# taz.de -- Kälte in Polen: Janusz und Monika müssen zittern | |
> In Osteuropa wurden seit Beginn der Kältewelle vor einer Woche mindestens | |
> 87 Kältetote registriert. Obdachlose in Warschau haben es besonders | |
> schwer. | |
Bild: Heiße Suppe für Obdachlose in Warschau. | |
WARSCHAU taz | Am Dmowski-Rondo in Warschau strahlt rotglühende Kohle in | |
einem Eisenkorb Hitze ab. Dick eingemummte Menschen stehen um den | |
qualmenden Korb und strecken die Hände zum Wärmen hin. Manche müssen bei | |
minus 17 Grad bis zu einer halben Stunde auf den Bus warten. Die Augen | |
tränen vom Qualm, aber immerhin erfriert niemand. | |
Polens Obdachlose hingegen schaffen es oft nicht mehr in die | |
Notunterkünfte. Die klirrende Kälte kostete im Januar 27 Menschen das | |
Leben. Polizisten durchstreifen leerstehende Häuser, kleine Datschen am | |
Stadtrand und ausrangierte Züge. Sie haben warmes Essen dabei und bieten | |
den Obdachlosen an, sie in eine Unterkunft zu bringen. | |
Der kleine Olek steht mit weit aufgerissenen Augen an der Haustür. Die Nase | |
läuft. Mit dem Ärmel wischt er den Schleim weg, dreht sich um und rennt ins | |
Haus. Drinnen riecht es nach Kohlsuppe. Kinder schreien, lachen, rennen die | |
Treppen rauf und runter. Erwachsene reden lautstark durcheinander. Es | |
herrscht ein Höllenlärm. | |
Hier, im Haus an der uliza Przyce 17, leben obdachlose Familien, zurzeit 25 | |
Erwachsene und 19 Kinder. Die Gegend, eine altes Gewerbegebiet, ist wenig | |
attraktiv. Die Müllcontainer vor dem Haus wurden schon länger nicht mehr | |
geleert. Auch der grüne Bürodrehstuhl im Schnee wirkt nicht gerade | |
einladend. | |
## "Immerhin nehmen sie uns nicht die Kinder weg" | |
"Die Hilfe, die wir hier bekommen, ist nicht übermäßig groß", beklagt sich | |
der 36-jährige Janusz. "Wir haben ein Dach über dem Kopf, wir erfrieren | |
nicht, und wir bekommen täglich mittags und abends einen Teller Suppe." | |
Dafür zahle er im Monat 500 Zloty (knapp 120 Euro). Seine hochschwangere | |
Frau Monika wirft ein: "Immerhin nehmen sie uns nicht die Kinder weg. Bei | |
den staatlichen Obdachlosenheimen finden nur Erwachsene Unterschlupf. Wir | |
aber wurden mit unseren drei Kindern auf die Straße geworfen." | |
Armut stellt für viele Sozialämter in Polen einen Grund dar, Familien | |
auseinanderzureißen und die Kinder in fremde Obhut zu geben oder in ein | |
Heim zu stecken. "Gott sei Dank habe ich Arbeit", sagt Janusz. "Aber es | |
reicht nur für das Allernötigste. Eine richtige Wohnung können wir uns | |
nicht leisten." Monika öffnet zwei kleine Schränke, voll mit Konserven und | |
Lebensmitteln. "Das bekommen wir von den Supermärkten. Das | |
Haltbarkeitsdatum ist abgelaufen. Aber das kann man noch essen." | |
So wie Janusz und Monika geht es immer mehr Menschen in Polen. Sie | |
verlieren die Arbeit, können Miete, Wasser und Strom nicht mehr bezahlen | |
und landen auf der Straße. Die Zahl der Obdachlosen wird auf über eine | |
halbe Million geschätzt. Im Winter steigt die Zahl, da bei der Eiseskälte | |
nichts gebaut werden kann und viele Maurer, Schweißer, Straßenbauer | |
Zwangsurlaub haben. Arbeitslosenhilfe wird nur einige Monate gezahlt, | |
danach versiegen die staatlichen Hilfszahlungen fast vollständig. | |
Sozialwohnungen gibt es zu wenige. | |
## "9-8-7" | |
An der ul. Przyce fürchten die Einwohner, dass sie nun auch noch aus diesem | |
Haus vertrieben werden. Denn das von der privaten Tarkowski-Stiftung | |
getragene Obdachlosenasyl für Familien steht mit 250.000 Zloty (umgerechnet | |
knapp 60.000 Euro) in der Kreide. Gas, Strom und Müllabfuhr wurden schon | |
seit Jahren nicht mehr bezahlt. Nun soll das Haus geräumt werden. | |
Die Familien sitzen angsterfüllt in ihren Zimmern. Die Ordnung in den engen | |
und überfüllten Zimmern wirkt unnatürlich penibel, so als würden die | |
Bewohner auf das plötzliche Erscheinen eines Inspektors warten, der sie bei | |
einem Staubkörnchen zu viel in die Eiseskälte hinaustreiben könnte. | |
Im Fernseher verließt eine Nachrichtensprecherin die neuesten Todeszahlen | |
dieses Winters: Zwei Achtzehnjährige sind beim Schlittschuhlaufen auf einem | |
zugefrorenen See eingebrochen und nicht wieder aufgetaucht. Eine Greisin, | |
die im Wald Holz holen wollte, erfror auf dem Heimweg. Ein Betrunkener | |
schlief an einer Bushaltestelle ein und erfror innerhalb von Stunden. Im | |
letzten Jahr gab es in Polen 200 Kältetote. | |
Ein Polizeisprecher gibt die Kältenotrufnummer bekannt. Der dreijährige | |
Olek klettert auf den Schoß seiner Mutter und wiederholt monoton die | |
Nummer: "9-8-7". | |
2 Feb 2012 | |
## AUTOREN | |
Gabriele Lesser | |
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