# taz.de -- Wertewandel: Jack Nicholsons Trinkgewohnheiten | |
> Während Müll im Museum vor Jahrzehnten noch Skandale provozieren konnte, | |
> ist er heute ein Material mit künstlerischen Qualitäten. Zu sehen ist das | |
> in der Ausstellung "From Trash to Treasure" in der Kunsthalle Kiel. | |
Bild: Viel Champagner, wenig Wasser: Die Künstler Bruno Mouron und Pascal Rost… | |
HAMBURG taz | Jack Nicholson hats nicht so mit dem gesundheitsoptimierten | |
Lifestyle. Im Verhältnis gesehen trinkt er auf vier Flaschen Wasser vier | |
Flaschen Champagner, sieben Flaschen Bier und eine Flasche Wein. Erbsen | |
frisst er aus der Tiefkühlpackung, Bacon aus dem Pappkarton. Hinzu kommen | |
Chips, Filterzigaretten und Süßigkeiten. Gemüse gibts nur als Saft aus der | |
Dose. | |
Und dann ist da noch die andere Seite des Jack Nicholson: Kunstmagazine, | |
Tageszeitungen, eine Cowboy Junkies-Platte, Briefe. Geistige Nahrung. Jack | |
Nicholson muss ein einsamer Wolf sein. Sensibel, kunstsinnig, Single und | |
oft blau. | |
Nahe gelegt wird diese Einschätzung durch das Foto von Jack Nicholsons | |
Müll, das derzeit in der Kieler Kunsthalle hängt. Das Foto gehört zu einer | |
Serie der Künstler Bruno Mouron und Pascal Rostain, die den Müll von Pop- | |
und Filmstars fotografiert haben. | |
Gezeigt werden soll, wie viel man über einen Menschen erfährt, wenn man | |
seinen Müll kennt. Andererseits geht es um Star-Kult und den Beweis, wie | |
schnell und bereitwillig der Mensch zum Voyeur wird. Und wie gnadenlos er | |
vergleicht: Madonnas Müll hängt da auch. Madonna trinkt auch mal ein Bier, | |
steht aber ansonsten auf Wasser und Diet Coke, aus Plastikflaschen und aus | |
Dosen. Fast alle ihre Nahrungsmittel sind Light-Produkte. Ob dieser Befund | |
ein ernsthaftes Recherche-Ergebnis ist oder nicht, wissen nur die Künstler. | |
Die Arbeit gehört zur Ausstellung "From Trash to Treasure", in der 70 Werke | |
von 46 KünstlerInnen zu sehen sind. Alle Arbeiten befassen sich auf die | |
eine oder andere Weise mit Müll oder nutzen ihn als Material, um Kunst | |
herzustellen. | |
Es sind Klassiker dabei wie Kurt Schwitters, dessen Collagen aus | |
Alltags-Gegenständen wie Knöpfen, Lumpen oder Zeitungspapier in den 1920er | |
Jahren die Grenze zwischen Kunst und Leben einreißen sollten. Und es gibt | |
zeitgenössische Künstler wie die beiden Bremer Künstler Andrée Korpys und | |
Markus Löffler, die das Wendland während eines Castor-Transports als | |
Schauplatz genutzt haben für einen meditativen Kurzfilm: Die beiden | |
Künstler stehen als voll ausgerüstete Polizisten im Wald und rezitieren | |
Fritjof Capras Werk "Das Tao der Physik". Im Wechsel dazu sind Bilder der | |
Camps der Atomkraftgegner zu sehen und Bilder der realen Polizisten bei | |
ihrem Einsatz. Der Müll, um den es hier geht, ist konsequenter Weise nicht | |
zu sehen: Es geht um Atommüll, dessen Bedrohung in der unsichtbaren | |
Strahlung liegt. | |
Der Aspekt der Unsichtbarkeit gibt der Arbeit von Korpys / Löffler einen | |
Sonderstatus innerhalb der Ausstellung. Alle anderen Arbeiten setzen auf | |
sicht- und greifbare Gegenstände, die durch eine gesellschaftliche | |
Verabredung als Müll eingestuft worden sind. Weniger greifbare Ausprägungen | |
wie Datenmüll oder Lärmverschmutzung spielen in der Ausstellung keine | |
Rolle. Es geht um den klassischen Haus- und Müllhalden-Müll und dessen | |
kunsthistorische Bedeutung. | |
Schön erzählt wird in der Ausstellung, wie sich ein bürgerliches | |
Kunstpublikum durch den künstlerischen Einsatz von Müll im vergangenen | |
Jahrhundert noch irritieren ließ. Marcel Duchamps produzierte 1919 im | |
Rahmen der Aktion "Elevage de poussière" (Staubaufzucht) eine Ansammlung | |
von Staub, um die Beziehung des Objekts zur Vergänglichkeit zu markieren. | |
Diese Arbeit "kann als ein erstes Kunstwerk aus Dreck" bezeichnet werden, | |
schreibt die Kunsthistorikerin Dörte Zbikowski im Ausstellungskatalog. | |
In den 1920er Jahren entdeckten Dadaisten wie Schwitters Fundstücke als | |
Ausgangspunkte für ihre Kunstwerke. In den 1960er Jahren wurde der Müll in | |
der Kunst zum Mittel, die Konsumgesellschaft zu kritisieren und manchmal | |
auch ein bisschen zu schocken: Der französisch-amerikanische Objektkünstler | |
Arman füllte 1960 die Pariser Galerie Iris Clert bis unter die Decke mit | |
Sperrmüll - und erregte damit einen Kunstskandal. | |
Das Potential für Kunstskandale hat der Müll nicht lange behalten. | |
Allenfalls Dieter Roths "Sammlung flachen Abfalls" in Leitz-Ordnern dürfte | |
1974 noch für ein wenig Kopfschütteln gesorgt haben. Jetzt stehen die | |
Leitz-Ordner in der Kieler Kunsthalle neben Karsten Botts | |
"Kaugummivitrine", einer Art Setzkasten, in dem ausgespuckte, von der | |
Straße aufgelesene Kaugummis präsentiert werden wie Edelsteine. Beides, die | |
Leitz-Ordner mit kleinem Alltagsmüll und die gebrauchten Kaugummis, wirken | |
heute so sympathisch aus der Zeit gefallen wie eine Telefonzelle im Wald. | |
Interessanter sind jene Arbeiten, bei denen der Müll nicht nur durch eine | |
Kunstbehauptung aufgewertet wird, sondern eigene Qualitäten entwickelt. | |
Markus Zimmermann hat aus Müll Guckkästen gebaut, die in der Ausstellung | |
von den Besuchern ausprobiert werden können. Von außen sehen die Guckkästen | |
aus wie Karton-Verpackungen mit Guckloch. Schaut man hindurch, gibt es | |
abstrakte Fantasiewelten zu sehen, entwickelt durch einen raffinierten | |
Umgang mit Licht und Spiegeln. | |
Tina Hauser hat großformatige Fotos von Müll in der Müllverbrennungsanlage | |
gemacht: Eingequetscht zwischen zwei Betonwänden türmen sich monströse | |
Müllbatzen wie fremde Wesen auf. Und Daniel Spoerri befestigt sehr | |
unterschiedliche Flohmarktobjekte aus seinem Lager an Holzbalken - um die | |
Fantasie der Betrachter zu stimulieren und zugleich etwas zu erzählen über | |
sein eigenes Leben. | |
Der Müll ist vom dadaistischen Gestaltungselement über die Provokationen | |
und die Konsumkritik der 1960er zu etwas geworden, das zum Leben | |
dazugehört. Der Boom des Recyclings hat dem Müll eine neue Wertigkeit | |
gegeben, die Finanzmarktkrise hat gezeigt, wie schmal die Grenze zwischen | |
Wert- und Schrottpapieren ist, die Kunst hat den Trash entdeckt, also den | |
bewusst zur Schau gestellten schlechten Geschmack, der markieren soll, was | |
der gute Geschmack ist. Der Müll hat Karriere gemacht. | |
Die Kieler Ausstellung arbeitet diese Erkenntnis gut heraus, ihr Blick aber | |
geht stets nach hinten und nicht nach vorne. Das lässt die Müll-Ausstellung | |
auf den ersten Blick ziemlich angestaubt wirken. Zugleich setzt es eine | |
gewisse Nostalgie frei: Es müssen übersichtliche Zeiten gewesen sein, als | |
der Müll noch Müll war. | |
James Bond gehörte damals zu den Guten und fuhr den Bösen auf Skiern davon. | |
Heutzutage sagt er: "Geschüttelt oder gerührt? Interessiert mich einen | |
Dreck!" | |
23 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
Klaus Irler | |
Klaus Irler | |
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