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# taz.de -- Wirtschaftswissenschaftler über Europa: "Die Vereinigten Staaten k…
> Kollabierende Finanzmärkte, eine angeschlagene Eurozone, Rezessionsängste
> – wer soll das kontrollieren? Paul De Grauwe gibt einzelnen
> Nationalstaaten keine Chance.
Bild: Demo gegen Kapitalismus in Berlin.
taz: Herr De Grauwe, der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form passe
nicht mehr in die heutige Welt. Das sagt Klaus Schwab, der Chef des
Managergipfels von Davos. Hat er recht?
Paul De Grauwe: Diese Aussage ist ziemlich ungenau. In seinen Grundzügen
wird der Kapitalismus auch die gegenwärtige Krise überstehen. Nur seine
Ausgestaltung ändert sich. Solche Anpassungen gab es in der Vergangenheit
immer wieder.
Schwab kritisiert unter anderem, dass die Finanzmärkte die Gesellschaften
zu sehr beherrschen. Dem stimmen Sie zu?
Ja. Selbst die neue Regulierung des Finanzsektors, die seit Beginn der
Krise 2008 eingeführt wurde, reicht bei weitem nicht aus. Wir müssen mehr
tun. Man sollte das risikoreiche Investmentbanking der Finanzinstitute von
den Alltagsgeschäften mit Bürgern und Unternehmen trennen. Ersteres kann
man in Krisen notfalls pleitegehen lassen, das Zweite aber muss man in
öffentlichem Interesse unbedingt schützen. Auch sollten wir die Banken
daran hindern, sehr risikoreiche Transaktionen zu unternehmen und sich zu
stark zu verschulden. Dagegen wehren sich die Banken zwar. Das heißt aber
nicht, dass solche Regeln nicht möglich sind.
Die internationalen Bankenaufseher haben schon beschlossen, dass die
Finanzinstitute bald mehr Geld für Notfälle in Reserve halten müssen.
Reicht das als Vorsorge nicht aus?
Nein. Auch 9 Prozent Eigenkapital sind zu wenig. Je mehr eigenes Geld die
Institute bei ihren Geschäften einsetzen müssen, desto sicherer sind sie.
Deshalb halte ich 20 Prozent für notwendig. Auch Industrieunternehmen
verfügen über derartiges Eigenkapital, wenn sie investieren.
Schärfere Eigenkapitalvorschriften könnten bedeuten, dass die Banken
weniger Kredite vergeben. Büßt der Kapitalismus damit nicht einen Teil
seiner Wachstumskraft ein?
Das ist ein falsches Argument, das der Propaganda der Banken entstammt.
Wenn die Finanzinstitute mehr eigenes Geld in Reserve halten, werden ihre
Operationen sicherer. Verluste bringen sie dann nicht so leicht an den Rand
des Zusammenbruchs. Damit sind sie auch attraktiver für eine breite Schicht
von Kapitalanlegern, die weniger Risiko eingehen will. Die Möglichkeit der
Institute, Kredite zu vergeben, wird durch diesen Mittelzufluss keinesfalls
eingeschränkt - eher im Gegenteil.
Ein geringeres Risiko führt aber dazu, dass die Profitmargen sinken.
Das ist richtig und wäre gut. Die Zeiten der fantastischen
Eigenkapitalrenditen von 25 Prozent wären vorbei, der Shareholdervalue für
die enge Schicht sehr risikofreudiger Aktionäre nähme ab. Die Gewinne der
Banken würden sich auf mehr Köpfe verteilen. Dieses Geschäftsmodell
generiert ebenfalls ausreichend Kapital, um Wachstum zu finanzieren -
allerdings auf eine weniger gefährliche Art. Wir sollten unser
Wirtschaftswachstum nicht auf exzessive Risiken gründen. Was dabei
herauskommt, sehen wir seit 2007.
Die Occupy-Bewegung, die mit dem Aufruf zur Besetzung des Finanzviertels
der Wall Street in New York begann, fordert die Demokratisierung der
Finanzmärkte. Auch Sie sprechen sich für mehr öffentliche Kontrolle über
die Banken aus. Wie kann man das bewerkstelligen?
Als Reaktion auf die Finanzkrise seit 2009 haben die Regierungen schon neue
Institutionen wie die europäische Bankenaufsicht gegründet. Diese ist aber
noch zu schwach. Die Nationalstaaten beharren auf ihrer alten Macht.
Leider, denn global tätige Banken kann man nicht mehr national
kontrollieren. Deshalb sollten wir den europäischen Institutionen mehr
Kompetenzen übertragen.
Einerseits fordern Sie mehr demokratische Kontrolle, andererseits wollen
Sie ein Europa mächtiger machen, das viele Bürger als undemokratisch
betrachten?
Wir haben keine andere Chance. Die Gesetze der Nationalstaaten haben eine
zu geringe Reichweite. Die Unionsbürger werden ihren politischen Willen
deshalb künftig nur durchsetzen können, wenn sie bereit sind, mehr
transnationale Regulierung auf europäischer Ebene zuzulassen. Wobei heute
tatsächlich viele Bürger Europa nicht vertrauen. Den gemeinsamen
Institutionen mangelt es an Legitimation.
Welche Möglichkeit sehen Sie, dieses Hindernis aus dem Weg zu schaffen?
Aus der Europäischen Kommission sollte eine echte Regierung werden, die
unter der vollen Kontrolle des Europäischen Parlaments und damit des
Souveräns steht. Nur unter dieser Voraussetzung werden die Menschen in
Europa akzeptieren, dass die Kommission und andere zentrale Institutionen
mehr Macht bekommen.
Dann müssten die nationalen Regierungen eigene Kompetenzen abgeben. Viele
wollen das nicht.
Dieser Widerwillen wird auch verursacht durch die augenblickliche
Fehlkonstruktion Europas. Die Kommission greift in die Belange der
Nationalstaaten ein, obwohl sie die finanziellen Folgen ihrer Politik nicht
selbst trägt. Die nationalen Regierungen müssen bezahlen, was die Zentrale
entscheidet. Das gefällt ihnen verständlicherweise nicht. Die Kommission
sollte deshalb ein umfangreicheres eigenes Budget mit eigenen
Steuereinnahmen erhalten, für die sie verantwortlich ist. Das alles mündet
darin, die Vereinigten Staaten von Europa zu begründen.
Haben Sie keine Angst vor einem Zentralstaat, der die Interessen der Bürger
und Mitgliedsländer ignoriert?
Nicht, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind. Die gemeinsame Regierung in
Brüssel müsste dem demokratisch gewählten EU-Parlament in gleicher Weise
verantwortlich sein wie etwa die Bundesregierung dem Bundestag. Zweitens
sollte das Prinzip der Subsidiarität gelten. Deutschland hat diese Idee als
Bundesstaat auf wunderbare Weise verwirklicht. Alles, was die einzelnen
Staaten regeln können, sollen sie auch selbst entscheiden. Die Aufsicht
über transnationale Banken und eine gemeinsame Währung aber brauchen ein
gemeinsames Land. Sonst funktionieren sie nicht.
Gilt die Forderung nach mehr demokratischer Kontrolle auch für die
Europäische Zentralbank?
Grundsätzlich sollte die EZB politisch unabhängig bleiben. Allerdings halte
ich es für ratsam, ihre Rechenschaftspflicht deutlicher zu formulieren. Das
EU-Parlament, die Kommission und der Rat sollten sich mehr Einblicke in die
Arbeit der EZB verschaffen können, als es heute möglich ist. Wir bräuchten
auch ein Verfahren, um den Präsidenten der Zentralbank im Notfall zu
entlassen. Und den Arbeitsauftrag der EZB sollten wir ebenfalls neu
beschreiben.
Viele Deutsche schätzen sehr, dass die Zentralbank vor allem den Wert des
Euro schützen und Inflation verhindern soll.
Dieses Mandat ist zu eng. Die Preisstabilität braucht eine Ergänzung durch
das zweite Ziel der Finanzstabilität. Es muss Aufgabe der EZB werden, die
Banken zu beaufsichtigen, um deren übermäßige Verschuldung zu verhindern.
In der gegenwärtigen Situation würde das aber auch bedeuten,
Finanzinstitute vor dem Zusammenbruch zu bewahren. Wenn dafür auch der
Aufkauf von Staatsanleihen aus den Beständen der Banken notwendig ist,
sollte die EZB dies konsequent tun. Wer kann unser Finanzsystem
stabilisieren, wenn nicht die Notenbank? Die Regierungen verfügen nicht
mehr über die notwendigen Mittel.
24 Jan 2012
## AUTOREN
Hannes Koch
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