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# taz.de -- Sozialproteste in Rumänien: Die Plünderung des Sozialstaats
> Landesweit wird gegen die Sparpolitik der Regierung demonstriert. Die
> Einschnitte würden die Unterprivilegierten treffen. Es geht auch um
> Privatisierung staatlicher Einrichtungen.
Bild: Frust über die Misere im Gesundheitswesen: Demonstranten am Montag auf d…
BERLIN taz | Tagelange Proteste gegen die Sparpolitik der rumänischen
Regierung haben am Wochenende zu schweren Ausschreitungen in der Hauptstadt
Bukarest geführt. Am Sonntag beteiligten sich in mehr als zwei Dutzend
Städten zunächst Tausende an spontanen Demonstrationen. Sie forderten einen
Rücktritt der Regierung und des Staatspräsidenten Traian Basescu sowie
vorgezogene Wahlen. Auch am Montag gingen wieder Hunderte auf die Straße.
In Bukarest war es am Sonntagabend zu Straßenschlachten zwischen
Demonstranten und Einsatzkräften der Gendarmerie gekommen. Laut über
Facebook verbreiteten Augenzeugenberichten sind die Sicherheitskräfte mit
äußerster Brutalität wahllos gegen die Demonstranten vorgegangen.
Unter die Demonstranten hatten sich laut rumänischen Presseberichten auch
gewalttätige Fußballhooligans gemischt, die Barrikaden in Brand gesteckt
und Geschäfte geplündert haben. Über 50 Personen wurden verletzt, darunter
auch 4 Polizisten. 29 Gewalttäter wurden festgenommen.
## Auslöser war die Entlassung eines Gesundheitspolitikers
Die Proteste hatten bereits am Donnerstag begonnen. Den Funken für den
Konflikt zwischen der derzeitigen regierenden Liberaldemokratischen Partei
(PD-L) unter Ministerpräsident Emil Boc lieferte die Entlassung des
Unterstaatssekretärs Raed Arafat im Gesundheitsministerium.
Der palästinensischstämmige Arzt hatte bereits 1991 in der siebenbürgischen
Stadt Targu Mures einen gut funktionierenden ärztlichen Notdienst
aufgebaut. Das von ihm entwickelte und mit staatlicher Förderung aufgebaute
mobile ärztliche Not- und Bereitschaftsdienstsystem SMURD war 1996 per
Gesetz auf das ganze Land ausgeweitet worden.
Nachdem Präsident Basescu im Zuge weiterer Privatisierungen staatlicher
Einrichtungen und großer Energiebetriebe jetzt auch die Zulassung privater
Ärztenotdienste angekündigt hatte, kam es zum Zerwürfnis mit Arafat. Er
musste seinen Hut nehmen. Die Regierung kündigte an, die umstrittene Reform
des Gesundheitssystems durchzuboxen.
Die Protestaktionen der letzten Tage, die zuerst von dem
Oppositionsbündnis, der aus Sozialdemokraten und Liberalen bestehenden
Sozial-Liberalen Union (USL), organisiert worden waren, lösten ein
positives Echo bei der Bevölkerung aus. Die in den letzten zwei Jahren von
der Regierung durchgesetzten unpopulären Sparmaßnahmen haben die sowieso
schon angespannte soziale Unzufriedenheit unterprivilegierter
Bevölkerungsschichten angeheizt.
## Gefügiger Propagandaapparat aus Gefolgsleuten
Präsident Basescu hatte per zunehmend autokratisch anmutende Anweisungen,
seine Regierung im Sinne seiner Vorgaben zu handeln und wirtschaftliche
Maßnahmen über die Köpfe des Parlaments hinweg durchzusetzen. Ein ihm
gefügiger Propagandaapparat, bestehend aus willigen Gefolgsleuten, versucht
dabei die öffentliche Meinung systematisch in die Irre zu führen und
politisch zu manipulieren.
In diesem Sinne sind auch die am Sonntag verbreiteten Warnungen eines
orthodoxen Mönchs zu verstehen, der die Proteste als eine Falle
ausländischer Kräfte bezeichnete, die von dem amerikanischen Milliardär
George Soros angezettelt worden seien, um Rumänien zu destabilisieren.
Mit einer ähnlich nationalistisch aufgeladenen Stimmungskanone zielte auch
der berüchtigte orthodox-nationalistische Europaabgeordnete auf die
Protestierenden ab. Er appellierte an den Patriotismus seiner Landsleute:
"Mich ekelt dieser Protest. Wir sollen keinen Araber verteidigen."
16 Jan 2012
## AUTOREN
William Totok
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