# taz.de -- Die rumänische Gesundheitsmisere: "Gott sei Dank nicht mehr in die… | |
> Ohne Bestechung ist in Rumänien keine gute Behandlung mehr zu bekommen. | |
> Denn die Ärzte verlassen das Land. Inzwischen fehlen rund 40.000 | |
> Mediziner. | |
Bild: "Hört auf, Rumänien zu zerstören": Protest gegen Gesundheitsreform und… | |
BERLIN taz | Wenn die Fernsehmoderatorin Alexandra Dragusin und der Musiker | |
Mihai Nenita die Bilder von den Protesten gegen die Gesundheitsreform | |
sehen, dann kommen bei ihnen böse Erinnerungen hoch. 2010 hatte sich die | |
kleine Tochter der beiden Bukarester Eheleute mit dem Rota-Virus infiziert, | |
der eine gefährliche Durchfallerkrankung auslöst. Die damals Einjährige kam | |
in eine Kinderklinik - und wäre wegen der Schlamperei von Ärzten und | |
Schwestern fast gestorben. | |
"Gott sei Dank mussten wir seitdem nicht mehr ins Krankenhaus mit unserer | |
Tochter", sagt Nenita. "Dort haben sie keinerlei medizinische Regeln | |
eingehalten", erinnert sich Dragusin noch immer entsetzt. Nenita verteilte | |
damals ein kleines Vermögen an Schmiergeld unter Ärzten und Schwestern, | |
damit diese sich überhaupt um das Kind kümmerten. Heute sagt er: "Wenn wir | |
es uns leisten könnten, würden wir unser Kind im Ausland behandeln lassen." | |
Was die beiden Eheleute erlebt haben, gehört in Rumänien zum Alltag. Die | |
Gesundheitsversorgung im ärmsten EU-Land bricht Stück für Stück zusammen. | |
Der Staat hat in den letzten Jahren für Gesundheit jeweils nur 3,5 bis 4 | |
Prozent des Bruttosozialproduktes ausgegeben, der EU-Durchschnitt liegt bei | |
mehr als dem Doppelten. Zehntausende von Ärzten und Pflegern sind aus dem | |
Land abgewandert, um in Westeuropa zu arbeiten. | |
Allein 40.000 Ärzte fehlen im Land, schätzt man beim rumänischen | |
Berufsverband der Mediziner. In manchen ländlichen Gegenden gibt es kaum | |
noch Gesundheitsversorgung, in vielen Kleinstädten nur sehr eingeschränkt. | |
## Erbe der Ceausescu-Ära | |
Das noch aus der Zeit der Ceausescu-Diktatur ererbte Desaster im | |
Gesundheitswesen hat sich durch die rigide Austeritätspolitik in Rumänien | |
in den letzten Jahren noch deutlich verschärft. Nachdem das Land von der | |
globalen Finanzkrise 2008 ökonomisch schwer getroffen war, musste es um | |
Notkredite beim Internationalen Währungsfond betteln. | |
Der IWF verordnete im Gegenzug ein drastisches Sparprogramm. So wurden | |
Mitte 2010 die Gehälter im öffentlichen Dienst um 25 Prozent, Renten und | |
viele Sozialleistungen um 15 bis 25 Prozent gekürzt. | |
Der Massenexodus aus Rumänien verstärkte sich daraufhin noch: Inzwischen | |
sollen bis zu drei Millionen rumänische Staatsbürger im Ausland arbeiten, | |
die meisten von ihnen in Italien, Spanien und Deutschland. Auch immer mehr | |
gut ausgebildete Fachkräfte fliehen aus Rumänien, neben Ärzten vor allem | |
Ingenieure und Naturwissenschaftler. | |
Leidtragende der desaströsen sozialökonomischen Entwicklung sind vor allem | |
die Armen und Alten. Wer medizinisches Personal nicht bestechen kann, | |
erhält höchstens eine minderwertige Behandlung. Rumäniens Reiche und | |
Einflussreiche lassen sich unterdessen meistens im Ausland behandeln. | |
Auch der Staatspräsident Traian Basescu. Als er im Mai 2006 | |
Wirbelsäulenprobleme hatte, wollte er die Konsequenzen der von ihm | |
durchgepeitschten Politik persönlich lieber nicht erdulden: Operieren ließ | |
er sich an der Uniklinik in Wien. | |
17 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Keno Verseck | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Regierungswechsel in Rumänien: Geheimdienstchef wird Ministerpräsident | |
Nach dem Rücktritt von Ministerpräsident Emil Boc hat der Geheimdienstchef | |
Mihai Razvan Ungureanu den Auftrag bekommen, eine neue Regierung zu bilden. | |
Regierung tritt zurück: Rumänien hat keinen Boc mehr | |
Die rumänische Regierung hat am Montag ihren Rücktritt bekanntgegeben. Sie | |
reagiert damit auf die heftigen Proteste gegen Kürzungen im Sozialbereich. | |
Proteste in Rumänien: Korruption, Hunger und Zorn | |
Ecaterina Gheorghe isst oft nur noch Brot mit Essig und Salz. Jetzt | |
protestiert sie mit Tausenden Rumänen und fordert den Rücktritt der | |
Regierung. | |
Kommentar Sozialprotest in Rumänien: Gegen das Klüngelsystem der Regierung | |
Die Sparpläne wurden autokratisch festgesetzt. Dadurch öffnet sich die | |
Schere zwischen den wenigen Neureichen und den vielen Unterprivilegierten. | |
Sozialproteste in Rumänien: Die Plünderung des Sozialstaats | |
Landesweit wird gegen die Sparpolitik der Regierung demonstriert. Die | |
Einschnitte würden die Unterprivilegierten treffen. Es geht auch um | |
Privatisierung staatlicher Einrichtungen. |