# taz.de -- Proteste in Ungarn: Machtdemonstration für Orbán | |
> Mindestens 100.000 Menschen gingen am Samstag in Budapest für die | |
> Regierung auf die Straße. Die Kundgebung richtet sich vor allem gegen die | |
> Kritik der EU. | |
Bild: Kritik an Ungarn unerwünscht: Orbán-Anhänger demonstrieren am Samstag … | |
WIEN taz | Ungarn steht hinter Premier Viktor Orbán. Diesen Eindruck | |
vermittelte eine Kundgebung am Samstag, die sich vor allem auch gegen die | |
Kritik der Europäischen Union richtet. Drei Tage nachdem Orbán sich im | |
EU-Parlament in Straßburg eine Kopfwäsche für seinen umstrittenen | |
Reformfuror geholt hatte, marschierten seine Anhänger auf, um Brüssel den | |
Stinkefinger zu zeigen. | |
Seit Menschengedenken habe es keine so große Demonstration in Budapest | |
gegeben, jubelten Regierungsmedien. Die staatliche Nachrichtenagentur MTI | |
sprach von mindestens ebenso vielen Menschen wie am 2. Januar bei der | |
Oppositionsdemonstration. Das wären an die 100.000 Teilnehmer. Das | |
Innenministerium schätzte die Menge auf 400.000. Es gab aber auch | |
Enthusiasten, die die Millionengrenze durchbrochen sahen. | |
Aufgerufen hatten nicht die Regierung oder die Regierungspartei Fidesz, | |
sondern zwei regierungsnahe Blätter, die Tageszeitung Magyar Hírlap und das | |
rechtsradikale Wochenblatt Magyar Demokrata. Entsprechend extremistisch | |
fielen denn auch die Hassparolen aus. Die Aufforderung "USA, EU, go home!" | |
wurde auf einem Transparent mit einem Davidstern garniert. | |
Andere Spruchbänder erzeugten Gänsehaut. Da wurden etwa von Sultan Soliman | |
über Clémenceau, Hitler und Stalin bis Chruschtschow ausländische | |
Staatsmänner aufgezählt, die Ungarn geschadet haben: "alle tot". Darunter | |
US-Außenministerin Hillary Clinton und EU-Kommissionspräsident José Manuel | |
Barroso: "noch nicht tot". | |
In vielen Dörfern und Städten mobilisierten die Bürgermeister und drängten | |
die Fidesz-Mitglieder, die Sonderbusse nach Budapest zu besteigen. | |
Organisierte Transporte kamen auch aus den Nachbarländern, wo ethnische | |
Ungarn leben: aus Österreich, der Slowakei und dem rumänischen | |
Siebenbürgen. Selbst Abordnungen aus München und Polen wurden gesichtet. Da | |
waren aber auch Familien, die die Veranstaltung als Samstagsausflug | |
wahrnahmen, und Leute, die sich über negative Schlagzeilen im Ausland | |
ärgerten. | |
## Proteste auch gegen die Regierung | |
Kritik, wie sie in der EU, europäischen Medien, aber auch der ungarischen | |
Opposition an der neuen Verfassung, der Einschränkung von Medienfreiheit | |
und Gewaltenteilung geäußert wird, gilt den Orbán-Anhängern als Angriff auf | |
die "Unabhängigkeit Ungarns". In den Ansprachen der Schlusskundgebung war | |
von "fremden Mächten" die Rede, die Ungarn "kolonisieren wollen". | |
Viktor Orbán selbst zeigte sich nicht. Auch andere hohe Fidesz-Funktionäre | |
verzichteten auf einen Auftritt, um zu unterstreichen, dass der Aufmarsch | |
nicht von offizieller Seite organisiert worden war. Künftige | |
Demonstrationen werden sich an dieser Machtdemonstration vom 21. Januar | |
messen lassen müssen. | |
Die Opposition will sich aber trotzdem nicht entmutigen lassen. Vor wenigen | |
Tagen protestierte eine Gruppe gegen Staatspräsident Pál Schmitt, der seine | |
Dissertation zu 80 Prozent abgeschrieben haben soll. Am Sonntag folgten | |
mehrere tausend Menschen dem Aufruf für Medienfreiheit und gegen den Entzug | |
der Sendelizenz für den Oppositionssender Klubrádió. | |
Die Regierung scheint aber die Mobilisierungskraft einer wachsenden | |
Opposition dennoch zu fürchten. Für die Tage um den Nationalfeiertag am 15. | |
März hat sie sie komplette Budapester Innenstadt gleich für eine ganze | |
Woche für eigene Veranstaltungen reservieren lassen. Denn die | |
Oppositionsplattform "Eine Million für die Pressefreiheit" hatte eine | |
Großveranstaltung für den Feiertag geplant. Die erforderliche Genehmigung | |
wurde von der Polizei abgelehnt. | |
22 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Ralf Leonhard | |
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