aber beide Seiten interpretieren
dieses "ein China" unterschiedlich. Wir legen unsere Meinungsunterschiede
beiseite und kümmern uns statt dessen um praktische Dinge. Worauf wir uns
nicht einigen können - wie die Frage der staatlichen Souveränität -, das
legen wir auf Eis. Jeder interpretiert sie nach seiner eigenen Vorstellung.
Das ist eine Art kreative Uneindeutigkeit.
China strebt also weiterhin die Wiedervereinigung an - was ist das Fernziel
der Taiwaner?
Wir wollen für alle Zukunft Frieden und Stabilität. Präsident Ma Ying-jeou
hat sehr deutlich gemacht, dass wir die Beziehungen mit dem Festland im
Rahmen der Verfassung der Republik China - das heißt Taiwan - verbessern
wollen und dabei drei Grundprinzipien folgen: "Keine Vereinigung", "keine
Unabhängigkeit" und "keine Gewalt". Wir werden den Status quo bewahren: Die
Republik ist ein unabhängiges souveränes Land - das haben wir ein ums
andere Mal erklärt.
Das klingt verwirrend und widersprüchlich. "Keine Unabhängigkeit"? Eben
haben Sie doch gesagt, ihre Insel sei schon ein unabhängiges souveränes
Land?
Damit meine ich: Die Republik China ist faktisch ein unabhängiges
souveränes Land. Es hat keinen Zweck, eine rechtlich anerkannte
Unabhängigkeit anzustreben. Wir werden nichts tun, um den Status quo zu
ändern. Unserer Verfassung nach sind wir die Republik China.
In diesem Jahr wird eine neue Generation kommunistischer Führer die Macht
in der Volksrepublik übernehmen. Fürchten Sie, dass damit nationalistische
Kräfte gestärkt werden könnten, die weniger Geduld mit Taiwan haben?
Ich glaube nicht, dass sich ihre Politik gegenüber Taiwan ändert, wenn
Präsident Ma wiedergewählt wird, weil er an seinen gegenwärtigen Kurs
festhalten wird. Die fünfte Führungsgeneration, die dieses Jahr auf dem
Festland an die Spitze kommt, wird ebenso an ihrer gegenwärtigen Politik
festhalten, glaube ich - sowohl in Bezug auf den Handel als auch Tourismus,
Kultur- und Akademikeraustausch.
Werden Sie auch beginnen, über neue Möglichkeiten der politischen oder
militärischen Kooperation zu verhandeln?
Nein. Definitiv noch nicht. Ich glaube nicht, dass die Voraussetzungen
dafür schon gegeben sind.
13 Jan 2012
## AUTOREN
Jutta Lietsch
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